Ein Land kommt nicht zur RuheABCHASIEN

Ein Land kommt nicht zur Ruhe

Am 4. März fand in der von Georgien abgefallenen Provinz Abchasien die erste Runde der Parlamentswahlen statt. Doch Abchasien kommt trotz russischer Friedenstruppen und einer Beobachterdelegation der Vereinten Nationen nicht zur Ruhe. In der Nacht auf den 12. März kam es nach georgischen Berichten zu einem Angriff von mysteriösen Hubschraubern auf den von Georgien kontrollierten Teil des Kodori-Tals. Nach Meinung der georgischen Regierung steckt Moskau hinter dem Angriff.

Von Ulrich Heyden

E s vergehen keine sechs Monate, in denen es in der von Georgien abgespaltenen Provinz Abchasien nicht zu ernsten Spannungen kommt. Im September letzten Jahres hatte Tiflis Polizeikräfte in den oberen Teil des zu Abchasien gehörenden Kodori-Tals verlegt und dort eine abchasische Parallelregierung installiert. Damit wollte man offenbar den Machtanspruch der abchasischen Separatisten, die seit 1992 in Suchumi regieren, zurückweisen. Seitdem in Europa über eine begrenzte Unabhängigkeit des Kosovos diskutiert wird, macht sich auch die Separatisten-Regierung in Suchumi Hoffnungen auf die staatliche Anerkennung, vor allem von Seiten Russlands.

Das Macht-Gerangel um Abchasien ist auch ein Gerangel zwischen Russland und den USA. Die Vereinigten Staaten unterstützen Georgien finanziell und militärisch. Von Washington verspricht sich der georgische Präsident Michail Saakaschwili Unterstützung bei der Rückgewinnung der 1992 im Bürgerkrieg verlorenen Provinz Abchasien.
 
Brennpunkt der Spannungen in Abchasien ist das Kodori-Tal. Der untere Teil des Tals wird von der Separatisten-Regierung, der obere Teil des Tals von Tiflis kontrolliert. An der Grenze zwischen oberem und unterem Teil des Tales gibt es zwei Posten der russischen Friedenstruppen. Sie sind aufgrund eines Mandats der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) tätig. Außerdem patrouillieren im Kodori-Tal unbewaffnete Soldaten der Beobachtertruppe der Vereinten Nationen UNOMIG in gepanzerten Fahrzeugen und wachen über die Einhaltung des Waffenstillstands.

Mysteriöser Hubschrauberangriff

In der Nacht auf den 12. März kam es im oberen Teil des Kodori-Tals erneut zu einem ernsten Zwischenfall. Mehrere Dörfer in dem von Georgien kontrollierten Teil des Tals wurden nach georgischer Darstellung von zwei Hubschraubern beschossen, die aus Russland kamen. Zeitgleich wurden die Dörfer im oberen Teil des Tals von „Grad“-Raketenwerfern beschossen. Die Raketen seien von abchasischem Territorium abgefeuert worden, erklärte das georgische Verteidigungsministerium. Die Beschießung dauerte 40 Minuten. Tote gab es nicht. Der abchasische Präsident Sergej Bagapsch lehnte jede Verantwortung für den Zwischenfall ab, ohne sich zu den Vorwürfen im Einzelnen zu äußern.

Auch während der Wahlen gab es Spannungen

Auch die Parlamentswahlen in Abchasien am 4. März waren von Spannungen überschattet. Am Grenzfluss Inguri, im Süden Abchasiens, verhafteten abchasische Grenzposten drei Jugendliche. Bei den Festgenommenen handelte es sich angeblich um georgische „Provokateure“. Sie hätten Anweisungen bei sich getragen, wie die Wahlen in Abchasien gestört werden sollen, berichtet ein abchasischer Grenzpolizist im persönlichen Gespräch. Am Sonnabend, einen Tag vor der Wahl, demonstrierten 1.500 georgische Jugendliche am Grenzfluss gegen die Wahlen. Ein offizieller Vertreter des abchasischen Präsidenten drohte sogar mit Schusswaffeneinsatz, wenn die Demonstranten die Brücke über den Grenzfluss Inguri überschritten.

Separatisten-Präsident Sergej Bagapsch besuchte persönlich mehrere Wahllokale im Süden Abchasiens. Ein Kolonne von schwarzen und militär-grünen Geländewagen raste auf der holprigen Landstraße am Schwarzen Meer Richtung Süden. Bagapsch wollte mit seiner Präsenz im Gali-Bezirk demonstrieren, dass die dort lebenden Georgier in Ruhe wählen können. Georgische Organisationen hatten zum Wahlboykott aufgerufen. Von den etwa 200.000 Georgiern, die während des Bürgerkriegs 1992 aus Abchasien flüchteten, sind inzwischen 60.000 wieder zurückgekehrt. Sie leben vorwiegend im Gali-Bezirk.

Zur Wahl in Abchasien waren 130.000 Wahlberechtigte aufgerufen. 108 Kandidaten stellten sich der Abstimmung. Die Wahlbeteiligung lag offiziellen Angaben zufolge bei 47 Prozent. Weil in 17 der insgesamt 35 Wahlkreise im ersten Wahlgang keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erhielt, soll am 18. März nachgewählt werden.

Saakaschwili: Wahlen nicht legitim

Der georgische Präsident Michail Saakaschwili kritisierte die Wahlen mit scharfen Worten. Auf einer Militärbasis in Gori, erklärte Saakaschwili, die junge Generation werde sich niemals mit dem Verlust Abchasiens abfinden. Wahlen in der abgespaltenen Provinz wären solange nicht legitim, bis nicht alle georgischen Flüchtlinge zurückgekehrt seien. Auch die EU und die USA kritisierten die Wahlen, weil die Flüchtlinge nicht mitwählen konnten.

Die in Abchasien stationierte russische Friedenstruppe will Saakaschwili möglichst schnell durch eine EU-Friedenstruppe ersetzen. Zuvor müsste Georgien, welches in die Nato strebt, jedoch aus der GUS austreten, denn die russische Friedenstruppe wurde auf Beschluss der GUS in Abchasien stationiert. Saakaschwili hofft, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, der am 1. April über Abchasien berät, die Rolle der russischen Friedenstruppe als „stabilisierende Kraft“ nicht bestätigt.

Die OSZE hatte zu den Wahlen keine Beobachter entsandt. Stattdessen war eine kleine Beobachter-Gruppe angereist. Zu der Gruppe gehörte - neben zahlreichen Duma-Abgeordneten - die Chefredakteurin einer russischen Emigrantenzeitung in Jordanien, ein Vertreter der „Front Polisario“ (Westsahara), ein Vertreter von „Kurdistan TV“ und ein Abgeordneter der „Liga polnischer Familien“. Die Beobachter registrierten beim Wahlverlauf keine Störungen.

„Normale Demokratie“

Präsident Sergej Bagapsch war gegenüber dem russischen Fernsehen voll des Lobes über die Abstimmung. „Diese Wahl ist mit keiner vorherigen zu vergleichen. Diesmal gibt es eine Opposition, eine freie Presse. Alle Merkmale der Demokratie bestehen heute in Abchasien“, erklärte er. Das Land habe ein größeres Recht auf Unabhängigkeit als das Kosovo, fügte Bagapsch hinzu.

Kurz vor der Parlamentswahl hatten sich 29 Kandidaten zu einem Oppositionsbündnis zusammengeschlossen. Die Kandidaten kritisieren, dass der Präsident seine „administrativen Ressourcen“ nutze, um ihm genehme Kandidaten zu stärken. Außenpolitisch ist der Präsident – nach Meinung der Opposition – „zu weich“ gegenüber Tiflis. Die Opfer des Bürgerkrieges sind bei den Menschen noch in frischer Erinnerung. Als Beobachter hat man den Eindruck, dass es eine Versöhnung mit Georgien wohl erst in der nächsten Generation geben kann.

Unabhängigkeit von Tiflis teuer erkauft.

Das eiserne Festhalten an der Unabhängigkeit wirkt für den Besucher Abchasiens erstaunlich, denn dieser Kurs erfordert von den Menschen in Abchasien erhebliche Opfer. Es gibt praktisch keine großen Wirtschafts-Investitionen. Zwischen Suchumi und Gali fährt man kilometerweit an ausgebrannten und verlassenen Wohnhäusern und Fabriken vorbei. Nur sehr langsam kommt der Wiederaufbau voran. Die Menschen leben von dem, was im Garten wächst und den Mandarinen, Mimosen und Nüssen, die Händler in Russland verkaufen. Der Monatslohn liegt bei 40 Euro. Die Renten zahlt Russland. Die Abchasen hoffen auf die russischen Touristen, die trotz der Spannungen mit Tiflis an den Stränden Abchasiens ihren Urlaub verbringen. Russland erleichterte im letzten Jahr die Einreise nach Abchasien.

Hoffnung auf Frieden

Vor dem Wahllokal in der Stadt Gali stoppte der Konvoi des Präsidenten. Scharfschützen der präsidialen Leibwache gingen in Stellung. Während der Präsident in einem Hinterzimmer mit der örtlichen Verwaltung und Vertretern der Wahlkommission tagte, drängten Menschen mittleren Alters in das Wahllokal. Gegenüber Journalisten sind die Menschen zurückhaltend. „Ich hoffe, dass wir Frieden haben und alles besser wird“, meint ein Georgier, der seinen Namen nicht nennen will. Die Aufrufe zum Wahlboykott haben die Georgier im Gali-Bezirk - soweit zu sehen war - nicht befolgt. Man geht zur Wahl, auch um zu zeigen, dass man ein loyaler Bürger ist.

Zentralasien

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