„Entscheidend ist, was nach dem Auslaufen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens im Jahr 2007 folgen wird.“STRATEGIEDEBATTE

„Entscheidend ist, was nach dem Auslaufen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens im Jahr 2007 folgen wird.“

Wie kann das Verhältnis zwischen Rußland und der Europäischen Union danach gestaltet werden ? Die folgenden Möglichkeiten kommen in Frage.

Von Eberhard Schneider

Im Verhältnis Rußlands zur Europäischen Union ist für Moskau wichtig, was nach dem Auslaufen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens zwischen beiden Seiten im Jahr 2007 kommen wird. Es bestehen verschiedene Möglichkeiten:

Moskau zieht, wie es auf dem letzten EU-Rußland-Gipfel in London zum Ausdruck kam, die dritte Möglichkeit vor, was durchaus von verschiedenen EU-Staaten verstanden wird. Dabei ist allerdings nicht klar, was der Inhalt dieses neuen Abkommens sein soll.

Genau genommen wäre zu fragen, ob es wirklich einen völlig neuen Inhalt haben soll. Man kann wohl davon ausgehen, daß bis 2007 viele Elemente der Vereinbarung über die vier Gemeinsamen Räume nicht erfüllt sein werden. Deshalb wäre zu überlegen, ob in das neue Partnerschafts- und Kooperationsabkommen nicht viele dieser noch nicht erfüllten Elemente aufgenommen und noch einige neue Elemente hinzugefügt werden sollten.

Ein neues Abkommen könnte aus drei Teilen bestehen

Eine Variante, die in Moskau ventiliert wird, besteht darin, daß ein solches neues Abkommen aus drei Teilen bestehen könnte:

Der erste deklarative Teil, der mehr die Funktion einer Präambel hätte, könnte das gemeinsame Ziel der Schaffung einer strategischen Union Rußland-EU formulieren, Aussagen zu den wichtigsten Menschheitsgefahren enthalten (Terrorismus, Drogen, organisierte Kriminalität, Krankheiten, Umweltzerstörung, Hunger und Armut, Korruption usw.) und ein Bekenntnis zu den gemeinsamen Werten (Gewaltenteilung, Unabhängigkeit der Gerichte, politischer Pluralismus, Pressefreiheit usw.) enthalten.

Der zweite Teil könnte auf die Zusammenarbeit bei der Bewältigung der Gefahren eingehen, die Rußland und die EU bedrohen, die weitgehend mit den oben aufgezählten Menschheitsbedrohungen identisch sind, die aber eine regionale Komponente haben. Weitere Themen könnten die Zusammenarbeit in den Bereichen Wirtschaft (Stichwort u.a. Globalisierung), Humanitäres (Stichwort u.a. Reise- und Visafreiheit) und Zivilgesellschaft sein.

Der sehr konkrete dritte Teil könnte sektorale Vereinbarungen enthalten z.B. über die Schaffung verschiedener Russisch-Europäischer Agenturen, z.B. für Öl und Gas, für Transport und Weltraum, für Umwelt usw.

Eine EU-Mitgliedschaft Rußlands ist unrealistisch – ein Sonderabkommen vorstellbar

Über den Inhalt eines neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen kann nicht losgelöst von der Frage nachgedacht werden, welches Fernziel in den Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Rußland angestrebt werden soll. Das Maximalziel wäre eine EU-Mitgliedschaft Rußlands, doch diese ist aus verschiedenen Gründen unrealistisch. Eine solche Mitgliedschaft würde den Charakter der EU völlig verändern. Und sie dürfte auch nicht im Interesse Rußlands liegen. Denn es ist schwer vorstellbar, daß das riesige Rußland sich in die EU integrieren möchte und bereit wäre, Souveränität an eine Staatengemeinschaft abzugeben, zu der auch kleine Staaten wie Luxemburg, Malta oder Zypern gehören. Auf die Frage nach einer potentiellen EU-Mitgliedschaft antwortete Putin am 1. November in einem Interview mit dem holländischen Fernsehen, daß eine EU-Mitgliedschaft für Rußland aus objektiven Gründen – er nennt die Größe des Territoriums, die Bevölkerung – nicht möglich ist.
Bei einer Assoziation – die zweite Variante - würde Rußland auch in einer Reihe stehen, diesmal mit afrikanischen und lateinamerikanischen Staaten. Deshalb kann ich mir eher ein Sonderabkommen der EU mit Rußland vorstellen. Dieses Abkommen, das über den Rahmen und das Niveau eines neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommens herausgehen müßte, sollte von den Interessen beider Seiten bestimmt sein und unter Umständen bis an den Rand einer EU-Mitgliedschaft heranreichen.

Als ein etwas realistischeres Ziel könnte statt der EU-Mitgliedschaft der Beitritt Rußlands zum Europäischen Wirtschaftsraum betrachtet werden, den die EU mit Norwegen, Island und der Schweiz bildet, mit der Schweiz allerdings auf bilateraler Basis. Auf diese Weise wäre Rußland der EU als Wirtschaftsgemeinschaft – allerdings ohne die Zollunion und die Währung - angeschlossen.

Im Sicherheits- und Verteidigungsbereich wäre an die Schaffung eines ESVP-Rußland-Rats nach dem Vorbild des NATO-Rußland-Rats zu denken.

„Da Rußland ein so riesiger Partner ist, könnte es einen eigenen Ring um die Integrationsringe der EU bilden.“

Der Widerspruch zwischen EU-Erweiterung und EU-Vertiefung ist meines Erachtens nur durch die Akzeptierung einer EU der verschiedenen Geschwindigkeiten zu lösen. Dieses haben wir im Grund schon heute: So beteiligen sich nicht alle EU-Länder am Schengen-Abkommen und am Euro. Deshalb müßte man EU-Mitgliedsländern, die eine engere Integration wollen, die Möglichkeit dazu einräumen, d.h. der Schaffung eines Kerneuropa zustimmen.

Dieses Kerneuropa sollte allerdings flexibel sein. D.h. mit Kerneuropa wäre nicht eine feste Gruppe von Mitgliedsländern gemeint, die sich zusammenschließen. Da es das Kerneuropa in verschiedenen Kernbereichen geben kann, können sich jeweils unterschiedliche Staaten zu dem jeweiligen Kerneuropa zusammentun. Doch am jeweiligen Kerneuropa würden sich wahrscheinlich immer Frankreich und Deutschland – sozusagen als Kern des Kerneuropa - beteiligen. Darüber hinaus wären folgende Formate vorstellbar: die Gruppe der sechs Gründerstaaten der EU (Frankreich, Deutschland, Italien, Belgien, Holland und Luxemburg) oder die drei größten Mitgliedsstaaten Deutschland, Frankreich und Großbritannien oder das Weimarer Dreieck Frankreich, Deutschland und Polen. Auf jeden Fall sollte die Bildung eines Kerneuropas die weitere Integration der EU nicht behindern, sondern im Gegenteil als Motor die Integration in den von den Kerneuropastaaten vorgemachten Bereichen beschleunigen.

Der bisherige deutsche Außenminister Joschka Fischer äußerte sich in seiner Rede "Vom Staatenbund zur Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration" am 12. Mai 2000 in der Humboldt-Universität in Berlin über die Zukunft der Europäischen Union, wie er sie sich vorstellt. Die wesentlichen Aussagen sind:

Zielvorstellung der weiteren Entwicklung der EU ist eine Europäische Föderation mit einem gewählten Präsidenten und einer Europäischen Regierung. Das Europäische Parlament soll volle parlamentarische Funktionen übernehmen und als Zweikammerparlament organisiert sein. Die erste Kammer könnte sich aus direkt gewählten Abgeordneten zusammensetzen, die zweite aus Abgeordneten nationaler Parlamente.

Die Europäische Föderation bedeutet keine Abschaffung der Nationalstaaten. Diese spielen weiter eine zentrale Rolle. Ihr Verhältnis zur Föderation soll durch klare Souveränitäts- und Kompetenzteilung auf der Grundlage des Prinzips der Subsidiarität geregelt sein.
Falls nicht alle EU-Mitgliedstaaten zur Schaffung einer Europäischen Föderation fähig oder willens sind, ist es vorstellbar, daß eine Gruppe von Mitgliedsstaaten als "Gravitationszentrum" oder "Avantgarde" zeitweilig vorangeht.

Einen äußeren Ring um die unterschiedlichen Ringe der abgestuften EU-Integration könnten mit Staaten gebildet werden, die in einem besonderen Verhältnis zur EU stehen, z.B. mit Rußland. Da Rußland ein so riesiger Partner ist, könnte es einen eigenen Ring um die Integrationsringe der EU bilden.

Europa ist der Modernisierungspartner Rußlands schlechthin

Rußland ist kulturhistorisch ein europäisches Land, auch wenn 77 Prozent seines Territoriums geographisch in Asien liegen, wo allerdings nur 15 Prozent seiner Bevölkerung lebt. Europa ist der Modernisierungspartner Rußlands. Kein anderes Machtzentrum kann diese Rolle Europas für Rußland ersetzen. Auch die USA – von Japan ganz zu schweigen - können diese Rolle, welche die Europäische Union für Rußland spielt, nicht übernehmen, schon allein deshalb, weil Rußland 56 Prozent seines Außenhandels mit der EU abwickelt.

Eine solche Anbindung Rußlands an die EU schließt nicht aus, daß Rußland strategische Partnerschaften mit wichtigen anderen Staaten eingeht. Sie würde für Rußland nur bedeuten, daß das Land sozusagen in Europa verankert ist und von diesem festen Ankerplatz aus seine sonstigen außenpolitischen und außenwirtschaftlichen Interessen verfolgt. Ob deshalb gleich ein Leitbild im Sinne eines gemeinsamen außenpolitischen Zukunftskonzepts erforderlich sein muß, das über den strapazierten und deshalb inhaltlich weitgehend entleerten Begriff der „strategischen Partnerschaft“ hinausgeht, weiß ich nicht.

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Prof. Dr. phil. Eberhard Schneider gehört zur Forschungsgruppe Rußland / GUS bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. E-Post: eberhard.schneider@swp-berlin.org

EU Russland

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