09.08.2023 13:11:56
GESEHEN
Von Hartmut Wagner
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Noqreh rebelliert gegen den Burka-Zwang für afghanische Frauen |
ott vergib mir meine Sünden“, fleht ein alter Afghane, seinen Blick starr gegen eine Hausmauer gerichtet. Die Sünde, derer sich der langbärtige Muslim schuldig gemacht zu haben glaubt, erscheint in unseren Breitengraden absolut unbegreiflich. Der Afghane hat die hübsche, junge Dame angesehen, die soeben an ihm vorbeigehuscht war – unverschleiert.
Was der Strenggläubige als Gottlosigkeit verflucht, ist für die selbstbewußte Afghanin ein Symbol des Widerstandes gegen die strengen religiösen Traditionen ihres Landes. Noqreh hat sich ihre himmelblaue Burka auf den Rücken geworfen. Wie ein majestätischer Schleier umspielt er ihre schwarzen langen Haare und die goldenen Ohrringe. Die Burka avanciert so vom religiösen Zwangsumhang zum weiblichen Zierat. Dazu trägt Noqreh hochhackige, weiße Damenschuhe. Mit jedem ihrer Schritte, mit jedem Knirschen und Klacksen ihrer Absätze auf dem sandigen Boden Kabuls steigert sich sichtlich ihr Selbstwertgefühl als Frau.
Diese Szene zeigt sinnfällig, worauf die iranische Regisseurin Samira Makhmalbaf in ihrem Film „Fünf Uhr am Nachmittag“ aufmerksam machen will: auf den religiös geprägten Generationen- und Geschlechterkonflikt im heutigen Afghanistan. Letztlich geht es hierbei um fundamentale Aspekte der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, nicht etwa um alberne Kommunikationshemmer vom Schlage des „Binnen-Is“ (z.B. LeserInnen), die hierzulande für wesentlich gehalten werden. Der Film stellt die Frage in den Mittelpunkt, ob afghanische Frauen auch in Zukunft ihr Leben hinter dem Gitterfenster einer Burka fristen müssen oder nicht.
Die eigentliche Handlung des Filmes ist angesichts dieser thematischen Fokussierung zweitrangig. Noqreh zieht mit ihrem Vater, ihrer Schwägerin Leilomah und deren Kleinkind durch die Sandwüsten Afghanistans. Mit ihrem einrädrigen Pferdewagen machen die Vier Station in den Kriegsruinen der afghanischen Hauptstadt. Noqreh besucht dort heimlich eine Schule, was ihr Vater ob seines rigorosen talibanischen Glaubensverständnisses niemals zulassen würde. Im Verein mit ihren Mitschülerinnen träumt sie davon, afghanische Präsidentin zu werden. Ihr politisches Programm hat eine einzige Forderung: Gleichberechtigung.
Nach „Osama“ und „Der Tag, an dem ich zur Frau wurde“ ist der neueste Film von Makhmalbaf der dritte größere Kinostreifen dieses Jahres, der sich mit der Situation der Frau im Mittleren Osten befaßt. Wie bereits „Osama“ reklamiert auch „Fünf Uhr am Nachmittag“ für sich, der erste afghanische Spielfilm nach dem Sturz der Taliban-Herrschaft zu sein. Neben ihrer thematischen Verwandtschaft haben beide Filme außerdem gemeinsam, daß sie ausschließlich von afghanischen Laiendarstellern gespielt werden.
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Die Regisseurin Samira Makhmalbaf bei den Filmfestspielen 2003 in Cannes, wo sie für ihren Film den „Spezialpreis der Jury“ erhielt |
Der Film hält sich mit politischen Stellungnahmen auffällig zurück, markige Losungen oder scharfzüngige Kommentare liefert er nicht. Die spannungsreiche, teils poetische Bildersprache macht dies jedoch schnell vergessen und räumt mit der Illusion eines friedlichen und geeinten Afghanistans auf, die nach der Verabschiedung der neuen Verfassung und der bevorstehenden Präsidenten- und Parlamentswahlen um sich greift.
In einem Interview mit dem deutschen Verleiher „Alamode Film“ gibt sich die 23jährige Regisseurin Makhmalbaf kämpferisch: Mit ihrem neusten Werk wolle sie die falschen Informationen über Afghanistan korrigieren, die durch den heftigen Wirbel in Politik und Medien verbreitet wurden. „Diejenigen, die denken, daß Demokratie durch Militäroperationen in jede x-beliebige Region verpflanzt werden kann,“ wird die Iranerin schließlich sehr deutlich, „werden mit meinem Film nicht einverstanden sein.“
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Iran / Frankreich 2002
Sprache: Persisch mit deutschen Untertiteln
105 Minuten
Regie: Samira Makhmalbaf
Darsteller: Aghele Rezaie, Abdolgani Yousefrazi, Razi Mohebi, Marzieh Amiri
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