Die neuen Nachbarn der EUWEIßRUßLAND UND UKRAINE

Die neuen Nachbarn der EU

Mit der Osterweiterung wurden Belarus und die Ukraine zu Nachbarn der Europäischen Union. Die Perspektiven für die neu-nachbarschaftlichen Beziehungen sind nicht unproblematisch; beide Staaten stehen nunmehr geographisch wie politisch im Spannungsfeld zwischen Rußland und der EU. Momentan hat es den Anschein, als hielten sich alle Beteiligten vorerst verschiedene Optionen offen.

Von Nico Lange

EM – Im Artikel 56 der gerade unterzeichneten Verfassung der Europäischen Union heißt es: „Die Union entwickelt besondere Beziehungen zu den Staaten in ihrer Nachbarschaft, um einen Raum des Wohlstands und der guten Nachbarschaft zu schaffen, der auf den Werten der Union aufbaut und sich durch enge, friedliche Beziehungen auf der Grundlage der Zusammenarbeit auszeichnet.“ Die Umsetzung dieser Vorhaben dürfte für die neuen östlichen EU-Nachbarn Weißrußland und Ukraine schwierig werden.

Das Dilemma für die Politik der Europäischen Union ist offensichtlich: Betreibt man eine konsequente Politik der Abgrenzung und schließt auch langfristige Perspektiven für eine Integration der Nachbarn aus, so werden die ohnehin zu erwartenden Probleme der Vergrößerung des wirtschaftlichen Gefälles, der illegalen Migration und kriminellen Aktivitäten noch verstärkt. Darüber hinaus würden die Anreize für politische Liberalisierung und marktwirtschaftliche Öffnung in Belarus und der Ukraine deutlich sinken. Eine offenere Politik jedoch, die Beitrittsperspektiven nicht ausschließt und die wirtschaftliche Kooperation stärker fördert, birgt die Gefahren einer dauerhaften Legitimierung der derzeitigen autoritären bzw. oligarchischen Regime und einer Schwächung der Reformprozesse in sich.

Die EU behandelt das Problem in der typischen Weise. Nachdem man sich im Erweiterungsprozeß ohnehin erst spät mit den zukünftigen Nachbarn beschäftigte, wurde kurzfristig eine „Task Force“ unter Leitung von Kommissar Verheugen einberufen. Diese hat die Aufgabe, Strategien zur Vermeidung der beschriebenen Abgrenzungsprobleme zu entwickeln. Man möchte, so Verheugen, Weißrußland und die Ukraine nicht ins Abseits drängen.

Eine stärker integrative Politik der EU ruft dabei aber immer auch potentielle Konflikte mit Rußland auf den Plan, das seinerseits bestrebt ist, die beiden Staaten noch stärker in den eigenen Wirtschaftsraum einzubinden

Die EU in Konkurrenz zu Rußland?

In der Vergangenheit machte Rußland in bezug auf die beiden Staaten Vormachtsansprüche geltend. Aus Moskau waren immer wieder politische Stimmen zu vernehmen, die Angst vor „Sonderbeziehungen“ der EU zu einzelnen Ländern der GUS äußerten und eine Beschädigung der Wirtschaftsintegration in der „Gemeinschaft der Vier“ (Rußland, Ukraine, Weißrußland und Kasachstan) befürchteten. Aus der Sicht Moskaus sollte die EU lieber stärkere Beziehungen zu Rußland entwickeln und dessen führende Rolle in der Region stärken. Noch bis vor kurzem war in Presse und Politik immer wieder davon zu hören, daß „Gegenmaßnahmen“ gegen die Annäherung der neuen Nachbarn an die EU ergriffen werden müßten.

Schaut man genauer hin, so entpuppen sich die Bemühungen Rußlands, die politische Integration des einheitlichen Wirtschaftsraumes mit Belarus, der Ukraine und Kasachstan stärker voranzutreiben jedoch überwiegend als Rhetorik. Im Unterschied zur Regierung Jelzin befindet sich die Putin-Administration auf einem eher pragmatischen Kurs, in dem vor allem die jeweiligen bilateralen Beziehungen zu diesen Staaten im Vordergrund stehen. Die multinationalen Integrationspläne sind einer differenzierten Herangehensweise an die einzelnen Staaten gewichen.

Für Weißrußland bedeutet das konkret, daß Rußland auch weiterhin eine sehr enge bilaterale Bindung anstreben wird und eine Orientierung des Landes in Richtung EU konsequent zu verhindern sucht. Nicht zuletzt hier liegt der Grund für die anhaltende Unterstützung Moskaus für den extrem antiwestlichen Präsidenten Lukaschenko (siehe auch den Artikel von Ulrich Heyden in dieser Ausgabe). Eine zukünftige Änderung der Haltung Moskaus ist jedoch nicht völlig ausgeschlossen. Die Pläne Lukaschenkos zur Verfassungsänderung zur Einführung der dritten präsidialen Amtsperiode wurden kürzlich auch von einigen russischen Politikern scharf verurteilt.

Im Gegensatz dazu hat Rußland die Unabhängigkeit der Ukraine trotz aller anderslautenden Rhetorik wohl endgültig anerkannt und übt sich diesbezüglich in ‚Schadensbegrenzung’. Nicht zuletzt der offizielle Besuch Putins bei den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag im Kiew machte dies kürzlich deutlich. Die unmittelbar bevorstehende Wahl des Präsidenten in der Ukraine wird in der russischen Öffentlichkeit häufig als Richtungsentscheidung zwischen Rußland und Europa dargestellt. Putin reiste persönlich in die Ukraine, um den Rußland genehmen Kandidaten zu unterstützen. Die entscheidenden Faktoren für die Orientierung der Ukraine nach Westen oder Osten liegen jedoch auf einer anderen Ebene. Im Wissen um die starke wirtschaftliche Abhängigkeit der Ukraine besitzt Rußland ein enormes Potential zur Einflußnahme, das man sicher nutzen wird, sollte sich die Ukraine konsequent in Richtung EU orientieren.

Man sollte jedoch bei all dem nicht vergessen, daß auch Rußland stark an einer „privilegierten Zusammenarbeit“ mit der Europäischen Union interessiert ist. Nicht zwangsläufig läuft die Entwicklung also auf eine Integrationskonkurrenz zwischen Rußland und der EU um die neuen Nachbarstaaten hinaus.

Wie sehen nun aber die Interessenlagen innerhalb der Staaten aus?

Weißrußland – Isolation und Machterhalt

Präsident Lukaschenko hat seine Ziele bereits mehrfach klar formuliert. Für ihn dient die EU gewissermaßen als Modell für eine zukünftige russisch-weißrussische Integration. Die sporadische EU-Orientierung dient wohl vor allem als rhetorisches Mittel um Rußland zu politischen Zugeständnissen gegenüber Minsk zu bewegen. Lukaschenko kann die Orientierung an die EU schon allein deshalb nicht ernsthaft verfolgen, weil der Machterhalt offenbar das oberste Ziel seiner Politik darstellt. Die Forderungen der Europäischen Union nach Reformen und pluralistischer Öffnung sind für ihn nicht erfüllbar.

Letztlich muß Lukaschenko jedoch befürchten, daß die Integration mit Rußland zum vollständigen Verlust der eigenen Souveränität führen könnte. Zu diesem Umstand kommt die Tatsache, daß Weißrußland als Transitland und vor allem als Exportland an der Intensivierung der Beziehungen zur EU interessiert sein wird. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, daß Präsident und Außenminister aktuell verstärkt Anstrengungen für das „konstruktive zwischenstaatliche Zusammenwirken“ (Lukaschenko) zwischen Weißrußland und der Europäischen Union unternehmen.

Ukraine – „Europäische Wahl“?

Sowohl für Rußland als auch für die EU ist die Ukraine zweifellos das bedeutendere der beiden Länder. Zugleich sind die zu erwartenden Probleme wohl auch größer.

Aus der Sicht der EU ist festzuhalten, daß die Ukraine sich entgegen vieler Erwartungen als politisch überraschend stabil erweisen hat. Darüber hinaus wurden einige wichtige Forderungen der Union erfüllt: die Atomwaffen wurden abgetreten, das Kernkraftwerk in Tschernobyl ist stillgelegt und das Wirtschaftswachstum weist solide Werte auf. Nach einer Phase des Balancierens zwischen Ost und West scheint die Ukraine nun – zumindest offiziell – den Beziehungen zur EU den Vorrang zu gewähren. Die Verchovna Rada, das ukrainische Parlament, verabschiedete unlängst ein Positionspapier mit dem Titel „Die Europäische Wahl“, in dem ein stufenweiser Beitritt zur EU bis 2011 als Ziel formuliert wird. Parlament und Öffentlichkeit zeigten sich über fehlende diesbezügliche Perspektiven aus Brüssel enttäuscht.

Dort sieht man die proeuropäischen Äußerungen vor allem als Lippenbekenntnisse an, denen nur sehr wenige der angemahnten innenpolitischen Reformen folgen. Man ist sich bewußt, daß die Geschicke der Ukraine nach dem Übergang „von der Planwirtschaft zur Clanwirtschaft“ vor allem von den Oligarchen bestimmt werden. Ihre Interessen liegen auf der Hand: Einerseits wollen sie Abstand von Rußland wahren, um von ihren dortigen „Kollegen“ nicht vereinnahmt zu werden, andererseits würde eine tatsächliche Hinwendung zur EU mit den geforderten politischen und wirtschaftlichen Reformen die Grundlage ihrer Macht gefährden. Es ist daher anzunehmen, daß sie auch weiterhin versuchen werden, die Ukraine auf einem „Schlingerkurs“ zwischen Rußland und der EU zu halten.

Wohin soll die Reise gehen?

Man kann derzeit den Eindruck gewinnen, daß alle Beteiligten zweigleisig fahren: Die EU schließt mit ihrer „Politik der halboffenen Tür“ langfristige Beitrittsperspektiven für die beiden neuen Nachbarstaaten Weißrußland und die Ukraine nicht völlig aus, verhandelt aber mit dem Kreml über eine privilegierte Partnerschaft mit der EU und erkennt dessen Führungsrolle gegenüber Minsk und Kiew an. In der Ukraine übt man sich zwar in pro-europäischer Rhetorik, kann es sich aber nicht leisten, mit dem stärkeren Partner Rußland zu brechen. Selbst in Weißrußland gibt es immer wieder Stimmen für eine Partnerschaft mit der EU. Rußland laviert zwischen zwei politischen Linien: Einerseits arbeitet es mit der EU an der Schaffung europäischer Räume, andererseits verfolgt es gegenüber den schwächeren Partnerländern der „Gemeinschaft der Vier“ wirtschaftliche Machtpolitik. Und zwar immer dann, wenn diese Staaten den vom Kreml gewünschten politischen Kurs zu verlassen drohen. Man fragt sich unwillkürlich, wer hier zukünftig die Politik bestimmen wird. Vermutlich diejenige Partei, die sich zuerst für eine klare Linie entscheidet.

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Den Text der Mitteilung der Europäischen Kommission an den Rat und das Europäische Parlament finden sie hier: "Größeres Europa - Nachbarschaft"

Eine ausführliche Studie zum Thema finden Sie bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Zu den Beziehungen Ukraine-EU finden Sie einen lesenswerten Artikel in den Auslandsinformationen der Konrad-Adenauer-Stiftung.

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