„Eine klare europäische Perspektive ist von äußerster Wichtigkeit für interne Entwicklungen“EU-UKRAINE

„Eine klare europäische Perspektive ist von äußerster Wichtigkeit für interne Entwicklungen“

„Eine klare europäische Perspektive ist von äußerster Wichtigkeit für interne Entwicklungen“

Im Interview mit dem Eurasischen Magazin plädiert der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Europäischen Parlaments, Elmar Brok, für eine Fortsetzung der erfolgreichen Erweiterung der EU.

Von Alexander Rahr

Elmar Brok  
Elmar Brok  

E urasisches Magazin: Herr Brok, kommt die EU noch voran beim Bau der zukünftigen europäischen Ordnung?

Elmar Brok: Vor sechzig Jahren wurde in Jalta in der Ukraine die Grundlage für die Gestaltung eines neuen Europas geschaffen. Aber diese Neuordnung war ein Ergebnis des Krieges und wurde zum Teil gegen den Willen der betroffenen Menschen durchgesetzt.

Heute haben wir die echte Chance, ein Europa des Friedens, der Stabilität, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit zu bauen. Die Europäische Union ist ein sehr wichtiges Instrument zur Konstruktion dieser Ordnung.

Die erfolgreichste Politik der EU ist die Erweiterungspolitik Wir haben tiefe Beziehungen zwischen Staaten entwickelt, die Kriege praktisch unmöglich machen. Wir verfolgen ein geteiltes Interesse in gemeinsamen Institutionen und einer gemeinsamen Rechtsordnung.

Diese Zone der Stabilität, des Friedens und des Wohlstands wurde Schritt für Schritt von zuerst sechs auf jetzt 25 Staaten ausgeweitet. In einigen Jahren wird die EU wahrscheinlich aus 28 Mitgliedstaaten bestehen. Wir müssen jetzt nur den Prozess der Stärkung der EU mit dem der Erweiterung in Einklang bringen.

„Wenn der Verfassungsvertrag nicht wiederbelebt wird, werden wir nie ein wirklich großes Europa werden.“

EM: Aber der Verfassungsvertrag ist gescheitert!

EB: Dieses Scheitern ist nicht auf das Versagen der neuen Mitgliedstaaten oder der Kandidaten, sondern der EU selbst zurückzuführen. Während die Beitrittskandidaten in den letzten Jahren eine hervorragende Arbeit geleistet haben und ihre politische, ökonomische und soziale Ordnung tiefgreifend umgestalteten, waren wir nicht dazu in der Lage, unsere Aufnahmekapazität weiterzuentwickeln. Während die Beitrittskandidaten große Courage zeigten, verloren wir unsere eigene und stecken nun in der aktuellen Situation fest.

Das klare Ziel des Europäischen Parlaments ist, eine Balance zwischen der Erweiterung und der Vertiefung der EU zu finden. Wir wollen, dass die EU ein großes politisches Projekt bleibt. Alle unsere Nationen können künftig nur gewinnen, wenn sie zusammenhalten. Wenn der Verfassungsvertrag nicht wiederbelebt wird, werden wir nie ein wirklich großes Europa werden.

EM: Die Strategie der Europäischen Nachbarschaftspolitik hat viele Fragen aufgeworfen. In der Ukraine hat man das Gefühl, dass Ambitionen auf eine Vollmitgliedschaft nicht unterstützt werden.

EB: Ich bin absolut davon überzeugt, dass eine klare europäische Perspektive von äußerster Wichtigkeit für interne Entwicklungen ist, zum Beispiel in den Ländern des westlichen Balkans, in der Ukraine und in der Türkei. Durch das Aufrechterhalten dieser Europäischen Perspektive am Horizont bewegen sich diese Staaten schneller in Richtung Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie.

Die jetzige Nachbarschaftspolitik der EU ist nicht ausreichend. Es ist ein großes Missverständnis, wenn man glaubt, die EU könne die gleiche Nachbarschaftspolitik gegenüber der Ukraine und, sagen wir, Algerien verfolgen. Die EU hat wichtige Interessen im Mittelmeerraum, aber die Europäische Nachbarschaftspolitik muss auch eine wirkliche europäische Perspektive reflektieren.

Das Europäische Parlament entschied im Juli 2006, den Instrumenten der Europäischen Nachbarschaftspolitik acht Milliarden Euro an Fördermitteln zuzuweisen, und wir haben neue Unterstützungsformen für die Demokratieförderung in Nachbarstaaten mit einem Anfangsbudget von 1.2 Milliarden Euro aktiviert. Das ist noch nicht ausreichend, aber immerhin ein guter Anfang. Wir wollen, dass Staaten wie die Ukraine die Möglichkeiten für eine vertiefte Kooperation erhalten.

Die Ukraine könnte 60 Prozent der Aufnahmebedingungen zur EU schon im Vorfeld erfüllen – durch Teilnahme an institutioneller Kooperation.

EM: Hat die Ukraine eine Chance, jemals der EU beizutreten?

EB: Der Ukraine wurde der Status einer Marktwirtschaft offiziell zugestanden und sie wird hoffentlich bald der WTO beitreten. Wir können dann den Schritt zu einem erweiterten Partnerschafts- und Kooperationsabkommen machen, das zu einer Freihandelszone fortentwickelt werden könnte.

Ein gutes Modell ist auch der Europäische Wirtschaftsraum. EWR-Länder wie Finnland, Schweden und Österreich nutzten diese Tür, um in die EU hineinzukommen. Norwegen blieb zwar nur im EWR, nimmt aber an Schengen teil. Die EU und Norwegen sind nicht nur durch die Wirtschaft miteinander verbunden, sondern auch durch konkrete Zusammenarbeit in der Sicherheitspolitik, der Innen- und Außenpolitik.

Durch eine derartige Teilnahme an institutioneller Kooperation können Partnerländer bereits 40-60 Prozent des „acquis communitaire“ absorbieren. Das soll nicht heißen, dass mit diesen Institutionen die echte Mitgliedschaft verzögert werden soll. Die EU würde aber ihrerseits ihre Aufnahmefähigkeit verbessern und die Ukraine könnte sich auf eine EU-Mitgliedschaft vorbereiten.

Wenn es dann zu Beitrittsverhandlungen kommt, sind möglicherweise 60 Prozent der Anforderungen des „acquis“ bereits erfüllt und müssten nicht mehr von den Mitgliedsverhandlungen überwacht werden.

Ich bin dagegen, den Menschen zu sagen: „In fünf oder zehn Jahren beginnen wir Verhandlungen und in fünfzehn Jahren sind wir soweit, aber wir wissen natürlich nicht, wie die Referenden zur Ratifikation der Erweiterung ausgehen werden.“ Am Ende dieses Prozesses könnte man dann vor dem Nichts stehen. Wir müssen dagegen Wege finden, wie Regierungen ihren Bürgern demonstrieren können, dass die Türen der EU offen stehen und dass sie zumindest einige der Vorteile der EU sofort greifbar haben können. Zum Beispiel die Frage der Visa sollte Teil dieser breiteren Politik sein.

„Es ist möglich, die EU-Erweiterung fortzusetzen und eine strategische Partnerschaft mit Russland zu führen.“

EM: Einige Experten vertreten die Auffassung, dass die Ukraine niemals der EU beitreten könne, weil Russland immer dagegen stünde.

EB: Es ist natürlich komplett falsch zu denken, dass das, was gut für uns ist, notwendig gegen jemand anderen gerichtet sein muss. Wir sollten die aktuellen Probleme der Energiesicherheit lösen – aber nicht gegen jemanden. Die EU sollte Diskussionen führen über gemeinsame Netzwerke, Pipelines und eine gemeinsame Politik gegenüber den Förderregionen, aber niemals in einer Anti-Russland Politik aktiv werden.

Auf der anderen Seite hat jeder Staat das Recht, einem Bündnis beizutreten. Europa ist nicht mehr in Hemisphären aufgeteilt. Die EU-Staaten entschieden sich dafür zusammenzugehen, aber das ist keine Bedrohung für andere. Ich denke, es ist sehr wohl möglich, die EU-Erweiterung fortzusetzen und zur selben Zeit eine strategische Partnerschaft mit Russland zu führen.

EM: Herr Brok, haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

*

Das Original-Interview erschienen im Newsletter des „Yalta European Strategy Forum“. Mehr Informationen finden Sie auf www.yes-ukraine.org.

EU Interview Osteuropa

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