G8-Gipfel: Mühevolle Kompromisse und interessante ZwischentöneRUßLAND

G8-Gipfel: Mühevolle Kompromisse und interessante Zwischentöne

G8-Gipfel: Mühevolle Kompromisse und interessante Zwischentöne

Vom 15. bis zum 17. Juli fand in St. Petersburg der G8-Gipfel 2006 statt. Russland führte in diesem Jahr erstmals den Vorsitz. Viele der Themen waren strittig, und es mussten alle diplomatischen Finessen aufgeboten werden, um wenigstens den einen oder anderen Kompromiss vorweisen zu können. Wo es keine Verständigung gab, versuchte Präsident Putin als Gastgeber den Dissens zu überspielen. Aus dem, was zwischen den Zeilen gesprochen wurde, waren die unterschiedlichen Positionen am besten zu erkennen.

Von Ulrich Heyden

Das Logo des G8-Gipfels in St. Petersburg  
Das Logo des G8-Gipfels in St. Petersburg  

Wird sich Russland an einer neuen Friedenstruppe im Nahen Osten beteiligen? Diese Frage hatte auf der G8-Abschluss-Pressekonferenz von Wladimir Putin in St. Petersburg besondere Brisanz. Der Kreml-Chef hielt sich jedoch bedeckt. Allerdings hatte die Idee der Friedenstruppe bereits Eingang in die Nahosterklärung des G8-Gipfels gefunden. Man hoffe, dass der UN-Sicherheitsrat die Entsendung einer Friedens- und Beobachtungstruppe berät, heißt es in dem Nahost-Papier.

Putin erklärte, Russland werde über eine Teilnahme an einer Friedenstruppe erst entscheiden, wenn es von Seiten des UN-Sicherheitsrates einen Beschluss gibt. Außerdem müssten die an dem Konflikt beteiligten Parteien einer Entsendung zustimmen. Der Kreml-Chef betonte, die Mission werde auf jeden Fall eine „Friedens-Mission“ sein.

Die Nahost-Erklärung des G8-Gipfels war nach mehrstündiger Diskussion und unter Hinzuziehung von Experten fertiggestellt worden. Putin: „Das war ein hartes Stück Arbeit“. In der Erklärung sind der Reihe nach vier Forderungen aufgelistet:

Die Reihenfolge sei kein Zufall, hieß es aus deutschen Regierungskreisen. Entgegen der üblichen Praxis in Europa war in der Erklärung auch von „extremistischen Elementen“ die Rede.

Putin: Israel hat offenbar eine „weitergehende Strategie“.

Die Erklärung war offenbar ein Kompromiss. Denn zuvor - bei der Ursachenanalyse - lagen die Meinungen weit auseinander. Während der US-Präsident Syrien und die Hisbollah als Ursache der Eskalation brandmarkte, erklärte Putin, Israel habe ein Recht auf Verteidigung, es seien aber noch nicht alle friedlichen Möglichkeiten ausgeschöpft.

Der Kreml-Chef zeigte sich auch nicht überzeugt, dass das Blutvergießen nach einer Rückkehr der entführten Soldaten aufhört. Putin erklärte, Israel habe offenbar eine „weitergehende Strategie“. Auf Nachfrage von Journalisten erklärte der Kreml-Chef, von libanesischen Regierungskreisen habe man erfahren, dass auch Objekte der öffentlichen Infrastruktur von israelischen Raketen zerstört wurden.

Bush: Die Hisbollah muss ihre „Scheiße“ beenden.

George Bush hatte während einer Unterredung mit Tony Blair jegliche diplomatische Höflichkeit abgelegt. Während das Mikrophon noch lief, erklärte der US-Präsident, man müsse auf Syrien Druck ausüben, und Syrien müsse die Hisbollah unter Druck setzen, damit die ihre „Scheiße“ beenden.

Der israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein begrüßte die Erklärung der G8. Stein betonte die in der Erklärung festgelegte Reihenfolge. Israel werde seine Angriffe auf den Libanon erst dann stoppen, wenn die entführten israelischen Soldaten ausgeliefert seien und die Hisbollah ihre Angriffe einstelle.

Die Sprecherin der israelischen Regierung, Miri Eisin, erklärte am Montag, dem letzten Tag des Gipfels, gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, es sei zu früh, über eine Friedenstruppe zu sprechen. „Zur Zeit sind wir auf der Stufe, sicherzustellen, dass die Hisbollah sich nicht an unserer Nordgrenze befindet.“

Kofi Annan: Beide Seiten müssen ihre „Feindseligkeiten“ beenden.

UN-Generalsekretär Kofi Annan erklärte in St. Petersburg, der UN-Sicherheitsrat werde die Frage einer Friedenstruppe nach der Rückkehr einer Expertengruppe aus dem Nahen Osten klären. Annan forderte Israel und die Hisbollah-Milizen auf, ihre „Feindseligkeiten“ einzustellen, um die Stationierung einer internationalen Truppe zu ermöglichen. Bush kritisierte die Erklärung des UN-Generalsekretärs. „Er fordert immer einen Waffenstillstand und danach passiert immer noch irgend etwas.“ Angela Merkel zeigte sich gegenüber der Idee einer Friedenstruppe aufgeschlossen. Sie verwies jedoch auch darauf, dass es an der Nordgrenze Israels bereits eine UN-Friedenstruppe mit 2.000 Mann gibt.

Kompromiss in der Energiefrage

Mit Spannung erwartet wurden die Beschlüsse zur Energiesicherheit. Die Durchsichtigkeit der Energie-Märkte soll erhöht, das Investitionsklima verbessert und die Energieeinsparung erhöht werden. Die Existenz „freier, offener Wettbewerbs-Märkte“ habe „lebenswichtige Bedeutung“ für das Funktionieren des „globalen Energiesystems“.

Die auf dem Gipfel vereinbarte Erklärung zur Energiesicherheit stellt einen Kompromiss dar. Im Mittelpunkt steht das allgemeine Bekenntnis zu den Gesetzen des freien Marktes. Doch die Unterzeichnung der Europäischen Energiecharta hatte Russland ungeachtet der Bemühungen von Seiten der EU schon zuvor abgelehnt. Die Charta regelt die Energie-Investitionen und Transitfragen in Europa, Russland und anderen Ländern. Die russische Duma hatte das Unternehmen Gasprom zum einzigen Exporteur von russischem Gas erklärt.

Wladimir Putin versuchte in St. Petersburg den Dissens in der Energiesicherheit zu überspielen. Zum ersten Mal sei es mit der Erklärung zur Energiesicherheit gelungen, gemeinsame Prinzipien festzulegen. Energiesicherheit sei nun nicht mehr nur eine Frage für die Verbraucher, sondern auch eine Frage des Transports. Der Kreml-Chef erklärte, in der EU-Energiecharta gäbe es Widersprüche. Die von Europa geforderte Öffnung des russischen Pipelinesystems führe nicht unbedingt zu mehr Energiesicherheit. Er sei nicht dagegen, ausländischen Unternehmen Zugang zum russischen Energiemarkt zu gewähren. Es müsse aber klar sein, was Russland im Gegenzug erhalte. Als beispielhaft nannte er den Vertrag zwischen BASF und Gasprom, bei dem es zu einem Interessenausgleich gekommen war.

Russland vorerst kein WTO-Mitglied

Putin und Bush hatten sich bereits am Freitag vor dem Gipfel zu einer bilateralen Begegnung getroffen. Dabei wurde klar, dass sich die russischen Hoffnungen auf einen baldigen WTO-Beitritt nicht erfüllen. Zehn Jahre hatte Russland verhandelt. Der Beitritt schien kurz bevor zu stehen. Doch George erklärte, es müsse noch weiterverhandelt werden. Die USA fordern einen besseren Schutz von geistigem Eigentum. Russland müsse größere Zugeständnisse machen, um den US-Kongress zufrieden zu stellen, erklärte der US-Präsident.

Auch in der Frage demokratischer Prinzipien liegen Moskau und Washington ziemlich weit auseinander. Bush erklärte, niemand erwarte von Russland „eine Demokratie im Stil der USA“. Jede Nation müsse ihren eigenen Weg zur Demokratie finden. Das zeige auch das Beispiel Irak. Darauf Putin: „Wenn ich ehrlich bin, natürlich würden wir eine Demokratie wie im Irak nicht wollen.“

Auf einem Treffen mit Nichtregierungsorganisationen am Freitag vor dem Gipfel im amerikanischen Generalkonsulat in St. Petersburg hatte Bush sich laut einem Bericht der russischen Zeitung „Kommersant“ etwas bestimmter geäußert. Die Demokratie „müsse in allen Ländern gleich“ sein, hatte der Chef des Weißen Hauses da erklärt.

Dissens in der Atomfrage bleibt

Auf dem G8-Gipfel in St. Petersburg wurden auch Aktionspläne für den Kampf gegen Infektionskrankheiten, gegen die Korruption unter hohen Staatsbeamten und für die globale Energiesicherheit verabschiedet. Alle drei Themen hatte Russland, das in diesem Jahr erstmals den G8-Vorsitz führt, auf die Tagesordnung gesetzt.

Der Maßnahmenkatalog gegen Infektionskrankheiten sieht eine enge Kooperation im Kampf gegen die Vogelgrippe, sowie die Ausarbeitung eines Handlungsplans im Fall einer Pandemie vor. Der Kampf gegen die Immunschwächekrankheit Aids bleibe eine der Prioritäten der G8-Klubs, heißt es in dem Papier. Vorsorge und Aufklärung sollen weltweit verstärkt werden.

Keine Kritik an den USA

Die Tatsache, dass sich zwei stellvertretende Außenminister der USA an einer Konferenz der russischen Opposition in Moskau beteiligt hatten, beurteilte der Kreml-Chef auf der Pressekonferenz überraschend milde. Das sei „nicht voll korrekt“, aber auch „nichts Schreckliches“. Vor dem Gipfel hatte Putins Berater Igor Schuwalow noch erklärt, die Teilnahme ausländischer Politiker an der Konferenz werden man als unfreundlichen Akt beurteilen.

Angela Merkel äußerte sich auf dem Gipfel zu Demokratiefragen in Russland zurückhaltend. Auf einer Pressekonferenz erklärte sie, auch in Europa gäbe es unterschiedliche Wahlsysteme.

Was können wir von der Zukunft erwarten, wollte ein junger Journalist von Putin wissen. Der Kreml-Chef lachte und meinte, „Nur Gutes.“ Nun übergebe man das Staffelholz an die deutschen Freunde. Der nächste G8-Gipfel wird im Juli 2007 im mecklenburgischen Heiligendamm stattfinden.

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