09.08.2023 13:11:56
SHOW-BUSINESS ENTDECKT EURASIEN
Von Hans Wagner
EM – „Wenn nicht bald Eurasien kommt, sind wir erledigt“, sagte Harald Schmidt in seiner Night-Show am 1. April 2003. Das mochte sich seinerzeit auch Dschingis-Khan gedacht haben, der Großkhan der Mongolen, als er mit seinen Reiterheeren nach Westen preschte und nur wenige hundert Kilometer vor dem Atlantik stoppte.
Zur Zeit Dschingis-Khans war Eurasien keineswegs populär. Zuviel Blut, Schweiß und Tränen brachte der Mongolenkaiser über die Länder, die er in sein Reich aufnahm. Dschingis-Khan kam nur bis Schlesien. Den Menschen der damaligen Zeit hatte es gereicht. Sie waren froh, als sie seine Pferde wieder von hinten sahen. Nur der Papst hatte noch einen Handel mit einem der Söhne des Großkhans vor, der jedoch an der Frage scheiterte, wer nun der wahre Herrscher des Universums ist. Papst oder Kaiser?
Papst Innozenz wollte zur Zeit der größten mongolischen Machtentfaltung jedenfalls ein Bündnis mit der „Geißel Gottes“ eingehen. Die Mongolen sollten christlich werden, um ganz Eurasien unter der römischen Kurie zu einen und die expansive Kraft des Islam einzudämmen. Es hat nicht geklappt. Die Diplomatie hat versagt. Irgendwie ist das bis heute ein Thema. Die Kirche jedenfalls hatte damals kein Problem damit, eurasisch zu denken. So fremd das späteren Zeitgenossen dann auch erschienen sein mag. Die mit den Mongolen nach Westen gespülten Osmanen hatten es danach unter umgekehrten Vorzeichen noch einmal versucht. Der Sultan kam nur bis Wien. Eurasien wurde auch nicht islamisch. (Siehe dazu auch EM 03-03 DIE MONGOLEN).
Ganz anders der Entertainer Harald Schmidt und sein Gehilfe Andrak. „Das wird ein Erdteil, der Spaß macht“, rief der Chef der Schmidt-Show aus und Andrak applaudierte. Natürlich grinste der „coolste aller Showmaster“ (U2-Forum) dabei schelmisch und zog die Augenbrauen hoch.
Er schrieb die „Entdeckung“ (einmal sogar die „Erfindung“) Eurasiens dem ehemaligen Sicherheitsberater des US-Präsidenten Jimmy Carter, Zbigniew Brzezinski zu. Hier irrte er freilich, und Andrak versuchte sogar es ihm auszureden. Allerdings ohne Erfolg. Zu verliebt war Harald Schmidt in seine Idee von einer US-Erfindung Eurasien, in der dann die Amis als Weltpolizist tätig sein sollten.
Dabei hat Brzezinski – (gesprochen Briiischinski – keiner kann es so begnadet aussprechen wie Harald Schmidt) – tatsächlich den Begriff Eurasien in die Geopolitik der Nachkriegszeit eingeführt. Man könnte sagen, er hat es neu erfunden. Berühmt ist das folgende Zitat von ihm: „Amerikas geopolitischer Hauptgewinn ist Eurasien. Ein halbes Jahrtausend lang haben europäische und asiatische Mächte und Völker [...] die Weltgeschichte bestimmt. Nun gibt dort eine nichteurasische Macht den Ton an – und der Fortbestand der globalen Vormachtstellung Amerikas hängt unmittelbar davon ab, wie lange und wie effektiv es sich in Eurasien behaupten kann.“ („Die einzige Weltmacht – Amerikas Strategie der Vorherrschaft“, Frankfurt 1999).
Wahrscheinlich haben viele Zuschauer am Abend des 1. April bei Harald Schmidts Beitrag zu Eurasien zunächst an einen diesbezüglichen Scherz geglaubt. Doch als am nächsten Abend das Thema weiter vertieft wurde, war wohl dem Letzten klar: Er hat einfach einen guten Riecher. Es stimmt, Eurasien liegt voll im Trend. Und seit es an zwei Abenden in der Schmidt-Show Thema war, hat es irgendwie auch etwas Reales. Seit dem virtuellen Auftritt ist es einfach existent.
Was keiner vor ihm geschafft hat, Harald Schmidt hat auch endlich Nägel mit Köpfen gemacht - zum Beispiel die Hauptstadtfrage ausgeschrieben, wie bei einer Olympiabewerbung.
Seit seiner Sendung ist auch klar, wer beim Fußball wo spielt. Auf sieben Vereine, die in der „Prämien League“ spielen können, kamen er und Andrak: Manchester United, FC Bayern München, AC Milan, Red Diamond Osaka, Lokomotive Moskau, Partizan Belgrad und ein unbenannter Verein aus der Volksrepublik China.
Natürlich macht einer wie Harald Schmidt auch Minister. Der Außenminister – „es gibt nur einen“ – kann joggen im Himalaja, bis ihm die Lunge raushängt. Innenminister wird Rußlands Präsident Wladimir Putin. Diese beiden Männer verbindet wie im Roman von Olenin Terek („Der Mann aus Grosny“) auch bei Harald Schmidt ein eurasisches Schicksal.
Bundeskanzler Schröder hat Regierungsbildner Schmidt für das Amt des Landwirtschaftsministers auserkoren: „Da ein Pils, dort ein Wein...“
„Eurasien – das hat mich aus dem Sitz gerissen, das ist genau das, worauf wir gewartet haben. Wir brauchen nicht mehr Europa, wir brauchen nicht mehr Asien, wir brauchen Eurasien. Das wird kommen, meine Damen und Herren.“ So begeisterte sich der Schwabe Schmidt an der Vision vom Staat Eurasien.
Natürlich war er auch mit praktischen Ratschlägen behilflich. „Sehen Sie mal nach, ob Sie das richtige Auto in der Garage stehen haben. Das sind ja ganz neue Entfernungen in Eurasien. Von der Atlantikküste in Frankreich bis zur Pazifikküste in China. Völlig neue Dimensionen für Wochenendtrips.“
Einen ganzen Katalog von Vorteilen zählten er und Andrak auf. Schmidt: „Keine Kriege mehr, weil man sich natürlich innerhalb des Staates nicht angreift“. Andrak: „Geile Bodenschätze“. Schmidt: „Phantastische Landschaften – und überall mit Euro zahlen vielleicht.“
Der Showmaster begrüßte schon mal die vielen neuen eurasischen Nachbarn: Usbekistan, Tadschikistan, Berg Karabach, Indien, China, Taiwan, Singapur, Malaysia. Schmidt: „All das gehört jetzt dazu!“
In diesem Frühjahr 2003 haben wir die eurasische Achse Peking, Moskau, Berlin, Paris erlebt. Vielleicht hat diese Konstellation zur Aufnahme des Themas Eurasien in die Harald- Schmidt-Show beigetragen. Oder vielleicht das Bestreben der USA, sich – ganz im Sinne Briiiischinskis - zwischen Euphrat und Tigris mal wieder sehr eindrucksvoll und möglichst effektiv zu behaupten.
Egal - Eurasien ist ein spannendes Thema. Eine faszinierende Entwicklung. Unser bescheidenes Magazin hat großen Zulauf. Sowohl von Lesern wie auch von immer mehr Autoren. Nur Brzezinski hat sich noch nicht gemeldet. Er wäre natürlich auch willkommen.
In diesem Sinne herzlichen Dank für die Entdeckung des Themas Eurasien im deutschen Show-Business an den Entertainer Harald Schmidt. Er ist eindeutig der Vorreiter. Dieser Titel gebührt ihm. Er ist tatsächlich so etwas wie der Dschingis-Khan des modernen Eurasiens. Des virtuellen zumindest.
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