Der Islamwissenschaftler und Mitarbeiter der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, Guido Steinberg, bringt es auf den Punkt: „Erfolg in der Terrorismusbekämpfung bedeutet, dass niemand mehr auf Usama Bin Laden hört.“ Für eine solche Entwicklung zeigt er in seinem Buch Wege auf. Wie nötig und überfällig eine wirkliche Anti-Terror-Strategie ist, ergibt sich auch daraus, dass in Deutschland nicht weniger als 38 verschiedene Behörden mit der Terrorbekämpfung befasst sind.
Von Hans Wagner
uido Steinberg ist nicht nur Islamwissenschaftler, sondern auch ausgewiesener Terrorexperte. Islamismus und der islamistische Terrorismus sind seine Forschungsfelder. Von 2002 bis 2005 war er Referent im Referat Internationaler Terrorismus im Bundeskanzleramt. 2004 erschien sein grundlegendes Werk „Der nahe und der ferne Feind“ über das Netzwerk des islamistischen Terrorismus, das wir in EM 03-2006 besprochen haben. Nun legt er in der Reihe „Standpunkt“ der Körber-Stiftung einen schmalen Band vor, der Eckpunkte einer deutschen Anti-Terror-Strategie aufzeigt.
Die wichtigsten Thesen lauten:
- „Eine erfolgreiche Terrorismusbekämpfung muss kurzfristig effektiv und langfristig deeskalierend sein. Und das Verhältnis zwischen Repression und Politik muss in Deutschland neu ausgelotet werden – zugunsten der Politik.“
- „Die Terrorismusbekämpfung ist viel zu wichtig, um sie ausschließlich den professionellen Bekämpfern und ihrem Hang zu kurzfristiger Effektivität und schnellen Lösungen zu überlassen.“
- „Erfolg in der Terrorismusbekämpfung bedeutet, dass niemand mehr auf Usama Bin Laden hört, nicht, dass Usama Bin Laden von einer amerikanischen Rakete getötet wird.“
- „Nur durch (deeskalierende) Maßnahmen wird es gelingen, die Radikalisierung von Sympathisanten zu verhindern, die Finanzierung und die logistische Hilfe durch die Unterstützerszene zu verringern und so die Terrorgruppen regelrecht auszutrocknen.“
- Der israelisch-arabische und andere ungelöste Regionalkonflikte tragen zur Radikalisierung immer neuer Generationen junger Muslime in der arabischen Welt bei und in Europa bei. Dieser Trend zur Radikalisierung muslimischer Jugendlicher wird auch in Deutschland immer offensichtlicher.“
- „Politik und Öffentlichkeit [...] sollten davon abkommen, jede Einzelmaßnahme, deren Wirksamkeit für die Bekämpfung dschihadistischer Gruppierungen ohnehin meist zweifelhaft ist, in der in der deutschen Öffentlichkeit üblichen Hysterie und Kurzatmigkeit zu diskutieren.“
- „Wie sehr die deutsche Terrorismusdebatte an den tatsächlichen Problemen vorbeigeht“, zeigt sich beim Thema Online-Durchsuchung. Sie „kann nur dort genutzt werden, wo der potentielle Dschihadist bereits ermittelt wurde. Wenn das Hauptproblem aber ist, dass unsere Sicherheitsbehörden aufgrund fehlender räumlicher kultureller und sprachlicher Nähe zum Gegenstand gar nicht feststellen können, welche Jugendlichen gerade in die dschihadistische Szene abrutschen, wird die Debatte über die Online-Durchsuchung zu einer absurden Nabelschau.“
- „Indem man die Terroristen durch türkisch-, kurdisch- und arabischstämmiges Personal bekämpfen würde, würde die Terrorismusbekämpfung nicht nur effektiver, sondern auch glaubwürdiger.“
- „Die heutige Stärke der al-Qaida geht vor allem auf die Schwäche ihrer Gegner zurück.“
- „Der Prozess der Integration kann durchaus zu mehr Gewalt und Terrorismus führen, deshalb sollte die Terrorismusbekämpfung von der Integrationspolitik abgekoppelt werden.“
- „Die deutsche Debatte krankt insgesamt daran, dass der religiöse Aspekt überbewertet wird.“
- „Bisher ist zu wenig über die Salafisten-Szene in Deutschland bekannt, um politische Strategien zum Umgang mit ihnen zu entwerfen.“
- „Deutschland muss natürlich mit den Herkunftsländern der Dschihadisten kooperieren, wenn es ihre transnationalen Strukturen wirksam bekämpfen will. Diese Kooperation muss aber deutliche Grenzen haben. Und diese Grenzen müssen Ergebnis einer politischen Abwägung sein: Wie groß ist der Schaden, der der Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik durch eine solche Zusammenarbeit droht, und wie groß ist der Nutzen, der durch sie erzielt wird?“
- Das Wort ‚Strategie’ wird seit einigen Jahren inflationär benutzt. Was früher ‚Politik’ hieß, nennen Politiker und Bürokraten heute gern ‚Strategie’, um darauf hinzuweisen, dass sie etwas ganz Bedeutsames erarbeitet haben, das besondere Aufmerksamkeit verdient. Leider sind die meisten ‚Strategien’ häufig nur wenig mehr als Maßnahmenkataloge, die mehr oder weniger kohärent zusammengeschrieben werden.“
- „Um überhaupt eine zukunftsweisende Terrorismusbekämpfung betreiben zu können, wird die Bundesrepublik ihren sicherheitspolitischen Entscheidungsprozess überarbeiten und für eine bessere Koordination sorgen müssen. Ein erneuerter Bundessicherheitsrat mit einem Bundessicherheitsberater und einem ausreichend großen Arbeitsstab im Bundeskanzleramt könnte ein geeignetes Koordinierungsinstrument sein [...] Wenn die Bundesrepublik nicht bereit ist, auch die institutionellen Voraussetzungen für eine deutsche Sicherheitspolitik zu schaffen, wird sie immer wieder scheitern.“
Deutschland braucht eine umfassende Anti-Terror-Strategie. Darüber sind sich viele Experten einig. Worauf es dabei ankommt, macht nun Guido Steinberg deutlich, in seinem sehr klaren und überzeugenden Standpunkt!
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Rezension zu: „Im Visier von al-Qaida – Deutschland braucht eine Anti-Terror-Strategie“ von Guido Steinberg, Edition Körber Stiftung 2009, 105 Seiten, 10 Euro, ISBN-13: 978-3896841391.
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Siehe dazu auch EM-Interview mit Guido Steinberg
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