13.01.2023 14:10:35
OSZE
Von Manfred Grund MdB
uf Initiative Kasachstans, das 2010 den Vorsitz innehatte, ist es im Dezember zum ersten OSZE-Gipfel seit mehr als einem Jahrzehnt gekommen. Doch auch dabei blieben viele Wünsche offen. Erwartungen, die Staats- und Regierungschefs könnten sich auf einen Aktionsplan zur Reform der OSZE und zur Überwindung der sogenannten eingefrorenen Konflikte um Berg Karabach, Transnistrien, Abchasien und Südossetien verständigen, erfüllten sich nicht. Stattdessen blieb es bei einer Erklärung, die die bestehenden Ziele der Organisation bekräftigte. Infolgedessen waren die Reaktionen in den meisten westlichen Medien ausgesprochen kritisch. Hat die OSZE mittlerweile ihre Daseinsberechtigung verloren?
Doch die Defizite der OSZE sind lediglich die Defizite der euroatlantischen Sicherheitsarchitektur insgesamt, die nach wie vor durch sehr unterschiedliche Zonen von Sicherheit gekennzeichnet ist. NATO und EU haben ein hohes Maß an Integration, gegenseitigem Vertrauen und kollektiver Sicherheit geschaffen, das jenseits ihrer Grenzen fehlt. Die OSZE verbindet Europa auch mit Zentralasien, das wirtschaftlich und strategisch von großer Bedeutung ist. Doch dessen Integration in andere internationale Institutionen – wie die Shanghai Organisation – orientiert sich sonst eher nach Asien. Dass Kasachstan der OSZE mit dem Gipfel von Astana neues Gewicht verleihen wollte, ist deshalb grundsätzlich nur zu begrüßen. Solange die OSZE die einzige umfassende Sicherheitsorganisation im euroatlantischen Raum ist, bleibt sie unverzichtbar.
Allerdings gehen diese Unterschiede innerhalb des OSZE-Raums auch mit grundsätzlichen Differenzen einher. Für Russland und zentralasiatische Staaten steht stärker die militärische Sicherheit im Vordergrund, für EU und NATO die humanitäre Dimension, also demokratische und menschenrechtliche Standards.
Vor diesem Hintergrund sollte der Gipfel von Astana nicht einfach als Misserfolg verstanden werden. Immerhin: Der bestehende gemeinschaftliche Besitzstand (Acquis) einschließlich der humanitären Forderungen wurde ausdrücklich bestätigt. Auch die Absicht, einen Aktionsplan zu erarbeiten, ist nicht gescheitert, sondern soll vom litauischen Vorsitz 2011 fortgeführt werden. Es waren vor allem die Auseinandersetzungen über den Status von Abchasien und Südossetien, die eine weitergehende Einigung in Astana verhindert haben.
Doch von diesem Beispiel abgesehen, kann die OSZE mehr zur Bewältigung von Konflikten beitragen als oft sichtbar wird. So hat der kasachische Vorsitz dazu beigetragen, dass die Krise in Kirgisistan nicht weiter eskaliert. Mit den Madrider Prinzipien hat die OSZE bereits Grundsätze für eine Lösung des Berg Karabach-Konflikts formuliert. Ob sie umgesetzt werden oder es schlimmstenfalls zu einer erneuten Eskalation des Konfliktes kommt, hängt jetzt davon ab, mit welchem Nachdruck die Mitgliedstaaten diesen Prozess unterstützen. Die OSZE bietet ein alternativloses Forum zur Bewältigung von Konflikten an, aus eigener Kraft lösen kann sie sie nicht.
Welche Zukunftsperspektiven ergeben sich nach dem Gipfel? Wegweisend kann das ausdrücklich bekräftigte Ziel wirken, zu Fortschritten bei Abrüstung und Rüstungskontrolle vor allem durch neue Verhandlungen über den angepassten Vertrag über konventionelle Streitkräfte zu gelangen. Bislang haben die NATO-Staaten eine Ratifizierung des Vertrages mit der Erfüllung der 1999 auf dem letzten OSZE-Gipfel von Russland eingegangenen Verpflichtung zum Abzug von Truppen aus Moldau und Georgien verknüpft.
Ohne solche Fortschritte dürfte aber auch Russland seinem Interesse an einer umfassenden euroatlantischen Sicherheitsarchitektur – mit größeren eigenen Mitwirkungsmöglichkeiten – kaum näher kommen. Denn dabei würden EU und NATO nur mitmachen, wenn damit nicht nur die russische Vetomacht gestärkt würde, sondern eine konstruktive Zusammenarbeit absehbar wäre.
Wo anders ließe sich das erforderliche Vertrauen schaffen, wenn nicht bei der gemeinsamen Bewältigung bestehender Konflikte? Allerdings ist eine Verständigung über Abchasien und Südossetien seit dem Georgien Krieg zunächst unrealistisch geworden. Wer Fortschritte will, muss sie woanders suchen. Umso wichtiger kann daher Transnistrien werden. Auch deshalb engagiert sich die Bundeskanzlerin für diesen Konflikt. Ein Erfolg in Transnistrien würde eine substanzielle Chance nicht nur für eine Stärkung des Abrüstungsregimes in Europa bieten, sondern auch dazu, über den heute bestehenden OSZE-Rahmen hinaus schrittweise zu einer effektiveren Sicherheitsorganisation zu gelangen. Große Strategie manifestiert sich manchmal in scheinbar kleinen Konfliktfeldern.
13.01.2023 14:10:35
08.07.2022 17:15:55
18.05.2022 09:35:41
14.05.2022 12:09:22
11.04.2022 14:21:21
19.03.2022 10:08:25
16.07.2021 13:38:36
22.03.2021 21:36:33
17.02.2021 15:05:27
28.01.2021 07:02:33