„Der Großteil der Westeuropäer weiß gar nicht, was er sich unter einem osteuropäischen Film vorzustellen hat.“INTERVIEW

„Der Großteil der Westeuropäer weiß gar nicht, was er sich unter einem osteuropäischen Film vorzustellen hat.“

Roland Rust, Direktor des Cottbuser Festivals des Osteuropäischen Films (Siehe Eurasien-Ticker), über den diesjährigen Festivalschwerpunkt Polen, die Filmbranche in Osteuropa und der GUS, die Gründe der Dominanz von Hollywoodfilmen in westeuropäischen Kinos, das westliche Interesse am osteuropäischen Film und die Ziele des Cottbuser Festivals.

Von Hartmut Wagner

Eurasisches Magazin: Herr Rust, beim diesjährigen Cottbuser Festival des Osteuropäischen Films wird Polen im Mittelpunkt stehen. Welche Art von Filmen werden den Besuchern präsentiert?

Roland Rust: Es geht uns vor allem darum, aktuelle Filme aus Osteuropa zu entdecken und unserem Publikum zu zeigen. Dieses Jahr steht Polen im Zentrum des Interesses. Einige polnische Filme hatten wir allerdings immer im Programm, da Polen eines der osteuropäischen Länder mit der größten eigenen Filmproduktion ist.
Wir werden Filme ganz unterschiedlicher Art zeigen: die besten polnischen Spielfilme und Kurzfilme des letzten Jahrzehnts, sehenswerte Fernseh- und Videoproduktionen, Musikclips polnischer Interpreten und sogar besonders herausragende Werbespots. Natürlich stellen wir auch die größten polnischen Kinoerfolge der letzten Jahre vor.
Außerdem wollen wir erstmals außerhalb Polens in großem Umfang Filme der polnischen Off-Szene auf die Kinoleinwand bringen. Das sind also Produktionen, die mit sehr geringen finanziellen Mitteln gedreht wurden, aber wohl gerade deshalb meist sehr originell von der etablierten Filmszene abweichen.
Ein aus meiner Sicht sehr interessantes Novum ist dieses Jahr der Programmteil „Spiegelbilder“. In diesem Zusammenhang zeigen wir Filme, die das Bild der Deutschen im polnischen Film und auch umgekehrt das Bild der Polen im deutschen Film zeigen. Es ist wirklich erstaunlich zu sehen, welche Bilder von der jeweils anderen Nation vorherrschen.

EM: In einem Beitrag vom 4. September 2002 in der Frankfurter Rundschau kritisiert der Pole Adam Olschewski, daß sich die polnische Musikszene zu stark an westlichen Vorbildern ausrichtet und dabei die polnischen traditionellen Stilelemente ignoriert werden. Können Sie diesen Assimilierungsprozeß an Westeuropa und Amerika in bezug auf den polnischen Film bestätigen?

Rust: Auch im polnischen Film ist sicherlich eine Grundorientierung in Richtung Westen auszumachen. Ich halte das jedoch nach dem Ende des Kommunismus in Osteuropa für eine ganz normale Entwicklung, solange dies nicht zu einer Überfremdung führt. In Polen sehe ich diese Gefahr nicht. Billige Kopien von Hollywoodstreifen bleiben dort zumeist ohne Erfolg. Gute Regisseure, und davon gibt es viele in Polen, nehmen zwar Einflüsse von außen in ihre Filme auf, schaffen aber dennoch etwas Eigenständiges.

„Der Großteil der Westeuropäer weiß gar nicht, was er sich unter einem osteuropäischen Film vorzustellen hat.“

EM: Was halten Sie persönlich für den Grund dafür, daß auf westeuropäischen Kinoleinwänden nahezu ausschließlich Hollywoodproduktionen gezeigt werden, osteuropäische Filme jedoch so gut wie gar nicht?

Rust: Das eigentliche Problem ist wohl, daß der Großteil der Westeuropäer gar nicht weiß, was er sich unter einem osteuropäischen Film vorzustellen hat. Leider sind ihnen in der Regel fast ausschließlich Hollywoodfilme bekannt. Hierfür sind verschiedene Gründe zu benennen. Zum einen ist dies der extreme Wettbewerb, dem neue Filme, insbesondere durch die rigorose Profitmaximierung Hollywoods, ausgesetzt sind. Zum anderen verfügen amerikanische Filme in den meisten Fällen allein für Werbekampagnen über ein Budget, welches die gesamten Kosten eines gewöhnlichen osteuropäischen Films um ein Vielfaches übersteigt. Ich bin sicher, wenn osteuropäische Filme ähnlich beworben würden wie Hollywoodfilme, dann wären sie auch wesentlich erfolgreicher im Westen. Das sieht man beispielsweise an dem tschechischen Film „Kolja“. Er ist von einem großen Verleiher vermarktet worden und wurde im Ausland prompt sehr gut angenommen.
Die Osteuropäer müssen aber auch lernen, ihre Filme trotz geringer finanzieller Mittel international bekannter zu machen. Sie müssen den Mut und den Willen aufbringen, aus eigener Kraft Trends zu setzen in der Filmbranche. Dann kommt auch der Erfolg.

„Sicherlich fänden osteuropäische Filme in Westeuropa mehr Anklang, wenn dort das Image Osteuropas nicht so schlecht wäre.“

EM: Würden Sie sagen, daß das Interesse am osteuropäischen Film seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in Westeuropa insgesamt gestiegen oder eher zurückgegangen ist?

Rust: Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre, als in der Sowjetunion Glasnost und Perestrojka die Politik bestimmten und endlich die unzähligen Filme öffentlich gezeigt werden durften, die bis dahin verboten waren, war das Interesse in Westeuropa sehr groß. In der Mitte des vergangenen Jahrzehnts verebbte diese Begeisterung für den osteuropäischen Film, auch wegen der daniederliegenden Filmindustrien in den Nachfolgestaaten der UdSSR, fast vollkommen. Erst seit Beginn des neuen Jahrtausends haben die Produktionszahlen der Filmbranche in Polen, Tschechien, Ungarn und mit Abstrichen auch in Rußland wieder den Stand erreicht, den sie vor dem Zusammenbruch des Kommunismus hatten. Seitdem erfahren osteuropäische Filme in Westeuropa auch wieder größere Resonanz. Das zeigen beispielsweise auch die zahlreichen internationalen Auszeichnungen, die das Kriegsdrama „No Man’s Land“ des bosnischen Regisseurs Danis Tanovic erhalten hat. Es sind also durchaus positive Entwicklungen zu beobachten.
Sicherlich fänden osteuropäische Filme in Westeuropa mehr Anklang, wenn hier das Image Osteuropas nicht so schlecht wäre. Die Menschen wissen oftmals sehr wenig über ihre östlichen Nachbarn. Und die wenigen Informationen, welche die Massenmedien täglich über diese Region verbreiten, lassen Osteuropa fast ausnahmslos in negativem Licht erscheinen.

„Während der sozialistischen Ära war es ganz selbstverständlich, daß zum Beispiel Filme aus dem Baltikum auch in Zentralasien, im Kaukasus oder in der DDR in die Kinos kamen.“

EM: Ist der osteuropäische Film in anderen Teilen Eurasiens beliebter als in Deutschland?

Rust: Nur in Frankreich. Hier kommen verhältnismäßig viele Filme aus Osteuropa in die Kinos. Sonst wüßte ich von keinem anderen Land. Auch zwischen den osteuropäischen Staaten selber findet so gut wie kein Austausch an Filmen statt. Entweder werden Streifen aus Hollywood gezeigt oder nationale Produktionen. Kinofilme aus den osteuropäischen Nachbarländern werden nicht ins Programm genommen. Und das, obwohl es während der sozialistischen Ära ganz selbstverständlich war, daß zum Beispiel Filme aus dem Baltikum auch in Zentralasien, im Kaukasus oder in der DDR in die Kinos kamen. Dieser rege Kulturaustausch ist bedauerlicherweise mit dem Ende des Sozialismus in Osteuropa völlig zum Stillstand gekommen.

EM: Welches Genre ist augenblicklich besonders populär bei osteuropäischen Filmemachern?

Rust: Das läßt sich nicht verallgemeinern, dazu ist das Gebiet des ehemaligen Ostblocks einfach viel zu groß und heterogen. Aber innerhalb einzelner Länder läßt sich nicht selten eine Vorliebe zu einem bestimmten Genre konstatieren. Nehmen wir etwa Polen, dort wurden in den vergangenen Jahren vor allem nationale Stoffe filmisch bearbeitet. Zumeist verfilmte man Werke klassischer Literatur oder Epen der polnischen Geschichte. In Tschechien werden dagegen in erster Linie Alltagsgeschichten mit leisem, geistreichem Humor favorisiert. Und in Rußland entstehen seit kurzem vermehrt nostalgische Filme, die die verlorengegangene Größe des einstigen russischen Imperiums verklären.

„Mit Ausnahme von Rußland ist es um die Filmwirtschaft in den Mitgliedsstaaten der GUS sehr schlecht bestellt.“

EM: Wie steht es denn um die Filmszene in den GUS-Staaten?

Rust: Mit Ausnahme von Rußland, das ich ja bereits zuvor kurz erwähnte, ist es um die Filmwirtschaft in den Mitgliedsstaaten der GUS sehr schlecht bestellt. Ein besonders krasser Fall ist die Ukraine. Es ist schwer nachzuvollziehen, wie ein territorial so großes und einwohnerstarkes Land mit einer so reichen Filmtradition seit geraumer Zeit nur ein oder zwei Spielfilme jährlich hervorbringt. Hierfür ist nicht allein der schlechte Zustand der ukrainischen Wirtschaft verantwortlich zu machen, sondern den Filmschaffenden fehlt es schlicht an der notwendigen Unterstützung durch die Politik.

EM: Was ist Ihr persönlicher Lieblingsfilm aus dem Osten Europas?

Rust: Da gibt es eigentlich mehrere. Aber wenn ich mich auf einen einzigen festlegen muß, dann ist das der tschechische Film „Mnaga-Happy-End“ von Petr Zelenka. Der Film ist eine fiktive Dokumentation über eine Punk-Band aus der Retorte, der wirklich in jeder Hinsicht ein Meisterwerk ist. Ich habe ihn mir bestimmt schon sieben oder acht Mal angesehen.

EM: Gibt es ein bestimmtes Ziel, das Sie mit dem Cottbuser Filmfestival verfolgen?

Rust: Vor allen Dingen möchten wir der osteuropäischen Filmkunst eine Plattform bieten und sie einem breiteren Publikum zugänglich machen. Aber nicht nur die osteuropäische Filmszene soll unserem Publikum näher gebracht werden, sondern nach Möglichkeit überhaupt ein Bild von Kunst und Kultur in Osteuropa vermittelt werden. Ich glaube, gerade auch durch den Film kann das vorhin angesprochene schlechte Image Osteuropas wesentlich verbessert und die Neugierde auf die kulturellen Ressourcen dieser faszinierenden Region geweckt werden.

EM: Vielen Dank für dieses Gespräch.

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