Fußball vor MärchenkulisseUSBEKISTAN

Fußball vor Märchenkulisse

Fußball vor Märchenkulisse

Eurasische Fußballbegeisterung: Im fernen Peking brachte die Hauptstadtzeitung „Xinjingbao“ am Morgen nach dem Sieg der deutschen Mannschaft über Portugal eine Sonderbeilage zur Fußball-EM mit Bastian Schweinsteiger auf dem Titel. In der usbekischen Wüstenstadt Chiwa trafen sich die Fans vor Großleinwänden oder gar im Hof einer märchenhaften alten Medrese. Besonders populär waren die Spiele der ehemaligen Bruderrepublik Russland, doch auch die deutsche Nationalmannschaft hatte hier wahre Fans.

Von Nina Körner

Heiße Fußballnächte -- usbekische Fußballfans verfolgen die EM im Fernsehen  
Heiße Fußballnächte -- usbekische Fußballfans verfolgen die EM im Fernsehen
(Foto: Nina Körner)
 

E uropa ist weit, das stimmt. Doch im Geiste seien sie immer in Europa, sagt der ehemalige Militärdolmetscher Jakob. Deshalb seien die Usbeken so begeistert von der Fußball-Europameisterschaft 2008. 25 Jahre lang hat Jakob in der sowjetischen Armee gedient, wehmütig erinnert er sich an die Zeit seiner Stationierung in der DDR. Heute arbeitet Jakob als Hausmeister, doch sein Deutsch ist noch immer exzellent. Er liebt das ferne Land und verfolgte die Spiele der deutschen Mannschaft mit Begeisterung, auch wenn es spät wurde. Wegen der Zeitverschiebung um drei Stunden begann die EM für die Usbeken erst gegen Mitternacht.

Taxifahrer Wowa hätte sich die Spiele auch gern angesehen, doch das konnte er nicht. Von acht bis acht fuhr er in seinem Daewoo Nexia durch die Stadt, danach fiel er ins Bett. Wenn Begeisterungsschreie oder empörte Rufe zu später Stunde aus den Bars in den Parks und den Restaurants an den Hauptstraßen der usbekischen Hauptstadt Taschkent schallten, schlief er längst ganz fest in seinem Bett. Er ist einer von den wenigen, die das können, denn bei Tagestemperaturen von bis zu 50 Grad Celsius kühlt es nicht einmal nachts merklich ab.

Viel zu heiß zum Schlafen

Also schliefen die meisten Usbeken nicht, sondern schauten Fußball. Zum Beispiel im Restaurant am Kanal Anchor, wo die Gäste es sich auf dem Taptschan, dem traditionellen Sitzpodest, gemütlich machten. Den Arm lässig auf das angewinkelte Knie gelegt, philosophierten sie über die Spielergebnisse, die in eine mehrere Quadratmeter große Tabelle am Eingang eingetragen waren.

Die Jugend traf sich unter der Leinwand am Hotel Rossia. Der klotzige Bau aus den Siebzigern ist zwar nicht auf der Höhe architektonischer Modernität, dafür liegt er mitten im Zentrum von Taschkent. Das ist  wichtig, wenn man in Windeseile in ein Auto springen und einem Siegeskorso mitfahren will. Wie zum Beispiel nach dem Spiel Russlands gegen die Niederlande, einem der Höhepunkte für usbekische Fußballfans. Die meisten von ihnen verehren das Team der ehemaligen Bruderrepublik Russland.

„Ist doch klar, wir sprechen ja Russisch und haben alle Verwandte in Russland“, erklärte Wirtschaftsstudent Murat, dessen Stimme vom Jubeln schon ganz heiser war. Die Euphorie über das russische 3:1 im Viertelfinale ließ Siegesgebrüll über die heißen Blechdächer der Stadt branden. Auf den breiten Boulevards im Zentrum, wo eifrige Polizisten normalerweise rund um die Uhr sündige Autofahrer anhalten, quietschten bis spät in die Nacht Reifen zu einem hysterischen Hupkonzert.

Fußballbegeisterung wo einst der Koran gelehrt wurde

Auch in der Wüstenstadt Chiwa war das Viertelfinale bisher der Höhepunkt für die Fans. Viele kamen zum Spiel in den Hof einer Medrese, einer alten Lehrstätte. Wo in orientalischen Gewölben einst neben dem Koran Medizin, Mathematik und Philosophie gelehrt wurden, befindet sich heute das Kulturzentrum Alah Kuli Khan.

Die Leinwand im quadratischen Innenhof war eine Attraktion für Einheimische und Touristen. „Sie sollte das Kulturleben einfach ein wenig bereichern“, sagte Lutz Bartlau. Der Deutsche arbeitet im Auftrag des Deutschen Entwicklungsdienstes daran, mehr Touristen nach Chiwa zu locken. Immerhin rund 30.000 Reisende besuchen die Festungsstadt mit den hohen Mauern bereits jetzt pro Jahr.

Bartlaus Idee hat funktioniert. Zwischen 30 und 70 Zuschauer kamen zu den Spielen. Die Deutschen, wird ihm immer wieder versichert, spielten den besten Fußball in ganz Europa. Dabei sei die  Fußballbegeisterung der Usbeken, sagt Bartlau, einfach riesig. Nicht ohne Grund: Mitte Juni ist das Land der Qualifikation für die Weltmeisterschaft 2010 ein Stück näher gekommen. Mit einem 3:0 besiegte das usbekische Team die libanesische Mannschaft und präsentierte sich damit als starker Tabellenführer der Asien-Gruppe 4. Das öffentliche Fußballschauen jetzt ist also eigentlich erst die Aufwärmübung für das Großereignis in zwei Jahren.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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