Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung 1945 bis 2000GELESEN

Deutsche Außenpolitik zwischen Selbstbeschränkung und Selbstbehauptung 1945 bis 2000

Von Hans Wagner

Gebunden 536 Seiten, Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2001
ISBN: 3-421-05219-0

Preis: € 29,80

Die deutsche Nachkriegsgeschichte beginnt mit dem Sieg der Alliierten, mit Besatzung und Teilung. Helga Haftendorn, verfolgt ihren Fortgang akribisch bis zu jenem Glücksfall der Geschichte, der dann 1990 zur deutschen Vereinigung führte. Sie erläutert außerdem die Außenpolitik der ersten zehn Jahre nach der Vereinigung bis kurz vor der Jahrtausendwende.

Am Ende des letzten Kapitels legt sie in klaren, unverschnörkelten Worten das Prinzip der westdeutschen Außenpolitik dar, das auch zum außenpolitischen Prinzip des nunmehr vereinten Deutschlands geworden sei: „In den Jahren der Teilung und der Abhängigkeit von den Westalliierten haben die verschiedenen Bundesregierungen gelernt, daß sie dann den größten Einfluß ausüben konnten, wenn sie integrative Bindungen akzeptieren und das auf diese Weise gewonnene Vertrauenskapital dazu benutzen, um die Partner für die Berücksichtigung deutscher Interessen zu gewinnen.“

Über Egon Bahr, der die außenpolitische Maxime der sozialliberalen Koalition der 70er Jahre, den „Wandel durch Annäherung“ ersann, schreibt die Autorin: „Sein Motto war: Anpassung an die Interessenlage der Weltmächte so weit wie nötig, Einwirkung auf diese und Einbringung deutscher Belange so weit wie möglich.“

Durch diese Anpassungspolitik und später dann durch das zunehmende Verweisen der Bundesregierung auf die Kompetenzen der Europäischen Union, seien aber mögliche Partner auch immer wieder vor den Kopf gestoßen worden. So beispielsweise Rußland, das zu Beginn der neunziger Jahre eine viel stärkere Zusammenarbeit mit Deutschland gewünscht habe.

Auch diese Brüskierung und Zurückweisung der östlichen Großmacht, die sich inzwischen Amerika annähert, ist ein Kontinuum deutscher Nachkriegspolitik. Als der sowjetische Diktator Josef Stalin 1952 in der berühmten nach ihm benannten Note überraschend die Wiedervereinigung Deutschlands anbot, fand die Bonner Regierung sich nicht einmal zu einer Prüfung dieses Angebots bereit. Adenauer lehnte kategorisch ab. Helga Haftendorn gelangt nun nach Öffnung ehemaliger sowjetischer Archive zu der Auffassung, Moskau habe ernstlich nicht daran gedacht, dieses Angebot auch zu verwirklichen. Es sei als Störmanöver gegen die beginnende Westintegration der BRD gedacht gewesen.

Allerdings erfährt der Leser auch, daß es eine einflußreiche Gruppe in der Sowjetunion gegeben habe, angeführt vom damaligen Innenminister und Geheimdienstchef Lawrenti Berija, die ernsthaft den Plan eines neutralen, wiedervereinigten Deutschlands verfolgte. Die sowjetische Führung sei demnach in der Frage der Wiedervereinigung gespalten gewesen. Berijas Gruppe habe eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit einem vereinten Deutschland propagiert und sogar die Absetzung des damaligen Generalsekretärs der SED, Walter Ulbricht, erwogen.

Allerdings fanden die Kräfte, die in Deutschland seinerzeit Verbündete suchten, keine Ansprechpartner in Bonn. Das ist allen sowjetischen und russischen Politikern so ergangen, die je diesen Versuch gemacht haben. Die Gruppe um den Geheimdienstchef Berija geriet dadurch in die Isolation. 1956 wurde ihm seine Haltung gegenüber Deutschland letztendlich sogar zum Verhängnis. Gegen Lawrenti Berija kam es 1956 wegen ideologischer Abweichung zur Anklage. Er wurde verurteilt und hingerichtet.

Es ist ein spannendes Buch, das Helga Haftendorn über unsere jüngere deutsche Geschichte vorgelegt hat. Präzise und fundiert, dabei in allen Bereichen wirklich allgemeinverständlich formuliert. Ein gutes Buch, sehr empfehlenswert.

Die Autorin:

Prof. Dr. Helga Haftendorn lehrte von 1978 bis 2000 Politologie an der Freien Universität Berlin. Lehraufenthalte brachten sie außerdem nach Washington, Stanford, Harvard und Florenz. Ihr Forschungsschwerpunkt waren die deutsche und amerikanische Außenpolitik, die NATO und die internationale Sicherheitspolitik. Neben zahlreichen anderen Auszeichnungen erhielt die Autorin 1995 den renommierten Max-Planck-Forschungspreis für internationale Zusammenarbeit.

Außenpolitik Deutschland Rezension

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