09.08.2023 13:11:56
UKRAINE
Von Oksana Kurylas
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Der Grenzposten in Dorohusk. (Foto: Jan Zappner) |
iele Ukrainer aus den westlichen Regionen fahren seit Jahren nach Polen zur Arbeit. Der Andrang von Gastarbeitern lässt auch in Krisenzeiten nicht nach. Vor dem polnischen Konsulat in Lwiw (Lemberg) herrscht deshalb ein reges Gedränge. Die einen warten darauf, als nächste in das Gebäude hineingelassen zu werden, die anderen stehen draußen und tauschen sich über ihre Erfahrungen mit den Konsulatsbeamten aus.
Eine junge Antragstellerin kommt aus dem Konsulat und berichtet, dass sie nur oberflächlich befragt wurde. Eine Gruppe von sechs Frauen mittleren Alters steht ein Stück weiter. Sie alle sind erfreut und erleichtert, die Unterlagen bereits abgegeben zu haben. Nun hoffen sie, in etwa zehn Tagen die ersehnten Visa abholen zu können. Eine Bedingung sei sehr wichtig, erklärt eine Frau: „Die so genannte Zwischenzeit von sechs Monaten, die man nicht in Polen verbracht haben darf.“ „Und natürlich ist eine Einladung vom Arbeitgeber erforderlich“, fügt eine andere hinzu. In welchen Branchen und von wem sie dort beschäftigt werden, wollen die Frauen nicht sagen. Schließlich kommt die letzte aus der Gruppe nach und alle verschwinden in einem Kleinbus.
Zur gleichen Zeit am Seitenflügel des Konsulats bekommt eine andere Gruppe aus Ternopil in Ostgalizien ihre Reisepässe zurück. Manche haben auch Pech, wie ein junger Mann, der sich über einen Absagestempel ärgert und schimpft. „Die Unterlagen waren wohl nicht in Ordnung“, sagt der Wächter am Eingang. Der Enttäuschte macht sich davon.
Als Polen noch kein EU-Mitglied war, blieb der Grenzverkehr weitgehend unkontrolliert. Im Herbst 2003 wurde aber die Visumpflicht eingeführt. Dabei wurden die kostenlosen Polen-Visa durch Schengen-Visa abgelöst. Mit Erweiterung des Schengen-Raums Ende 2007 wurde der Transit durch Polen problematischer. Seitdem häufen sich die Fälle, bei denen die Reisenden in die EU auf ihren Rückfahrten in die Ukraine aus Polen ausgewiesen werden, weil angeblich die Einreisedokumente fehlen.
Ein Vorfall Anfang Januar sorgte für Aufregung. Er ging durch die polnische Presse und landete Anfang März vor einem polnischen Gericht. An Weihnachten wurde Iryna Frys mit einem für Deutschland gültigen Reisedokument an der deutsch-polnischen Grenze wegen illegaler Einreise nach Polen festgenommen. Dass sie bereits einige Male mehrere Transitländer durchfahren habe, interpretierte die polnische Polizei so, dass sie dabei Schmiergelder gezahlt haben müsse. „Die Grenzschutzpolizisten zwangen mich dazu, das Protokoll zu unterschreiben. Ich verlangte nach einer Erklärung, was die gesetzliche Grundlage für die Festnahme sei. Man nannte mir Beschlüsse, die es gar nicht gibt“, erzählt die junge Lektorin für Polnisch an der Iwan-Franko-Universität in Lwiw.
Nach einer Übernachtung in einer Zelle erfolgte eine Rückgabe nach Görlitz. Ohne irgendwelche Dokumente ausgehändigt bekommen zu haben, sollten die deutschen Behörden sie erwarten. Die deutsche Grenzschutzpolizei habe sich über die Angelegenheit nur gewundert. Mit einem Visum, das die Ausländerbehörde in Regensburg, wo die Lektorin geforscht hatte, verlängerte, konnte Iryna Frys per Flugzeug ausreisen. Von Lwiw aus hat sie dann eine Klage gegen den Missbrauch der Vollmachten durch die polnische Grenzschutzpolizei erhoben. Doch die Klage wurde abgewiesen.
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Iryna Frys wurde an der deutsch-polnischen Grenze in Zgorzelec verhaftet. Polnische Grenzbeamte warfen ihr illegale Einreise vor. (Foto: Oksana Kurylas) |
Iryna Frys will jetzt Berufung einlegen. Sie ärgert sich außerdem über das Benehmen der Beamten. „Die polnischen Grenzschutzbeamten erlaubten sich erniedrigende und beleidigende Äußerungen. Sie hatten gegenüber Ukrainern offenbar keine Hemmungen“, beschwert sich die junge Akademikerin. Die Klage der Ukrainerin ist bisher einmalig. Bislang habe kein Bürger der Ukraine wegen einer Festnahme durch die polnischen Grenzbeamten geklagt, erklärte der Grenzschutzdienst des KreisesŁużyck.
Roxolana Lemyk, Abgeordnete des Lwiwer Stadtrats, beschreibt die Unannehmlichkeiten, die für ihre Landsleute entstehen, wenn sie ins Ausland reisen wollen. „Eine elektronische Terminvereinbarung, wie es noch vor einigen Jahren Praxis war, wird vom polnischen Konsulat nicht mehr zur Verfügung gestellt“, erklärt sie. „Das Konsulat scheint nicht daran interessiert zu sein, das Verfahren zu erleichtern.“ Doch die Praxis ist: Die Visumantragsteller nehmen stundenlanges Warten vor den Konsulaten in Kauf und hoffen im Gespräch am Schalter nicht negativ aufzufallen.
„Am tschechischen Konsulat verdienen sich Zwischenhändler Geld, indem sie Wartenden für 200 US-Dollar einen freien Platz weit vorne in der Schlange anbieten“, erzählt Roxolana Lemyk. Mit Glück wird dennoch der Weg ins Nachbarland frei. „Früher gingen Leute gerne auf kurze Reisen nach Krakau, nach Zakopane oder in die Tatra zum Skifahren und machten Einkäufe im Grenzgebiet. Jetzt dürfen sie nur zu bestimmten Zwecken, auf Einladung von Freunden oder Bekannten über die Grenze.“ Seit der Erweiterung der EU seien die westlichen Nachbarländer für Ukrainer weitgehend verschlossen.
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Voller Stempel von der polnisch-ukrainischen Grenze waren die Pässe der Westukrainer bis zum Schengen-Beitritt Polens. Seitdem ist der Grenzübertritt schwieriger geworden. (Foto: Jan Zappner) |
Andersherum funktioniert der Reiseverkehr allerdings weitgehend problemlos: Reisende aus den EU-Ländern können seit 2005 visumfrei in die Ukraine einreisen. Seitdem hat sich die Anzahl der in die Ukraine Reisenden verdoppelt. Gerade Städte wie Lwiw sehen das als Chance, den Tourismus zu entwickeln. Der Ausschuss für Kultur und Fremdenverkehr, in dem Roxolana Lemyk mitwirkt, soll dafür sorgen, dass die Anziehungskraft und das touristische Potential von Lwiw steigen. „Dass für die westeuropäischen Touristen keine Visumpflicht besteht, motiviert uns, das Kulturangebot und Dienstleistungen zu verbessern“, sagt die Abgeordnete.
Die „Östlichen Partnerschaft“, die am 7. Mai zwischen der EU sowie Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Georgien, Moldau und der Ukraine in Prag gegründet werden soll, stellt für die Ukraine eine vollständige Abschaffung der Visumpflicht in Aussicht. Solange jedoch keine Visaerleichterungen für ukrainische Staatsbürger umgesetzt werden, erwägt das Präsidialamt in Kiew, die seit 2005 geltende Regelung für einen visumfreien Aufenthalt der EU-Bürger in der Ukraine außer Kraft zu setzen.
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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.
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