Interview mit Michael Pogrebinski über Viktor JanukowitschEM-INTERVIEW

„Janukowitsch war nie ein prorussischer Politiker“

Interview mit Michael Pogrebinski über Viktor Janukowitsch

Dass die Regierung der Ukraine eine Woche vor der Unterzeichnung des Assoziierungs- und Freihandelsabkommen mit der EU, die Vorbereitungen für den Vertrag, auf Eis legte, wirft die Frage auf, was eigentlich die Interessen der ukrainischen Führung sind. An dem Abkommen war immerhin drei Jahre lang gearbeitet worden. In einem Ende September 2013 mit dem EM geführten Interview sagt der Kiewer Politologe Michail Pogrebinski, dass der ukrainische Präsident Viktor Janukowitsch nie ein pro-russischer Politiker war. Die Entscheidungen des Präsidenten würden in Wahrheit maßgeblich von den Interessen der Oligarchen in der Ost-Ukraine bestimmt.

Von Ulrich Heyden

Viktor Janukowitsch
Viktor Janukowitsch
(Foto: http://www.president.gov.ua)

Eurasisches Magazin: Beobachter in Kiew halten es für möglich, dass Präsident Viktor Janukowitsch (http://www.president.gov.ua/en/) die inhaftierte Julia Timoschenko zur medizinischen Behandlung ins Ausland ausreisen lässt. Was meinen Sie?

Michail Pogrebinski: Ich glaube in zwei Monaten, nach dem EU-Gipfel in Vilnius, bekommt sie diese Möglichkeit.

EM: Und dann darf sie nicht mehr zurück in die Ukraine?

Pogrebinski: Wenn sie zurückkehrt, kommt sie ins Gefängnis. Bis zu den Präsidentschaftswahlen 2015 wird man sie nicht zurücklassen, damit sie nicht an den Wahlen teilnehmen kann. Wenn Janukowitsch bei den Wahlen gewinnt, kann es allerdings sein, dass er Timoschenko begnadigt.

„Der Vertrag mit der EU lag zum Zeitpunkt der Paraphierung weder auf Ukrainisch noch auf Russisch vor“

Viktor Janukowitsch  
Der Kiewer Politologe Michail Pogrebinski
Foto: Heyden
 

EM: Was ist über die Einzelheiten des Assoziierungs- und Freihandelsabkommens zwischen der Ukraine und der EU bekannt?

Pogrebinski: Die Einzelheiten kennen noch nicht mal die Abgeordneten unseres Parlaments, geschweige denn die Journalisten. Das ist ein Dokument mit 1.000 Seiten. Bei dreiviertel dieses Dokuments geht es um Zollfragen und technische Normen von Waren. Eine gründliche Diskussion über das Dokument gab es in der Regierung nicht. Die Details der Vereinbarung kennen noch nicht mal diejenigen, die den Vertrag mit der EU paraphiert haben. Einige Experten meinen, dass diejenigen, die den Vertrag paraphiert haben, ihn nicht gelesen haben, weil sie kein Englisch können. Der Vertrag lag zum Zeitpunkt der Paraphierung weder auf Ukrainisch noch auf Russisch vor.

EM: Warum arbeiten die ukrainische Regierung und die ukrainische Opposition in der Frage des Assoziationsabkommens mit der EU nun plötzlich zusammen?

Pogrebinski: Die Regierung und der Präsident sind für das Assoziierungsabkommen aus rein politischen, nicht aus wirtschaftlichen Gründen. Es gab eine politische Entscheidung des Präsidenten und seiner Umgebung, die vor allem aus Oligarchen besteht, dass man das Assoziierungs-Abkommen unterzeichnen muss, damit die Ukraine nicht unter Moskauer Kontrolle gerät.

EM: Die EU hat außer der Freilassung von Timoschenko auch die Bedingung gestellt, dass einige Gesetze geändert werden müssen. Um welche Gesetze geht es?

Pogrebinski: Es geht um Gesetze zum Gerichtswesen, zur Staatsanwaltschaft und zum Wahlrecht. Diese Gesetzesänderungen sind schon angenommen und von Europa gebilligt worden.

„Für die Opposition ist Europa wie der ältere Bruder“

EM:  Die Opposition war auch für die Gesetzesänderungen?

Pogrebinski: Die Opposition hätte bei einigen Punkten Widerstand leisten können. Aber für die Opposition ist Europa wie der ältere Bruder. Štefan Füle, ein EU-Diplomat aus Tschechien, hat sich mit den Führern unserer Opposition getroffen und mit ihnen vereinbart, dass sie alle Gesetzänderungen unterstützen werden.

EM: Was sind die Ziele der Opposition?

Pogrebinski: Die drei Oppositionsparteien, „Der Schlag“ (http://klichko.org/en/) von Vitali Klitschko, „Vaterland“ (http://byut.com.ua/) von Julia Timoschenko und die nationalistische Partei „Freiheit“ (http://en.svoboda.org.ua/) wollen seit langem weiter weg von Moskau. Diese Parteien wollen die Verwendung der russischen Sprache beschränken und die Stationierung der russischen Flotte in Sewastopol beenden. Außerdem ist man gegen ein russisch-ukrainisches Gas-Konsortium und den Zugriff Russlands zu ukrainischen Pipelines.

„Putin hat keinen Einfluss auf Janukowitsch“

EM: Im Westen hielt man Janukowitsch lange Zeit für einen prorussischen Politiker. Wie kommt es, dass er nun das Assoziierungsabkommen mit der EU vorantreibt?

Pogrebinski: Dass Janukowitsch ein prorussischer Politiker ist, war von Anfang an nicht wahr. Seine Opponenten waren anti-russisch und pro-amerikanisch, beziehungsweise pro-europäisch. Deshalb hielt man Janukowitsch für pro-russisch. Janukowitsch ist ein sowjetischer Mensch, der vom Leiter einer Auto-Garage zum Gouverneur von Donezk aufstieg. Janukowitsch ist zwar russisch-orthodoxen Glaubens, aber er ist weit entfernt von der russischen Kultur. Dostojewski und die anderen Klassiker hat er nicht gelesen. Putin hat keinen Einfluss auf Janukowitsch. Der russische Präsident hat den ukrainischen Präsidenten bei vereinbarten Treffen schon zweimal lange warten lassen.

„Die Bevölkerung im Süden und Osten der Ukraine ist mehrheitlich für eine Annäherung an Russland“

EM: Was will die russischsprachige Bevölkerung im Osten und Süden der Ukraine?

Pogrebinski: Die Bevölkerung im Süden und Osten der Ukraine wählte Janukowitsch und ist mehrheitlich für eine Annäherung an Russland. Viele Menschen dort haben Verwandte in Russland. Aber ich schließe nicht aus, dass auch im Osten der Ukraine ein Teil der Jugend und ein Teil der Geschäftswelt nach Europa schaut. Der Westen der Ukraine war vor hundert Jahren Teil des österreichisch-ungarischen Imperiums und ist mehrheitlich für die EU-Integration.

EM: Wenn Janukowitsch nicht pro-russisch ist, warum hat er dann 2010 einen Vertrag unterschrieben, welcher Russland das Recht gibt, bis zum Jahr 2042 seine Schwarzmeer-Flotte auf der Krim zu stationieren?

Pogrebinski: Nachdem Janukowtisch diesen Vertrag unterschrieben hat, entstand der Eindruck, dass er bereit sei, den russischen Interessen immer mehr entgegenzukommen. Aber Janukowitsch rechnete damit, dass nach dem Zugeständnis zur Stationierung der russischen Flotte, Moskau den Gaspreis senkt. Aber das war nicht der Fall. Janukowitsch wurde unzufrieden. Die Ukraine  zahlt für russisches Gas so viel wie Europa, obwohl wir näher an Russland liegen. Auch nach meiner Meinung ist das nicht gerecht.

„Moskau sieht das geplante Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU als Bruch des Freundschaftsvertrages“

EM Wie wird Moskau jetzt reagieren?

Pogrebinski: In Moskau sieht man das geplante Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU als Bruch des Freundschaftsvertrages, den die Ukraine 1997 mit Russland abgeschlossen hat. In diesem Vertrag ist die Rede davon, dass Russland und die Ukraine sich verpflichten, einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu schaffen. Ich halte es für möglich, dass die Duma den Freundschaftsvertrag mit der Ukraine aufkündigt. Damit wäre auch die Frage der Grenzen zwischen Russland und der Ukraine und die territoriale Zugehörigkeit der Krim wieder offen. Dort ist die Mehrheit der Bevölkerung für den Anschluss an Russland.

EM: Moskau wird den Abschluss des Assoziierungsabkommens mit der EU nicht verhindern können. Welchen Fehler hat Russland gemacht?

Pogrebinski: Zwanzig Jahre lang hat Russland die Ukraine nicht als wichtigen internationalen Partner anerkannt. In Russland meinte man, dass sich der ukrainische Staat nicht lange hält. Darum hat Russland nichts gemacht, um auf die öffentliche Meinung Einfluss zu nehmen, wie das amerikanische und deutsche Stiftungen gemacht haben, die hier seit vielen Jahren tätig sind und mir in den 1990er Jahren geholfen haben, als Experte auf die Beine zu kommen.

EM: Wie sollte sich die Ukraine Ihrer Meinung nach positionieren?

Pogrebinski: Das Assoziierungsabkommen ist ein Fehler. Ich bin der Meinung, dass die Ukraine mit gleichem Abstand zwischen Moskau und Brüssel stehen sollte. Kulturell sind wir mit Russland verbunden, politisch bräuchten wir ein System wie in Polen, wo der Präsident kein großes Gewicht hat.

EM: Herr Pogrebinski, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.

EU Russland Ukraine

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