Der Maluch ist der GrößtePOLEN

Der Maluch ist der Größte

Der Maluch ist der Größte

Fünf Jahre nach dem Produktionsstopp ist aus dem kleinen Fiat Polski ein Kultobjekt geworden.

Von Anna Sprycha und Benjamin Haerdle

Die Polen nennen ihn Maluch, die Italiener Bambino. Mit seinem Dackelblick weiß der Fiat 126 Freunde des Automobiles zu bezaubern.  
Die Polen nennen ihn Maluch, die Italiener Bambino. Mit seinem Dackelblick weiß der Fiat 126 Freunde des Automobiles zu bezaubern.  

Er ist klein, altmodisch, unbequem und langsam – und doch in Polen ist er höchst populär: der Fiat Polski 126p. Die Polen nennen ihn zärtlich „Maluch“, was man mit „Kleiner“ oder auch „Winzling“ übersetzen könnte. Mehr als 3,5 Millionen Maluchs liefen von 1971 bis zum Produktionsstopp im Jahr 2000 in Polen vom Band. Knapp 900.000 Exemplare wurden sogar exportiert – nach Italien, Osteuropa, Kuba, China aber auch nach Frankreich, England und Holland. Während auf ostdeutschen Straßen Trabant, Wartburg & Co. heutzutage Exoten sind, ist der Maluch immer noch Alltag im Straßenverkehr zwischen Oder und Bug. Zwar gehört es auch für Jan Kowalski – das ist der Name für den Otto Normalverbraucher Polens - zum guten Ton, ein ausländisches Fabrikat zu fahren, aber das Herz vieler Polen hängt noch an dem alten Fiat Polski.

Nach einer Stunde Fahrt – fünf Minuten Verschnaufpause

In das zwei Meter lange, 1,40 Meter hohe und genauso breite Auto paßt eine durchschnittliche polnische Familie hinein. Der Vater kauert hinter dem Lenkrad, daneben die Mutter mit dem Gepäck auf den Knien, weil der kleine Fiat eigentlich über keinen Kofferraum verfügt. Auf der Rückbank finden noch zwei Kinder und die Schwiegermutter Platz, letztere mit den Beinen unter dem Kinn. Mit fünf Personen an Bord erreicht das 24 PS starke Auto noch eine Geschwindigkeit von 100 km/h. Probleme gibt es bei diesem Tempo allerdings mit dem Bremsen, denn der Bremsweg ist dann ungefähr so lang wie bei einer Lokomotive. Die Höchstgeschwindigkeit des Maluchs liegt bei 120 km/h, dann aber verliert man schon die Kontrolle über das Fahrzeug. Zudem machen starke Windstöße oder ein vorbeifahrender LKW dem Fiatfahrer das Leben und Lenken schwer. Nach etwa einer Stunde Fahrt braucht der Wagen mindestens fünf Minuten Pause, weil der Motor abkühlen muß – einen Kühler gibt es nicht. Viele Wagen fahren deshalb mit geöffneter Motorklappe, die sich beim Fiat Polski hinten befindet.

Der Maluch diente jahrelang nicht nur als PKW, sondern auch als Transporter. Auf seinem Dach transportierte man alles – von großen Möbelstücken bis zur Waschmaschine.

Der kleine Fiat ist ein sparsames Auto, er verbraucht je nach Alter, Zustand und Geschwindigkeit zwischen 3,5 und 7,5 Liter Benzin. Mit den 21 Liter, die im Tank Platz finden, kommt man durchschnittlich 400 Kilometer weit – wenn der Motor durchhält. Aber der kluge Pole weiß Rat: Abgerissene Keilriemen, ein Dauerproblem beim Maluch, lassen sich leicht durch Strumpfhosen ersetzen. Und zum Starten reicht im Notfall oft ein einfacher Besen. Nach etwa 8.000 Kilometern muß der Motor überholt werden. Die Ersatzteile, die noch bis 2010 produziert werden, sind aber sehr kostengünstig. Ein kompletter Satz neuer Bremsbeläge ist schon für 75 Euro zu haben.

Geländetauglicher als die Polizei erlaubt

Lassen sich die Europäer vom Kult um den polnischen Maluch mitreißen?  
Lassen sich die Europäer vom Kult um den polnischen Maluch mitreißen?  

Der Maluch ist perfekt für Herbst und Frühling. Im Sommer funktioniert er wie eine Sauna und im Winter wie ein Kühlschrank. Winters friert das Auto ständig im Innenraum ein und man muß pausenlos die Vorderscheibe von innen abkratzen. Etwas Abkühlung für die Passagiere bringen im Sommer die Rostlöcher im Fußboden, die schon beim zweijährigen Maluch langsam aber sicher auftreten. Eine Fahrt über Pfützen sorgt für nasse Füße. Dafür aber ist der kleine Fiat in der Lage, über jeden Bodenbelag zu fahren: jedes Rad verfügt über eine getrennte Aufhängung und die Stoßdämpfer wurden den schlechten polnischen Straßen angepaßt. So ist erst kürzlich in Zielona Gora (Grünberg) ein kleiner Fiat der Polizei entkommen, weil er im Gegensatz zum Streifenwagen, einem nagelneuen Skoda Fabia, querfeldein über einen Acker fahren konnte.

Vor allem die jüngere Generation schwört heute auf den Zweizylinder. Die 29jährige Agnieszka aus Olsztyn (Allenstein) schätzt ihren 13 Jahre alten roten Maluch: „Ersatzteile gibt es überall, die Versicherung ist günstig, er ist einfach zu fahren und billig.“ 500 Zloty (etwa 125 Euro) kostete ihr Gebrauchtwagen, den Spott der Kollegen und Freunde gibt es gratis dazu. Der 22jährige Daniel aus Ketrzyn (Rastenburg) fährt seinen 126er seit mehr als zwei Jahren - und muß alle zwei Monate etwas an ihm reparieren. Kupplung, Reifen oder das Licht, irgendwas ist immer kaputt. „Es ist unwichtig, wie viel Zeit und Geld du in ihn steckst, wie viel Zeit du in der Garage verbringst. Der Maluch ist ein Auto mit Herz und großer Seele.“ Tomasz Gorski (49) lenkt seinen Maluch aus Liebe zum polnischen Automobilwesen. „Ich bin Patriot, deshalb fahre ich Maluch“, meint er. Er ist stolz auf seinen Wagen, schließlich begleitet ihn dieser schon 24 Jahre. „Ich kenne ihn genauso lange wie meine Frau.“

Der jüngste Maluch steht in Turin

Mit dem Ende des Kommunismus ging es bergab mit dem Maluch. Die beiden staatlichen Werke in Warschau und Bielsko-Biala wurden Anfang der 90er Jahre privatisiert, Fiat und die südkoreanische Autofirma Daewoo übernahmen das Kommando. Umstrukturierungen, Modernisierungen und Massenentlassungen waren die Folge. Im September 2000 verließ letztmals ein Maluch das Werk. Er hat seinen Platz heute im Fiatmuseum in Turin.

Der Abschied vom Maluch hat eine Nostalgie-Welle losgetreten: Im Internet gibt es Netzseiten zahlreicher Maluch-Fanclubs. Das Computerspiel „Maluch-racer“ findet östlich der Oder reißenden Absatz, so daß vor kurzem eine zweite Version auf den Markt kam. Und vielleicht erfaßt das Maluch-Fieber mit Verspätung auch noch die Autonation Deutschland: Demnächst soll eine deutschsprachige CD-Version von „Maluch-racer“ erscheinen.

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Die Autoren sind Korrespondenten von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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