„Der gordische Knoten im Mittleren Osten ist ohne den Iran nicht durchzuschlagen“EM-INTERVIEW

„Der gordische Knoten im Mittleren Osten ist ohne den Iran nicht durchzuschlagen“

„Der gordische Knoten im Mittleren Osten ist ohne den Iran nicht durchzuschlagen“

Wie sich die Machtverhältnisse in der Golfregion entwickeln könnten, analysiert der Nahost-Experte Loay Mudhoon.

Von Hans Wagner

Loay Mudhoon  
Loay Mudhoon  
  Zur Person: Loay Mudhoon
  Der Nahostexperte Loay Mudhoon gehört zu den profiliertesten Analytikern politischer Prozesse und Mediendiskurse in der arabischen Welt. Der Politologe und Islamwissenschaftler lehrt und forscht an der Universität Köln zur geostrategischen Rolle des Nahen und Mittleren Ostens. Zu seinen Forschungsgebieten gehören auch die politiktheoretischen Grundlagen des Islamismus und das Reformdenken im zeitgenössischen Islam.

Er ist zudem Redakteur der Deutschen Welle und Redaktionsleiter des Internetportals Qantara.de - Dialog mit der islamischen Welt; www.qantara.de.

E urasisches Magazin: Seit der umstrittenen Wiederwahl des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad sind gut drei Monate vergangen. Über die Protestbewegung wird immer weniger berichtet. Ist sie am Ende? Wie sicher sitzt das Regime in Teheran inzwischen wieder  im Sattel?

Loay Mudhoon: Die iranische Protestbewegung ist sicherlich stark angeschlagen. Die massive und blutige Repression des Regimes hat sie geschwächt: Friedliche Demonstranten wurden zu drakonischen Haftstrafen verurteilt, auch die Oppositionsführer Mussawi und Karrubi, die selber Teil des Regimes sind, gerieten ins Visier des religiösen Establishments und seiner Milizen. Sie ist aber nicht am Ende, denn die Wut und die Enttäuschung der Menschen über die Beraubung ihrer Freiheit und ihrer Bürgerrechte sind sehr groß und die iranische Zivilgesellschaft vergleichsweise gut entwickelt.

Festzuhalten bleibt: Die Protestbewegung hat zur schwersten Legitimitätskrise der Islamischen Republik geführt. Das Regime in Teheran sitzt jedoch inzwischen wieder fest im Sattel. Den Forderungen nach Reformen wird das geschwächte Regime aber auf Dauer mit Repressionen alleine nicht begegnen können.

Iran betreibt ein militärisches Programm zur Herstellung der Bombe

EM: Der Umgang Amerikas mit dem Iran ist derzeit moderat, kein Wort mehr vom Schurkenstaat der Bush-Ära. Selbst Israel hält sich zurück trotz Entdeckung einer zweiten, bisher geheimen Atomanlage. Wollen die USA etwa mit Teheran kooperieren?

Mudhoon: Das ist keinesfalls ausgeschlossen. Die Obama-Administration hat sich vom simplen Dualismus der Bush- Administration eindeutig distanziert und sich bereit erklärt, mit relevanten Akteuren und so genannten Schurkenstaaten zu verhandeln. Und der Iran ist zweifelsohne ein wichtiger Akteur im Nahen und Mittleren Osten. Der neueste in erster Linie von den USA unterbereitete Vorschlag der Internationalen Gemeinschaft sieht vor, dass das Land einen erheblichen Teil des illegal angereicherten Materials unter Kontrolle der internationalen Gemeinschaft bringt.

Damit wird zum ersten Mal klar, dass es sich hierbei um das militärische Programm zur Herstellung von Atombomben handelt und nicht nur um friedliche Nutzung der Kernenergie. Die Obama-Administration hat erkannt, dass der gordische Knoten im Krisenbogen des Mittleren Ostens ohne Einbindung des Irans nicht durchzuschlagen ist.

EM: Und Europa?

Mudhoon: Europa spielt in diesem Prozess eine untergeordnete Rolle. Die Europäische Union kann aber der iranischen Führung wirtschaftliche Anreize für Kooperation und Know-how-Transfer bieten, zumal das Land erheblichen Modernisierungsbedarf hat.  

EM: Wird der Iran in absehbarer Zeit eine kulturelle, eine technologische, eine wirtschaftliche Führungsposition im Nahen Osten anstreben?

Mudhoon: Der Iran beansprucht ohne Frage eine Führungsposition im Nahen Osten. Doch zwischen Anspruch und Realität klafft eine große Lücke, denn die Eigenheiten des Landes als nicht-arabisches Land und als nicht-sunnitisches Land stellen große, fast nicht überwindbare Hindernisse vor Realisierung dieses iranischen Selbstverständnisses dar. Technologisch und wirtschaftlich ist der Iran eindeutig im Rückstand, vor allem im Vergleich zu Saudi-Arabien, das die größte Volkswirtschaft in der Region hat.  

Das iranische Gegenmodell verliert an Glaubwürdigkeit

EM: Ist der Iran überhaupt in der Lage, Maßstäbe zu setzen für die muslimische Welt?

Mudhoon: Iran ist für die arabische Welt als Maßstab sehr wichtig. Kürzlich ist der Arab Human Development Report 2009 erschienen. Er zeigt, wie die arabischen Bürger entrechtet sind. Politische Partizipation ist nahezu unmöglich. In diesem Sinne verliert das iranische Gegenmodell nun an Glaubwürdigkeit und Ausstrahlungskraft. Der Gegenentwurf zum so genannten gottlosen Gottesstaat ist die Türkei der AKP. Vielleicht ist sie sogar das neue Leitbild für arabische Mainstream-Islamisten: nach innen demokratisch legitimiert, nach außen kooperativ und berechenbar. Erdogan genießt weltweit große Akzeptanz, Ahmadinedschad aufgrund seiner Hasstiraden und unsäglichen Holocaust-Leugung nicht.

EM: Und welche Rolle spielen heute die muslimischen Strömungen, die Spaltung in Schiiten und Sunniten?

Mudhoon: Durch den Sturz Saddams wurden erstmals die bis dato politisch marginalisierten Schiiten zur tonangebenden Gruppe in einem arabischen Land, das zudem eine letzte Bastion des Panarabismus war. Man kann das als Emanzipation sehen. Wichtiger ist aber: Der Iran konnte so zur Ordnungsmacht am Golf avancieren. Darüber hinaus ist klar, dass für die puritanischen Wahhabiten in Saudi-Arabien mit ihrem Überlegenheitsbewusstsein Schiiten Anhänger einer Irrlehre sind. Dabei hat Ajatollah Khomeini aufgrund seines betont antimonarchistischen Islamismus die sunnitischen Königshäuser in seinem Testament gar zu den größeren aller Satane erklärt. Die Gefahr ist groß, dass Hegemonialkonflikte, wie der zwischen Saudi-Arabien und Iran, konfessionell eingekleidet werden.

EM: Was ist damit gemeint?

Mudhoon: Man übersieht oft, dass die undemokratischen Regime in den sunnitischen Kernstaaten massive Legitimitätsprobleme haben und auch untereinander zu keiner gemeinsamen Politik finden, wie etwa bei der Palästinafrage. Insofern dient das Gespenst des Panschiismus auch dem Zweck, von dieser Schwäche abzulenken. Dabei sind Schiiten im Irak oder im Libanon zunächst vor allem Araber. Es gibt kaum überregionale gemeinsame schiitische Interessen. Die so genannte schiitische Achse scheint mir eher ein Konstrukt. Eine geopolitische Metapher, die erstmals vom ägyptischen Präsidenten Mubarak im März 2005 verwendet wurde, als dieser vor einem schiitischen Halbmond warnte, der von Teheran über Bagdad bis nach Beirut reiche und die arabische Sicherheit bedrohe.

Israel kauft deutsche U-Boote

EM: Gesetzt den Fall, der Iran strebt auch militärisch die Vorherrschaft im Nahen Osten an, wäre er dazu in der Lage?

Mudhoon: Nein. Die iranische Führung benützt Teile der Schiiten im neuen Irak, auch die Hisbollah und Hamas als trojanische Pferde, um bestimmte Aufgaben in ihrem Auftrag zu erledigen, die sie aus Gründen der Staatsräson nicht selber übernehmen möchte. Dennoch: Es gibt dieses iranische Hegemonialstreben, das moderate arabische Staaten, Israel und den Westen einander näher bringt. Erst im Juli ist ein aus Deutschland an die israelische Marine geliefertes U-Boot der Dolphin-Klasse mit Zustimmung der Ägypter durch den Suezkanal ins Rote Meer gefahren. Solche U-Boote können mit Marschflugkörpern bestückt werden. Das sind deutliche Zeichen an die Iraner.

EM: Was wollen Sie damit sagen?

Mudhoon: Damit will ich sagen, dass diese Aktion als eindeutige Drohung an die Adresse Teherans zu verstehen ist. Ich glaube jedoch nicht, dass die Obama-Administration den Israelis grünes Licht für einen Militärschlag geben würde, weil sie weiß, dass ein solcher Anschlag unkalkulierbare Folgen für die Region des Nahen und Mittleren Osten hätte. Ob Israel um Erlaubnis der USA fragen würde, bleibt offen.

EM: Wie ist die geostrategische Situation des Irans in Eurasien einzuschätzen? Welche Interessen verfolgen Russland, China, die Schanghaiorganisation für Zusammenarbeit (SOZ) in Bezug auf Teheran?

Mudhoon: Das ist sehr komplex und je nach bilateralen Beziehungen und Interessenlage der Staaten zu bewerten. China betreibt in erster Linie eine Energiesicherungspolitik und ist an langfristiger Sicherung der Gas- und Ölversorgung durch den Iran interessiert. Das russischen-iranische Verhältnis ist nicht nur durch Geo-Ökonomie geprägt, sondern auch durch weitere strategische Aspekte: Russland benötigt den Iran als Gegenspieler zum Westen in der Golfregion, deshalb unterstützt Moskau den iranischen Führungsanspruch. Auf der anderen Seite lehnt der Kreml den Bau einer iranischen Atombombe strikt ab. Man möchte verständlicherweise keine zweite islamische Atommacht an seiner Grenze haben.

Konkurrierende Machtzentren im Iran

EM: Wer besitzt die Macht im Iran? Welche Rolle spielen die schwerreichen Eliten, die  Rafsanjanis, die Khameinis, die religiösen Stiftungen, die Basarhändler?

Mudhoon: Im Augenblick ist diese Frage sehr schwer zu beantworten. Nach der iranischen Verfassung bestimmt der Revolutionsführer die Grundlinien der Außen - und Sicherheitspolitik des Landes. Allerdings haben wir im Falle Iran mit einem Mischsystem zu tun, das durch viele miteinander konkurrierende Machtzentren gekennzeichnet ist. Nach den Protesten kann man jedoch von einer Machtverschiebung in Richtung Militärdiktatur sprechen, denn die politisch-ökonomische Führung der Geistlichkeit ist an die Generation der Kämpfer aus dem iranisch-irakischen Krieg übergegangen.

EM: Gibt es einen militärischen Arm oder einen militärisch-religösen Komplex im Iran?

Mudhoon: Es ist davon auszugehen, dass eine Machtverschiebung im iranischen Machtgefüge stattgefunden hat: von einer Dominanz der Geistlichkeit hin zu den paramilitärischen Kräften. Das ist übrigens auch Konsens in den meisten arabischen Massenmedien. In anspruchsvollen Zeitungen wie al-Hajat hat man sich zudem sehr für den Protest aus den Reihen des Klerus interessiert und diesen als historischen Einschnitt gewertet. Zuletzt sprach man von einem Gottesstaat ohne Gott, eine großartige Formulierung. Denn die velayat-e faqih, die Herrschaft des obersten Rechtsgelehrten, ist ja mit der systemkritischen Fatwa von Ajatollah Montazeri, der einen höheren theologischen Rang als der Führer Chamenei inne hat, faktisch untergraben worden.

„Der Iran wird im Kampf gegen Al-Kaida und in Afghanistan gegen die Taliban gebraucht.“

EM: Würde die Rolle Teherans ohne einen Präsidenten Ahmadinedschad anders aussehen? Wären der Westen und Europa also mit Führern wie Chatami oder Mussawi eher einverstanden?

Mudhoon: Selbst Chatamis Außenpolitik war nur im Stil anders. Der Iran betreibt lange schon eine islamo-nationalistische Politik und hat mit dem Atomkonflikt lagerübergreifend nationalistische Reflexe reaktiviert. Das muss man realistisch sehen. Aber ein Iran, der nicht nur sein Störpotenzial auslebt, könnte helfen, den Irak zu stabilisieren. Er würde mäßigend auf die Hamas einwirken und zur Entmilitarisierung der Hisbollah beitragen. Der Iran wird im Kampf gegen Al-Kaida und in Afghanistan gegen die Taliban gebraucht. Das wissen auch die USA. In Teheran ist man gegenüber den USA derzeit recht leise. Umgekehrt fiel auch die Kritik von US-Präsident Barack Obama zuletzt weitaus zurückhaltender aus als die der Europäer.

EM: Herr Mudhoon, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

Außenpolitik Interview Iran

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