Impressionen aus ScharkentKASACHSTAN

Impressionen aus Scharkent

Impressionen aus Scharkent

Bescheidenheit, Freundlichkeit und ein besonderes Bauwerk zentralasiatischer Vielfalt prägen Scharkent. Trotz Gemeinsamkeiten der kasachischen Kleinstadt unweit der Grenze zu China und in nur 300 Kilometer Entfernung von Almaty sind die Unterschiede zum Großstadtleben in Kasachstan gewichtig.

Von Gunter Deuber

Die dekorativen, holzgeschnitzten und grüngefärbten Minarette der Juldaschew-Moschee sehen aus wie eine chinesische Pagode.  
Die dekorativen, holzgeschnitzten und grüngefärbten Minarette der Juldaschew-Moschee sehen aus wie eine chinesische Pagode.  

D urch den endlosen PKW-Strom auf den breiten und zum Nationalfeiertag neugeteerten Boulevards von Almaty drängen sich jedes Wochenende hupende Hochzeitsparaden. Autokarawanen angeführt von Hollywood-Limousinen oder Staatskarossen von Mercedes-Benz mit rosa Schleifchen und verdunkelten Scheiben schlängeln sich zum Platz der Republik. Dort werden die Fotos fürs Familienalbum geschossen. Das Brautpaar legt abwechselnd seine Hände in die stählernen Handabdrücke, die Staatspräsident Nursultan Nasarbajews hier hinterlassen hat, und posiert vor dem  Unabhängigkeitsmonument mit der in Gold gegossenen Verfassung der kasachischen Republik.

Krachende Feuerwerke in der Nacht nähren die Idee, der Großstadt den Rücken zu kehren – auch wenn das alltägliche Leben in Almaty abseits der Prachtboulevards schon nicht mehr das der Hochzeitsparaden ist. Die Aussicht auf Ruhe abseits von Almatys Boulevards bietet nicht nur die umliegende Bergwelt des Tienschan-Gebirges, sondern auch in der Ferne, an der Grenze zu China kann man sich vom Tumult der südkasachischen Metropole erholen. Zum Beispiel in Scharkent – von 1942 bis 1991 Panfilow genannt. Sie ist die letzte größere Stadt Kasachstans, 30 Kilometer vor Khorgos gelegen, dem PKW- und LKW-Übergang in die Volksrepublik China.

In Scharkent geht es gemütlicher zu als in der 1,2-Millionen-Stadt Almaty. Schon die Halbtagesfahrt nach Scharkent läßt den Reisenden ahnen, daß er sich in ruhige Gefilde begibt. Während der ersten 100 Kilometer entlang der A 351 ziehen noch zahlreiche Dörfer und kleine Städtchen am Fenster vorbei. Auf den restlichen 250 Kilometern ist die Landschaft karg und dünnbesiedelt. Häuser muß man in den Weiten der Landschaft mit Adleraugen suchen.

Vielfältiges Landschaftsbild und einfaches Leben

  Den Verkehr in Scharkent prägt ein Nebeneinander der um Schlaglöcher manövrierenden Ladas oder Wolgas, Kamaz-LKW und vollbeladene von Eseln oder Pferden gezogene Ein- oder Zweispännerkarren.
  Den Verkehr in Scharkent prägt ein Nebeneinander der um Schlaglöcher manövrierenden Ladas oder Wolgas, Kamaz-LKW und vollbeladene von Eseln oder Pferden gezogene Ein- oder Zweispännerkarren.

Beeindruckend ist die Fahrt durch die vielfältige kasachische Landschaft: grüne und fruchtbare Ebenen gehen in steinige Hügellandschaften, dann in sandige Canyons über. Zuletzt zeigen sich die endlos erscheinenden Weiten der steinigen zentralasiatischen Steppe mit ihrem Gras- und Halbstrauchbewuchs. Der Wind kann hier so stark dahinfegen, daß der kleine schreiende Steppke, der den Bus gerade zum Stoppen bringt, vom Fahrer festgehalten werden muß. Erst wenige Kilometer vor Scharkent erscheinen wieder Dörfer und Städtchen am Horizont. Die Straßen sind meist mit viele kleine bunte Fahnen gesäumt und mancher Hauseingang mit chinesisch anmutenden Ornamenten verziert. Man ist noch nicht in China, aber eindeutig im Siedlungsgebiet der Uighuren angekommen - eine der ethnischen Minderheiten in Kasachstan. Die Uighuren sind schon lange hier ansässig. Sie haben ihre Heimat in der chinesischen Provinz Xinjiang schon Ende des 19. Jahrhunderts verlassen, noch bevor der Kommunismus nach Zentralasien kam, da sie als Muslime in der Heimat verfolgt wurden.

Die Einfahrt in Scharkent lassen vermuten, daß die Uhren hier etwas langsamer als in Almaty gehen. Ein kleiner gemütlicher Kleinstadtbusbahnhof begrüßt den Reisenden. Nur die durchgehend geteerte Hauptstraße, durchzieht die Stadt. An ihren Seiten reihen sich die wenigen vier- oder fünfstöckigen Wohnblocks der Stadt. Sie sind noch ein Überbleibsel aus der sowjetischen Epoche. Prunkvolle postsowjetische Bauten des neuen Kasachstans sucht man in Scharkent vergeblich, ebenso wie glizernde Leuchtfassaden und Casinos, wie man sie von Almaty kennt. Vielmehr zeugt die Kleidung der Menschen vom Stolz auf die Wiedergeburt des Islams im ehemals sowjetischen Zentralasien.

Die Straßen in Scharkent sind von ebenso viel Grün gesäumt wie in Almaty – und auch die Dichte der Schlaglöcher ist genauso hoch. Staub liegt in der Luft, rechts und links stehen kleine gemütliche Häuser. Ein älterer Mann mit europäischen Gesichtszügen fällt auf. Entschuldigend und ein wenig verärgert erklärt er, in Rußland sei alles besser. Dort sehe es nicht so schmuddelig aus.

Das Verkehrsaufkommen in Scharkent ist bescheiden, die Luft weniger von stechendem Benzingeruch durchsetzt. Große Westkarossen sind rar. Den Verkehr prägt ein Nebeneinander der um Schlaglöcher manövrierenden Ladas oder Wolgas, Kamaz-LKW und vollbeladene von Eseln oder Pferden gezogene Ein- oder Zweispännerkarren. Wochenendliche Hochzeitskarawanen gibt es ebenso – allerdings mit bescheideneren Vehikeln und schlichter geschmückten Autos. Das Ziel der Scharkenter Paraden ist nicht ein Ort der Moderne wie in Almaty, sondern die Juldaschew-Moschee, benannt nach einem uighurischen Emigranten.

Eine Moschee als Audruck zentralasiatischer Baukunst

Das prunkvolle Eingangstor der Juldaschew-Moschee mit muselmanischen Ornamentverzierungen in Blau als Ausdruck der Größe Allahs überragt das Bauwerk. Die Fenster des eher wie ein chinesicher Tempel aussehenden Hauptbaus aus Holz und weißem Beton könnten die einer russisch-orthodoxen Kirche sein.  
Das prunkvolle Eingangstor der Juldaschew-Moschee mit muselmanischen Ornamentverzierungen in Blau als Ausdruck der Größe Allahs überragt das Bauwerk. Die Fenster des eher wie ein chinesicher Tempel aussehenden Hauptbaus aus Holz und weißem Beton könnten die einer russisch-orthodoxen Kirche sein.  

Wie die Senkow-Kathedrale Almatys ist auch die Juldaschew-Moschee ohne Nägel gezimmert. Das architektonische Gesamtbild der Moschee ist Ausdruck der zentralasiastischen Kulturenvielfalt und Zeichen der ethnischen Vielfalt Kasachstans. Die dekorativen, holzgeschnitzten und grüngefärbten Minarette sehen aus wie eine chinesische Pagode. Das prunkvolle Eingangstor mit muselmanischen Ornamentverzierungen in Blau als Ausdruck der Größe Allahs überragt das Bauwerk. Die Fenster des eher wie ein chinesicher Tempel aussehenden Hauptbaus aus Holz und weißem Beton könnten die einer russisch-orthodoxen Kirche sein.

Die Einheimischen sind stolz auf ihren restaurierten islamischen Kultbau. Hier ist er das Ziel der Hochzeitskarawanen. Man posiert vor dem Bauwerk und läßt sich mit den Verwandten ablichten - wandelt dabei dennoch genau wie in Almaty auf den Spuren des omnipräsenten Präsidenten Kasachstans. Mit etwas Stolz erzählt der Taxifahrer Ali, daß der kasachische Präsident hier gewesen sei und der Moschee einen Besuch abstattete. Stolz auf das Bauwerk und auf den Besuch Nasarbajews ist Ali zwar, doch findet er, daß in seiner Heimatstadt vieles zu langsam voran gehe. Eigentlich habe sich in den letzten Jahren gar kaum was verändert. Nur die Hauptstraße sei neu geteert worden, so Ali - obwohl auch hier landesübliche Plaktate der Regierung Fortschritt und Modernisierung verheißen.

Verheißungen in Scharkent

Das abendliche Fernsehprogramm des Staatsfernsehens, daß eine modernes Land vorführt, wirkt noch weiter weg, als es dies schon in Almaty tut. Dafür findet man an den Abenden Ruhe in Scharkent. Krachende Hochzeitsfeuerwerke gibt es keine – nur der Muhezin ruft und spricht vom Dar al Islam. Der Hadit-Vers aus den Maßregeln Mohammeds „Wer eine Moschee baut, dem baut Gott ein Haus im Paradies“ scheint hier mehr Gewicht zu haben als Nasarbajews nebulöses Regierungsprogramm „Kasachstan 2030“. Atmoshpäre und Stadtbild in Scharkent strahlen Gelassenheit und Freundlichkeit aus – zumal für den Besuch nicht, wie in anderen Grenzregionen, eine Sondergenehmigung einzuholen ist.

Einst endete in Scharkent die nördliche Route der großen Seidenstraße. Die heutige Ruhe dort hat indes auch ihre Kehrseite. Auf der Rückfahrt erzählt der 21jährige Nuri, daß es in seiner Heimatstadt kaum Arbeit und Perspektiven für die Jugend gäbe. Deswegen fahre er auch nach Almaty – ohne wirklich einer festen Arbeit nachzugehen. Genauso wie seine drei älteren Brüder. Der Uighure Nuri weiß, daß es neben seiner eigenen Minderheit drei weitere große ethnische Minderheiten in Kasachstan gibt. Von ihm erhält man gleich noch Riesenmengen Sonnenblumenkörner zum Knabbern, die die Busfahrt verkürzen. Neben den Eindrücken aus Scharkenkt ein willkommenes Proviant, denn die rund 300 Kilometer über weniger gut geteerte Fernstraßen, zurück in das etwas andere Almaty, dauert eben doch mehr als sechs Stunden.

Zentralasien

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