Ein steiniger PfadNATO - RUSSLAND

Ein steiniger Pfad

Schon seit dem Untergang des Warschauer Paktes und der Auflösung der Sowjetunion steckt die NATO in einer Identitätskrise. Wie sollen die Beziehungen zum neuen Russland aussehen? Inwieweit ist die Gründungsidee der NATO mit einer partnerschaftlichen Beziehung Russland vereinbar? Ist für die Mehrheit der politischen Kräfte in Russland eine solche partnerschaftliche Beziehung mit der NATO annehmbar? Welche Fakten sprechen für eine Mitgliedschaft Russlands in der NATO und welche dagegen? Fragen von globaler Bedeutung, auf die hier Antworten gesucht werden.

Von Kenan Engin

Die Kooperation zwischen NATO und Russland in unterschiedlichen institutionellen Formen begann im Dezember 1991 und führte 2002 zur Gründung des NATO-Russland-Rats (NRC). Dieser Rat sollte gegenseitige Konsultationen ermöglichen, gemeinsame Entscheidungsfindungen und Aktivitäten erleichtern und regeln (Klein:2010). Dies spielte nach dem Anschlag auf das Word Trade Center 9/11 eine sehr wichtige Rolle. Damals, nach dem September 2001 erarbeiteten die beiden Seiten gemeinschaftlich Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Dies war zwar ein wichtiger Schritt vereinten Handelns, aber andere Fragen blieben strittig. Der NATO-Russland-Rat war nicht in der Lage, bei den hochbrisanten Themen wie Rüstungskontrolle und militärischer Kooperation einen Konsensus zu finden.

Die Ineffektivität der partnerschaftlichen Kooperation lag und liegt daran, dass die Beziehungen zwischen Russland und der NATO außer durch die Erblasten des Kalten Krieges noch von zwei großen Krisen belastet wurden. Zuerst erreichte das gegenseitige Verhältnis während des Kosovo-Krieges 1999 seinen historischen Tiefstand, nachdem die NATO serbische Territorien aus der Luft  angegriffen hatte. Die russische Regierung fror daraufhin die Beziehungen und jede Zusammenarbeit für ein halbes Jahr ein.

Georgienkrieg: Russische Machtdemonstration gegen die NATO

Auslöser der zweiten Krise war der Georgienkrieg im Sommer 2008. Eigentlich hatten sich die Beziehungen zwischen Russland und der NATO schon ab 2004 verschlechtert, nachdem Polen, Tschechien, Ungarn und acht weitere osteuropäische Staaten in die NATO aufgenommen wurden. Durch die sukzessiv näher rückenden NATO-Grenzen und den Beitrittswunsch von Georgien und der Ukraine in die NATO fühlte sich Russland bedroht (Bidder: 2010). Russland sah und sieht die Versuche der NATO unter der Führung der USA, im Kaukasus Einfluss auszuüben, als Versuch, eine unipolare Welt unter amerikanischer Dominanz zu konsolidieren. Dies wurde vom russischen Ministerpräsident Medwedew scharf kritisiert: „Die Welt muss multipolar sein. Eine unipolare Welt ist inakzeptabel. Vorherrschaft ist inakzeptabel. Wir können keine Weltordnung akzeptieren, in der alle Entscheidungen von einem einzigen Land getroffen werden. (…) Eine solche Welt ist instabil und birgt das Risiko von Konflikten.“ (Mellenthin:2008) Deshalb wird der Georgienkrieg von unterschiedlichen Expertenkreisen  als die erste russische militärische Machtdemonstration interpretiert, die sich gegen die Ausdehnungspolitik der NATO richtete.

Mit dem Ausbruch des Krieges im Sommer 2008 hatten beide Partner die Zusammenarbeit im NATO-Russland-Rat beendet. Die Beziehungen wurden auf Eis gelegt, bis die US-Außenministerin Hillary Clinton und ihr russischer Amtskollege Sergej Lawrow den Neustart angekündigt haben, welcher von den europäischen Ländern wie Deutschland ein positives Echo fand. Der NATO-Generalsekretär Rasmussen begrüßte ebenfalls den Neustart der Beziehungen, den er als das Ende der „kleinen Eiszeit“ bewertete (Tagesspiegel: 04.11.2010).

Die zweite Krise zeigte abermals, dass der NATO-Russland-Rat seine Rolle nicht effektiv spielen konnte. Insbesondere gelang es ihm nicht, gegenseitige Ängste und Bedenken durch konstruktive Zusammenarbeit abzubauen, weshalb die Basis einer (sicherheits)politischen, auf gemeinsamen Interessen beruhenden Partnerschaft nicht entstehen konnte (Rühe:2010, Klein:2010). Die Ankündigung von Rasmussen zu einem „Neustart“ 2009 in den Beziehungen und sein Besuch in Moskau, bei dem er sich für eine „wahre“ Partnerschaft aussprach, stabilisierten gewissermaßen die schwankenden Verhältnisse zwischen beiden Seiten.

Erblasten des Kalten Krieges: Vertrauenskrise und Hindernisse

Auch nach dem Ende des Kalten Krieges glauben viele russische Politiker, dass die NATO als eine ursprünglich gegen die Sowjetunion gerichtete Allianz, auch weiterhin feindliche Absichten gegen Russland hegt und seine Macht einzudämmen versucht. In der russischen Bevölkerung gibt es ebenfalls ein großes Misstrauen. Laut einer Studie sehen etwa 60 Prozent der Russen die heutige NATO immer noch als Rivalen (Bidder/Puhl/Schmitz/Volkery/Wittrock: 2010). Diese misstrauische Haltung findet auch in der Wissenschaft große Unterstützung. Der Außenpolitikexperte Lukjanow bestätigt: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass Russland einer amerikanischen Vorherrschaft in diesem Block so zustimmt, wie das Europäer gemacht haben.“ (zitiert nach Bidder/Puhl/Schmitz/Volkery/Wittrock: 2010)

Des Weiteren kann man von zwei wesentlichen Problemfeldern sprechen: die NATO-Osterweiterung und der Streit über die Pläne zum Bau eines Raketenabwehrsystems. Das erste Problem leitet sich partiell von traditionellen Feindbildern des Kalten Krieges sowie von Erfahrungen im Umgang miteinander seit der Auflösung der Sowjetunion her. In den osteuropäischen und baltischen Staaten assoziiert man heute noch Russland mit vormaliger sowjetischer Herrschaft und betrachte es als Quelle der Gefahr. Demgegenüber herrscht in Moskau die Stimmung, dass die NATO als eine aggressive und expansionistische Allianz mit ihrer Osterweiterungspolitik die russische Schwäche ausnutze, um dessen Macht in der Weltpolitik zu minimalisieren (Antonenko/Giegerich:2009, Klein:2010).

Russland sieht die Rolle der NATO als beendet an

Das zweite Problem rührt von unterschiedlichen und konträren ordnungspolitische Vorstellungen der NATO und Russlands her. Insbesondere zeigte sich dies während der Ära George W. Bushs. Er unterschätzte Russlands Rolle für die Weltsicherheitspolitik und sah es als „eine vernachlässigbare Größe der europäischen Sicherheitspolitik“ (Klein: 2010). Dies erweckte in Russland den Eindruck, man sei den USA nur willkommen, um bei gemeinsamen Interessen zusammenzuarbeiten, nicht aber, sobald man Einwände äußerte oder eigene Vorschläge machte (Rühe: 2010). Dagegen sieht Russland die Rolle der NATO mit der Auflösung des Warschauer Paktes als beendet an und fordert ein neues Sicherheitssystem, um die Bedeutung und Rolle der NATO in der Weltsicherheitspolitik zu reduzieren (Antonenko/Giegerich: 2009).

Braucht die NATO Russland?

Die NATO sollte sich in naher Zukunft entscheiden, ob sie Russland innerhalb oder außerhalb der Allianz sieht. Diese Kernfrage sollte auch von der russischen Seite geklärt werden und beide Seiten sollen und müssen sich in diesem Kontext einigen.

Heute kommen immer mehr Politiker und Experten sowohl aus NATO-Staaten als auch aus Russland zu der Einschätzung, dass angesichts der globalen Herausforderungen eine gemeinsame Sicherheitspolitik nötig sei. Denn in vielen Regionen der Welt haben Europa, die USA und Russland gemeinsame Interessen, die durch den internationalen Terrorismus, die Proliferation von Waffen und Massenvernichtungsmitteln und instabile Regierungen im Nahen Osten, in Zentralasien und der Kaukasusregion gefährdet sind (Antonenko/Giegerich:2009). Diese Herausforderungen können nur durch eine breit angelegte Strategie, die anstatt militärischer Angriffe bzw. Interventionen die Rolle der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Faktoren besonders hervorhebt, und eine gut organisierte Zusammenarbeit gemeistert werden (Rühe: 2010).

Zur Notwendigkeit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik

Im Folgenden sollen nun einige Problemfelder betrachtet werden, die die Notwendigkeit einer gemeinsamen Sicherheitspolitik untermauern. Erstens der Krieg gegen die Taliban in Afghanistan. Russland beobachtet den Verlauf des Krieges mit Besorgnis. So Russlands Botschafter Dmitrij Rogosin bei der Nato: “Heute kämpfen in Afghanistan Seite an Seite mit den Taliban auch Tausende freiwillige Kämpfer aus anderen Ländern. Siegen die Aufständischen, fürchte ich, dass die Kämpfer in andere zentralasiatische Länder einsickern, um dort eine islamische Revolution anzuzetteln. Das ist ein Problem auch für Russland, denn in der Region leben viele Russen.“(zitiert nach Bidder: 2010).

Die Instabilität des Landes könnte tatsächlich dazu führen, dass Zentralasien insgesamt in ein ökonomisches, politisches und militärisches Chaos geriete. Das würde die Interessen auch von Russland beeinträchtigen würde. Eine noch intensivere logistische bzw. militärische Unterstützung durch Russland, die durch den Lissaboner Vertrag, (ermöglicht den Transit von Truppenmaterial durch Russland), schon eine gewisse Kooperationsbasis besitzt, wäre für den Afghanistan-Krieg von enormer Bedeutung.

Zweitens ist die Stabilisierung der Krisenregionen, die sich in der „Einflusszone“  (Halbach: 2009) von Russland befinden, enorm wichtig. Ein effektives und diplomatisches Vorgehen ohne Polarisierungspolitik von Seite Russlands würde das Konfliktrisiko im Kaukasus und in Zentralasien reduzieren, wo in Zukunft aufgrund der dortigen Energiereserven Spannungen wahrscheinlicher werden.

Drittens ist es das iranische Atomprogramm, das den Westen relativ beunruhigt. Eine zufriedenstellende Lösung dieser Problematik ohne aktive Beteiligung von Russland lässt sich kaum vorstellen. Dies zeigt sich offen bei den gegen den Iran verhängten Sanktionen, die ihre Wirksamkeit nur durch multilaterales Handeln unter Einbeziehung der russischen Vetomacht im UN-Sicherheitsrat entfalten können (Deep/Seifert: 2010). Allerdings beteiligt sich Russland am  iranischen Atomprogramm bis dato aufgrund seiner wirtschaftlichen Interessen im Iran – Öl, Gas, Rüstungsexporte-   nicht engagiert (Finger: 2007).

Die NATO wird auf die Wertegemeinschaft verweisen

Aus dieser Perspektive betrachtet, sollte die NATO ihre neue Strategie an diese globalen Herausforderungen anpassen. Deswegen sollte die NATO ihre Türen zu Russland als Mitglied bzw. zu einer wahren Partnerschaft öffnen. Nur dadurch würden Energiesicherheit, Abrüstung bzw. Ausrüstungskontrolle, Kampf gegen internationalen Terrorismus und illegalen Handel sowie die Entschärfung von Konfliktrisiken im Nahen Osten, in Zentralasien und im Kaukasus geschaffen werden.

Während sich die NATO auf die Mitgliedschaft bzw. effektive Partnerschaft umstellt, sollte Russland auch grundlegende Voraussetzungen zum Beitritt erfüllen. Obwohl der Washingtoner Nato-Vertrag nicht ausdrücklich und detailliert definiert, was die Voraussetzungen eines Beitrittes sind, liegt auf jeden Fall noch ein weiter Weg vor Russland. Es wird erwartet, dass Russland den Schutz der Menschenrechte, die Einhaltung der Prinzipien des Rechtsstaates, zu denen politischer Pluralismus, freie Marktwirtschaft, Pressefreiheit und andere Grundrechte gehören, gewährleistet. Diese Kriterien sind sowohl innerhalb der NATO-Mitgliedstaaten als auch der EU-Zone die eigentliche Grundlage von Stabilität und Sicherheit. Die NATO wird deshalb darauf verweisen, dass die Nordatlantische Allianz eine Wertegemeinschaft sei und alle Mitglieder und Beitrittskandidaten diese Werte vertreten und in der Praxis umsetzen sollten (Schlotter: 2011). Dieser Prozess kann in Russland noch längere Zeit in Anspruch nehmen. Jedoch hat die Aussicht einer Mitgliedschaft bislang bei allen Beitrittskandidaten eine Dynamik ausgelöst, die schließlich zum Wertekonsens führte (Rühe/Naumann/Elbe/Weisser: 2010).

Der Weg zur erfolgreichen Zusammenarbeit

Trotz der sicherheitspolitischen und geostrategischen Fakten, die eine effektive Zusammenarbeit zwischen der NATO und Russland wünschenswert erscheinen lassen,  soll nicht außer Acht gelassen werden, dass es zwischen beiden Polen eine tiefe Vertrauenskrise und grundlegende ordnungspolitische Antagonismen gibt, die die gegenseitigen Beziehungen beeinträchtigen. Um diese Gegensätze abzubauen, sollten die folgenden Schritte unternommen werden.

Abbau der Vertrauenskrise

Vor allem sollte ab jetzt ein diplomatisches Vorgehen bevorzugt werden, das keine neuen Divergenzen hervorruft. Deswegen sollte darauf geachtet werden, dass die NATO ihre politische Erklärung zur Osterweiterung, die 2008 in Bukarest verabschiedet wurde, mit großer Sensibilität umsetzt (Bidder/Puhl/Schmitz/Volkery/Wittrock: 2010). Dabei sollte Russland zwar kein Vetorecht zugestanden werden, aber andererseits könnte eine rasche Aufnahme Georgiens und der Ukraine ohne Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen die Beziehungen zwischen Russland und der NATO verschlechtern und die politische Glaubwürdigkeit der NATO beeinträchtigen (Dox: 2010).

Vertrauensbildende Maßnahmen

Um die bisherige Vertrauenskrise zu überbrücken, sollten vertrauensbildende Maßnahmen gestärkt werden. Im Dezember 2009 vereinbarten beide Seiten, die neuen globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gemeinsam zu bewerten und zu erarbeiten, was als wichtiger vertrauensbildender Schritt betrachtet werden kann. Dies sollte durch einen intensiven Dialog zu Fragen der Militärreform ergänzt werden. Ferner sollte die Rolle des NATO-Russland-Rates gestärkt werden, damit die gegenseitigen Kommunikationskanäle nicht von einer Seite geschlossen werden können(Klein: 2010).
Intensivierung der praxisbezogenen Arbeit
Für die Verbesserung der Beziehungen kann auch eine praxisbezogene Kooperation einen Beitrag leisten. Eine praktische Zusammenarbeit in Afghanistan in Fragen wie Transit, Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Streitkräfte sowie der  Bekämpfung des Drogenhandels wäre ein wichtiger Schritt, der durch ein formelles Abkommen zwischen der NATO und der Organisation des Vertrages für gemeinsame Sicherheit (OVKS) ¬– der Russland, Belarus, Kirgistan, Armenien, Usbekistan und Kasachstan angehören – abgeschlossen werden kann. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass man dem regionalen Dominanzstreben Russlands keinen Vorschub leistet. Um das vermeiden zu können, dürften solche formelle Übereinkünfte die bilaterale Zusammenarbeit der Nordatlantischen Allianz mit den OVKS-Staaten nicht ersetzen. Darüber hinaus bietet die Bekämpfung der Piraterie und gemeinsames Handeln gegen den Drogenschmuggel in Afghanistan und in der benachbarten Regionen nach einem einheitlichen Plan eine weitere günstige Kooperationsmöglichkeit an.

Abschwächung der konträren Positionen

Die bisherigen erwähnten Maßnahmen zielen darauf, die Zusammenarbeit zu erweitern, was allerdings für eine etablierte und gut funktionierende Partnerschaft nicht ausreichend ist. Diese muss durch Abschwächung der grundlegenden ordnungspolitischen Divergenzen gestützt werden, damit konträre Positionen eine Entwicklung der Partnerschaftsbeziehungen nicht verhindern. Dafür wäre  der erste Schritt der Abbau der konträren Standpunkte zur Gestaltung des euro-atlantischen Sicherheitsgefüges.

Dafür bieten trotz der obenerwähnten Schwierigkeiten die Ankündigung eines „Neustarts“ seitens der NATO 2009, und  Medwedews kompromissbereite Haltung nach dem Lissabon Gipfel  eine halbwegs günstige Lage. Medwedew signalisierte Offenheit gegenüber der EU und der NATO und distanzierte sich damit vom konfrontativen Habitus seines Vorgängers (Katsioulis: 2010/Kornelius:2010). Diese neue Annäherung sieht Timofei Bordatschew vom Zentrum für Europäische und Internationale Studien an der Moskauer Wirtschaftsuniversität als das „formale Ende der schwierigen Beziehungen zwischen Russland und der NATO“ (Dox:2010).

Unterschiedliche Positionen in den NATO-Staaten

Trotz des allmählich steigenden Optimismus und Umdenkens sollte nicht vergessen werden, dass es noch eine große Zahl von Skeptikern in den NATO-Staaten gibt, die einen raschen Eintritt in konkrete Verhandlungen erschweren. Während beispielsweise die partnerschaftliche Beziehung in amerikanischen Regierungskreisen ein mehr oder weniger positives Echo findet, herrscht in Wissenschaftskreisen eher eine skeptische Stimmung.

Einerseits plädiert Charles Kupchan, Professor an der Georgetown University und unter Clinton Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates, dafür, dass es überfällig sei, ernsthaft über eine russische Mitgliedschaft in der NATO nachzudenken. Andererseits hält Dan Hamilton, NATO-Experte und Direktor des Transatlantikzentrums an der Johns Hopkins University, eine Mitgliedschaft Russlands für verfrühat und sagt: „Außerdem müssten die Parlamente aller Mitgliedstaaten einer Neuaufnahme zustimmen, auf Basis bestimmter Kriterien wie Demokratieverständnis, Menschenrechte und Respekt für die Souveränität anderer europäischer Nationen.

Viele Staaten glauben, dass Russland diese Vorgaben nicht erfüllt.“ (zitiert nach: Bidder/Puhl/Schmitz/Volkery/Wittrock: 2010). Auch William Drozdiak, Präsident des American Council on Germany in New York, äußert sein Skepsis, obwohl er gewisse Fortschritte bei der Zusammenarbeit zum Umgang mit Irans Atompolitik sieht: „Russland ist nach wie vor nur schwer zu überzeugen, dass seinen eigenen Sicherheitsinteressen eine bessere Beziehung mit dem Westen hilft.“(Bidder/Puhl/Schmitz/Volkery/Wittrock: 2010).

Die „roten Linien“

Die Skepsis bzw. ablehnende Position der amerikanischen Seite rühren daher, dass sie eine Schwächung der Handlungsfähigkeit er NATO befürchten (Kamp: 2010). Diese skeptische Haltung wird auch von Großbritannien und osteuropäischen Staaten geteilt. Um diese Skepsis zu vermindern, sollten sich NATO-Mitglieder im Vorfeld auf gemeinsame Hauptpunkte einigen. Dazu gehören so genannte „rote Linien“, die in den Beitrittsverhandlungen nicht aufgegeben werden sollen, wie das Prinzip der freien Bündniswahl und die Ablehnung exklusiver Einflusszonen (Rodionow: 2009). Dagegen sollte Russland ebenfalls darauf verzichten, seine Forderungen zu maximieren. Der am 29. November 2009 veröffentlichte Entwurf für einen euro-atlantischen Sicherheitsvertrag (Klein: 2009) entspricht dem Versuch, ein Vetorecht gegen zukünftige Operationen der NATO zu erhalten, um Russlands Machtbasis in seiner Einflusszone auszubauen.

Obwohl eine Mitgliedschaft von Russland in der NATO mit großen Schwierigkeiten verbunden wäre, spricht nichts dagegen, einen Verhandlungsprozess zu starten. Die Komplexität der Probleme deutet nur darauf hin, dass der Weg ein sehr langer Weg sein wird und mit bestimmten Voraussetzungen verbunden sein muss. Dabei ist es wichtig, dass man bei den Verhandlungsprozessen die ordnungspolitischen Fragen nicht ausgeklammert lässt, sonst würden die Beziehungen zwischen den beiden Seiten zwischen selektiver Kooperation und prinzipiellem Interessenkampf schwanken. Dies würde eine Lösung der internationalen Herausforderungen wie Terrorismus und Fundamentalismus erschweren. Ferner würde das bisherige traditionelle Verhältnis zwischen beiden Polen gespannt bleiben, was bisher ständig eine Quelle von Irritationen und Konflikten war.

Kenan EnginZur Person: Kenan Engin
Kenan Engin, geboren 1974 im türkischen Pertek, hat Politikwissenschaften und Europäische Kunstgeschichte an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg studiert. Zurzeit ist er Doktorand im Fach Politikwissenschaften, Bereich Internationale Beziehungen an der Ruprecht-Karls- Universität und arbeitet als Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg, FH Worms und FH Mainz. Seine Forschungsschwerpunkte: Türkei, Irak, Kurden und Mittlerer Osten. Neben seinen zahlreichen  Essays und Gedichten ist er Verfasser von mehreren Büchern. Zuletzt erschienen: „Untersuchung zur Konfliktbewältigung im Irak: Ein föderalistisches Konzept.“

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Literaturverzeichnis:

Anne Finger: Russland und das iranische Atomprogramm, SWP-Diskussionspapier, Juli 2007.

Benjamin Seifert, Rana Deep: Russland gehört in die Nato, aus: http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-11/nato-russland?page=2 , Zugriff: 09.04.2011.

Benjamin Bidder: „Russlands Hilfe in Afghanistan hat ihren Preis“, Interview mit Dmitrij Rogosin, aus: http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,674295,00.html, Zugriff: 24.05.2011.

Benjamin Bidder, Jan Puhl, Gregor Peter Schmitz, Carsten Volkery: NATO-Planspiele lassen Russen kalt, in: Der Spiegel, 08.03.2008.

Christos Katsioulis: Die neue NATO-Strategie Kompromiss auf Zeit, FES-Politikanalyse, November 2010.

Georg Dox: Neustart von NATO und Russland? Realistische Erwartungen, pragmatisches Handeln, aus: http://oe1.orf.at/artikel/262134, Zugriff: 07.04.2011.

Uwe Halbach: Die Georgienkrise als weltpolitisches Thema, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 13-23.03/2009).

Iwan Rodionow: Russland und die NATO: Grenzen der Gemeinsamkeit, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APuZ 15-16/2009).

Karl-Heinz Kamp: Die NATO nach dem Jubiläumsgipfel, in: Die politische Meinung, 05/2009.

Margarete Klein: Medwedews Vorschlag für einen euroatlantischen Sicherheitsvertrag, in: Russlands-Analysen, Nr.193, vom 04.12.2009.

Margarete Klein: Neustart in den Beziehungen zwischen Russland und der Nato
Anlauf zur strategischen Partnerschaft?, in: SWP-Aktuell 2010/A 01

Knut Mellenthin: Für eine multipolare Welt: Russland nimmt außenpolitische Neubestimmung vor: USA sollen laut Moskau „Realität einer postamerikanischen Welt“ anerkennen,aus: http://www.agfriedensforschung.de/regionen/Russland/weltordnung.html, Zugriff: 06.04.2011.

Oksana Antonenko, Bastian Giegeric: Rebooting NATO-Russia Relations, in: Survival: Global Politics and Strategy, vol. 51, no. 2, April–May 2009, S. 13–21.

Peter Schlotter: Russland in die NATO!?, Vortrag: 21. Frühjahrsakademie Sicherheitspolitik: Europa - Russland - USA , Lambrecht, 17.03.2011.

Stefan Kornelius: Neue Töne aus Moskau, aus: http://www.sueddeutsche.de/politik/russland-und-die-nato-neue-toene-aus-moskau-1.1014728, Zugriff: 13.04.2011.

Volker Rühe, Ulrich Weisser: Russland in die NATO, aus: http://www.rp-online.de/politik/deutschland/Russland-in-die-Nato_aid_919077.html, Zugriff: 10.04.2011.

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