09.08.2023 13:11:56
ZENTRALASIEN
Von Stefan Schocher
Streng bewachte Kostbarkeit. Der Nurek-Staudamm ist für die tadschikische Stromversorgung lebenswichtig |
Erst ein Winter, wie ihn die Region seit Jahrzehnten nicht gesehen hatte, dann ein ebensolcher Sommer. Klirrende Kälte sind die Zentralasiaten gewohnt, Hitze und Dürre auch. Die klimatischen Pendelbewegungen zwischen derartigen Extremen wie in diesem Jahr aber, gepaart mit Wassermangel, Missmanagement und politischen Ungereimtheiten, tragen jetzt gefährliche Früchte – oder eben keine: Vor allem Kasachstan und Usbekistan fürchten um die Ernte eines ganzen Jahres. Ein Rückgang um zwei Drittel wird befürchtet. Und zur gleichen Zeit bereitet man sich in Kirgisien und Tadschikistan auf einen Winter ohne fossile Brennstoffe und Strom vor. Weltbank und westliche Diplomaten warnen bereits vor einer gefährlichen Destabilisierung in der Region und dem gewalttätigen Wiederaufflammen bestehender Konflikte.
Es geht ums Wasser. Die Bergstaaten Kirgisien und Tadschikistan haben genug davon. Die Steppenländer Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan hingegen bei weitem zu wenig. Dort aber liegen die großen landwirtschaftlichen Anbauflächen der Region. Und umgekehrt sind die Bergstaaten in erster Linie vom Öl und Gas ihrer Nachbarn in der Steppe abhängig. Ein fragiles Gleichgewicht, das die Wetterkapriolen dieses Jahres kräftig durcheinander gewürfelt haben.
In Zeiten der Sowjetunion war es ein einfaches Tauschgeschäft, das diesen Konflikt durch ein Diktat von oben beruhigte: Im Winter wurde Wasser in den Bergen gestaut und im Sommer in die Trockengebiete abgelassen. Als Gegenleistung erhielten die Bergstaaten Öl und Gas in großzügigen Mengen, um über den Winter zu kommen. Damit hat es jetzt ein Ende. Zu viel Wasser war im vergangenen, harten Winter durch die Turbinen geflossen, um Strom produzieren zu können – ohnehin noch zu wenig. Weite Teile Tadschikistans blieben über Wochen ohne Strom. Und in Kasachstan kämpfte man mitten im Winter mit Überschwemmungen.
Wasser ist Leben - diese Parole am Überlauf des Nurek-Staudamms beim Wachsch-Fluss gilt für ganz Zentalasien |
Schon im Frühjahr lag dann das Niveau der Wasserspeicher in den Bergen weit unter dem üblichen. Der trockene Sommer tat sein übriges. Zu wenig Wasser war geblieben, um die Ebenen versorgen zu können. Sehr zum Ärger vor allem Kasachstans und Usbekistans. Ernteausfälle sind die Folge. Die Retourkutsche kam im Herbst: Gas aus den Ebenen für die Berge nur zu astronomischen Preisen.
Für Kirgisien und Tadschikistan – die ärmsten Länder Zentralasiens – ist das eine Katastrophe: Das vorhandene Wasser wird nicht reichen, um die Turbinen über den Winter am Laufen zu halten. Nur zwei Drittel des Minimums sind in den Speichern. Die kirgisische Regierung hat ihre Landsleute bereits aufgerufen, Brennstoffe für den Winter zu sammeln. Überall lagern die Menschen deshalb Holz ein. Man bereite sich auf diesen Winter vor wie auf einen Krieg, beschreiben Beobachter die Lage in Bischkek. Die Krise spitzt sich derart zu, dass sie die fragile Ordnung in der Region im Mark erschüttern könnte.
Dabei schwelt der Konflikt zwischen den Staaten, die an den Wasserquellen sitzen und jenen, die die Hand am Gas- und Öl-Hahn haben, seit langem. Bei allen gegenseitigen Vorwürfen aber sind beide Seiten auch gleichermaßen voneinander abhängig: die Ebenen vom Wasser aus den Bergen und die bergigen Regionen von den Ebenen mit ihren fossilen Brennstoffen sowie ihrer Überproduktion an landwirtschaftlichen Gütern. Letztere werden knapp, wenn es am Wasser mangelt – so wie jetzt.
Bei den Gipfeln der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) sowie der Schanghaier Organisation für Zusammenarbeit ist die Frage des Wassermanagements in der Region inzwischen zu einem zentralen Thema geworden. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Zentralasiens und dem damit gestiegen Strom- und Wasserverbrauch wird sie zur Überlebensfrage. Wirkliche Fortschritte gab es bisher aber nicht. Die Brisanz der Lage hat jetzt auch die Weltbank auf den Plan gerufen. Für den Winter wird ein Notfallpaket von sieben Millionen Euro vorbereitet – und sehr wahrscheinlich auch dringend benötigt. Das letzte Angebot der kirgisischen Seite an die Usbeken jedenfalls ist so knapp wie die Lage brisant ist: „Gas gegen Süßwasser“.
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Der Autor ist Korrespondent von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.
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