Ist eine türkische Vollmitgliedschaft für die EU unverzichtbar?GEOPOLITIK

Ist eine türkische Vollmitgliedschaft für die EU unverzichtbar?

Ist eine türkische Vollmitgliedschaft für die EU unverzichtbar?

Wie sehr die EU und die Türkei aufeinander angewiesen sind, zeigt sich an der geostrategischen Gesamtsituation. Während die Türkei der EU den Zugang zu strategischen Ressourcen und ein gemeinsames Management von Krisen in ihrer weiteren Peripherie anbieten kann, verspricht sich die Türkei ihrerseits von der Zusammenarbeit mit der EU eine Konsolidierung und Stärkung ihrer sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Stellung. Ist wegen dieser gegenseitigen Abhängigkeiten in absehbarer Zeit eine Vollmitgliedschaft der Türkei zu erwarten?

Von Sören Scholvin

  Zur Person: Sören Scholvin
  Sören Scholvin promoviert am Institut für Geographie der Universität Hamburg zu regionalen Führungsmächten und ist Mitglied des Regional Powers Network am German Institute of Global and Area Studies (GIGA).

Er hat in Münster und Hamburg Geographie, Politikwissenschaft und Mittlere und Neuere Geschichte studiert und befasst sich schwerpunktmäßig mit Geo- und Sicherheitspolitik sowie dem Nahen und Mittleren Osten.
Dr. Andrea Schmitz  
Sören Scholvin  

D ie Debatte um eine Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union (EU) ist die langwierigste und am stärksten polarisierte Auseinandersetzung um ein mögliches neues Mitgliedsland. Bereits seit 1923 definiert sich die Türkei als laizistischer Staat, der sich am europäischen Vorbild orientiert. Dem Europäisierungskurs Atatürks und seiner Nachfolger entsprechend intensivierte sich während der Blockkonfrontation die Anbindung der Türkei an den Westen: Sie ist Mitglied der North Atlantic Treaty Organization (NATO) seit 1952, durch das Ankara-Abkommen von 1963, das bereits eine Zusage auf eventuelle Mitgliedschaft enthält, mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) assoziiert, ab 1973 in der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) präsent und schließlich seit 1996 per Zollunion an die EU gekoppelt. Von der „privilegierten Partnerschaft“ kann deshalb schon heute gesprochen werden.

Nichtsdestotrotz führen Kritiker einer türkischen Vollmitgliedschaft zahlreiche Argumente an: Wertedifferenzen wie die Einstellung zur Demokratie und zum Verhältnis von Staat und Religion werden genauso wie der vermeintliche kulturelle Gegensatz zwischen Abend- und Morgenland angemahnt. Außerdem würde sich die EU mit der Aufnahme der Türkei überfordern – mit dem Schlagwort „imperial overstretch“ wird ein türkischer Beitritt gar zur Ursache eines möglichen Scheiterns der EU als Ganzes erklärt. Überzeugender sind neben den institutionellen Herausforderungen, die ein vollständiges Mitspracherecht der Türkei in Brüssel und Straßburg mit sich bringen würde, die beträchtlichen wirtschaftlichen Disparitäten als Belastung der EU-Strukturfonds und die sicherheitspolitische Instabilität in der östlichen und südöstlichen Nachbarschaft der Türkei.

Befürworter der Ausdehnung der EU über die geographischen Grenzen des Kontinentes hinaus führen als Argumente an: die mit dem Beitrittsprozess einhergehenden Reformen in der Türkei, die Aussicht auf wirtschaftlichen Wohlstand für die Türkei, die Vorbildfunktion, die sie für andere Länder mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit übernehmen könnte, die Gefahren einer Ablehnung der Türkei (außenpolitische Umorientierung zu neuen Partnern) und schließlich ihre geostrategische Bedeutung für die EU. Insbesondere der letztgenannte Aspekt kann in seiner Relevanz – man denke an das Pipelineprojekt Nabucco und die Brisanz gewaltsamer Konflikte vom Kaukasus über den Irak bis nach Israel auch für die EU – kaum unterschätzt werden. Ergibt sich daher aus der geostrategischen Bedeutung der Türkei, sowohl in wirtschaftlicher als auch in sicherheitspolitischer Hinsicht, die Notwendigkeit einer Vollmitgliedschaft?

Die wirtschaftliche Lage der Türkei

Die Gesamtlage der türkischen Wirtschaft ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts kritisch zu beurteilen und stellt durchaus eher ein Hemmnis für eine Mitgliedschaft in der EU dar: 36 Prozent der Erwerbstätigen sind im primären Sektor (Land- und Forstwirtschaft, Fischerei) beschäftigt, erwirtschaften allerdings nur 12 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Der Dienstleistungsbereich ist mit 41 Prozent Anteil an den Beschäftigten und 59 Prozent Anteil am BIP überproportional stark, was auf einen aufgeblähten Staatssektor und den Tourismus zurückzuführen ist.  Die industrielle Produktion trägt hingegen nur 23 Prozent zur Beschäftigung und 29 Prozent zum BIP bei – alles in allem eine äußerst krisenanfällige Wirtschaftsstruktur. Ein Anteil von Armen an der Bevölkerung von 20 Prozent, enorme regionale Disparitäten zwischen dem reichen Westen und dem armen Osten der Türkei und eine öffentliche Verschuldung von 68 Prozent des jährlichen BIP kommen hinzu.

Die außenwirtschaftlichen Beziehungen der Türkei verdeutlichen ihre Abhängigkeit von der EU: Knapp 50 Prozent der türkischen Exporte gehen in die EU. Gut 50 Prozent der türkischen Importe kommen dort her. Die Handelsbilanz gegenüber dem europäischen Integrationsgebilde ist negativ – rund 25 Milliarden US-Dollar pro Jahr. Zwar haben verschiedene türkische Regierungen versucht, die Außenhandelsbeziehungen ihres Landes zu diversifizieren. Doch sind bislang alle damit gescheitert. Die Wirtschaftsverflechtungen mit den Turkstaaten, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion angeblich die geostrategische Alternative zur EU, bleiben praktisch unbedeutend. 1,8 Prozent der türkischen Exporte gehen in die Turkstaaten. 0,7 Prozent der türkischen Importe stammen dorther. Gleiches gilt für die Wirtschaftsbeziehungen der Türkei zu ihren Nachbarn im Nahen und Mittleren Osten: Lediglich Iran mit einem Anteil von 4,1 Prozent an den türkischen Importe und die Vereinigten Arabischen Emirate, in die 6,0 Prozent der türkischen Exporte gehen, spielen eine nennenswerte aber im Vergleich zur EU marginale Rolle.

Was das Land zu bieten hat

Doch trotz dieser strukturellen Schwächen, hat die Türkei der EU in wirtschaftlicher Hinsicht viel zu bieten. Die Türkei ist nicht einseitig von der EU abhängig. Auch die EU ist auf die Türkei angewiesen. Dies resultiert aus ihrer geographischen Lage: Als Transitland für Erdöl und Erdgas aus dem Nahen und Mittleren Osten, Zentralasien, sowie den Kaukasusstaaten (Projekt Nabucco) kann sie von der EU, die ihre Abhängigkeit von Russland mindern möchte, nicht umgangen werden. In der EU rechnet man bis zum Jahr 2020 mit einem Anstieg des Erdgasverbrauchs um 60 Prozent. Da bereits heute die eigenen Ressourcen nicht zur Deckung der Nachfrage ausreichen, wird die Abhängigkeit von Importen stark zunehmen.

Angesichts der Tatsache, dass gegenwärtig 42 Prozent des importierten Erdgases aus Russland stammen, fällt es nicht schwer nachzuvollziehen, dass eine Diversifizierung der Versorgungsstruktur im wirtschaftsstrategischen Interesse der EU liegt. Das Hauptaugenmerk wird dabei auf die kaspische Senke, Zentralasien und den Mittleren Osten gelegt (Müller 2001, Pamir 2001). Doch will man Russland nicht nur als Lieferanten, sondern auch als Transitland umgehen, um Abhängigkeitsverhältnisse zu beenden, ist man auf die Türkei angewiesen. Nur über türkisches Staatsgebiet können Pipelineverbindung zu den Fundorten der begehrten Rohstoffe hergestellt werden. Die EU-Kommission hält hierzu fest, dass „die Aufrechterhaltung guter Beziehung zu den Transitländern [...] Grundvoraussetzung für eine regelmäßige Versorgung der Union [ist]. Das gilt insbesondere für Erdgas, bei dem die Versorgungssicherheit eher von der Kontinuität des Transits und einer weiteren Diversifizierung der Transportwege [sprich Loslösung von Russland, d. V.] abhängt als vom Umfang der weltweiten Reserven“ (Europäische Kommission 2000: 27).

Die Verrechtlichung des Transits zwischen der Türkei und der EU ist bereits weit fortgeschritten. Die Türkei hat sich dazu verpflichtet, die existierenden Pipelines nicht als Druckmittel einzusetzen. Den Bau oder die Änderung von Energieförderungseinrichtungen muss sie allerdings nicht zwangsweise genehmigen. Außerdem bemüht sich die Türkei intensiv um eine Verbesserung ihrer Beziehungen zu den Turkstaaten des Kaukasus und Zentralasiens. Auch auf Grund dieser diplomatischen Initiativen ist sie für die EU bereits heute ein sicheres und vertrauenswürdiges Transitland für Erdgas (Bulut 2001).

Darüber hinaus hat die Türkei das Potential, als Bindeglied zwischen der EU und den Erdölvorkommen am Persischen Golf zu fungieren. Bereits jetzt existiert eine Pipeline von der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Gleiches ist für die Ölfelder im Nordirak, eventuell sogar für die irakischen, iranischen und kuwaitischen am Persischen Golf vorstellbar. Angedacht wurden derartige Pipelineprojekte bereits Mitte der neunziger Jahre (Hollis 2000: 10-12). Dass die Umsetzung bisher stets scheiterte, liegt an der sicherheitspolitischen Instabilität der Region. Doch auch diesbezüglich kann die Türkei der EU von Nutzen sein.

Die sicherheitspolitische Lage der Türkei

13 von 16 Krisenherden, die in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) als Herausforderungen für die EU benannt werden, befinden sich in geographischer Nähe der Türkei. Sie ist bildlich gesprochen von Unruhegebieten umkreist. Der Zypernkonflikt, die endogene Instabilität der Kaukasusrepubliken und das dortige Machstreben Russlands, der islamistische Terrorismus im Irak, der Nahost-Konflikt und die Nachbarschaft zu den „states of concern“ Syrien und Iran – die sicherheitspolitische Instabilität der gesamten östlichen und südöstlichen Flanke der Türkei würde durch deren Mitgliedschaft in der EU zu einer sich unmittelbar an den Grenzen der Gemeinschaft abspielenden Bedrohung.

Doch die EU hat sich bereits seit langem von traditioneller Landesverteidigung verabschiedet. Es liegt in ihrem sicherheits- und wirtschaftspolitischen Interesse, die Konflikte, die die Türkei umgeben, zu entschärfen. Hierfür wiederum ist die Türkei ein unabdingbares Bindeglied, dessen Beziehungen zu seinen Nachbarn jedoch nicht immer spannungsfrei sind.

Wie die Türkei mit ihren nicht-EU Nachbarn zurecht kommt

Die türkischen Beziehungen zu den Kaukasusrepubliken, die bei einer Vollmitgliedschaft entscheidend für das dortige Standing der EU sowohl in Hinblick auf Pipelineprojekte als auch für sicherheitspolitische Zusammenarbeit wären, schwanken zwischen Zweckkooperation und historisch-ideologisch begründeter Konfrontation. So erfolgt eine intensive Kooperation mit Georgien und Aserbaidschan auf Grund gemeinsamer Pipelinetrassen. Trotz der engen Zusammenarbeit sucht die Türkei aber in ihrem Verhältnis zu diesen beiden Staaten, die Balance zu Russland zu wahren.

Russland erhebt selbst Hegemonieansprüche in Bezug auf das Kaspische Meer und den Kaukasus und fährt gegenüber Aserbaidschan und vor allem Georgien einen konfrontativen Kurs. Seit der Unabhängigkeit Georgiens werden Russland nicht nur angebliche Attentatsversuche auf den damaligen Präsidenten Eduard Schewardnadse vorgeworfen. Auch die Bombardierung georgischen Staatsgebietes im Rahmen des Kampfes gegen tschetschenische Rebellen wirft man Moskau vor. Im vergangenen Jahr marschierten russische Truppen in Georgien ein. Georgische Städte wurden bombardiert, Abchasien und Südossetien aus dem georgischen Staatsgebiet faktisch herausgelöst.
 
Das türkisch-armenische Verhältnis ist hingegen nicht nur aufgrund des Genozids an den Armeniern während des Ersten Weltkriegs äußerst gespannt. Auch die territorialen Streitigkeiten zwischen Aserbaidschan und Armenien führen dazu, dass eine Zusammenarbeit beider Staaten als kaum wahrscheinlich einzustufen ist. Ganz im Gegenteil bietet die Besetzung von 20 Prozent des aserbaidschanischen Staatsterritoriums durch armenische Truppen latenten Zündstoff für eine gewaltsame Auseinandersetzung (Freitag-Wirminghaus 2001).

Hieran hat auch das armenisch-türkische Abkommen über die Normalisierung der bilateralen Beziehungen, unterzeichnet im Oktober 2009, nichts geändert. Unmittelbar nach der Unterzeichnung wies Präsident Recep Tayyip Erdoğan darauf hin, dass die armenisch-türkischen Beziehungen bei anhaltender Besatzung aserbaidschanischen Staatsgebiets durch Armenien nicht „derart friedlich“ bleiben könnten.

Wendet man den Blick zum derzeit bedeutendsten sicherheitspolitischen Brennpunkt der Welt, Iran, so fällt die Eigenständigkeit der türkischen Außenpolitik auf. Das iranisch-türkische Verhältnis ist äußerst kooperativ. Das Streben nach Zugang zum iranischen Erdöl und Erdgas, sowie das gemeinsame Interesse an der Wahrung der nationalen Integrität des Iraks sind die Gründe hierfür. Dass die traditionelle Westbindung der Türkei ihr Verhältnis zu Iran nicht beeinträchtigen soll, machte der damalige Präsidenten Ahmet Nedcet Sezer im Januar 2002 bei seinem Iranbesuch deutlich. Er betonte, dass „niemand [gemeint der Westen, d. V.] eine Verbesserung der türkisch-iranischen Beziehungen verhindern“ könne.

Noch größer ist das irakisch-türkische Kooperationspotential. Wirtschaftlich stellt der Irak traditionell einen wichtigen Partner für die Türkei dar. Angesichts der geographischen Nähe der Erdölfelder des Nordiraks und des Anliegens der USA, die Türkei als Staat mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung in den Wiederaufbau des Iraks einzubeziehen, ist es wahrscheinlich, dass es zu einer dauerhaft intensiven sicherheits- und wirtschaftspolitischen Kooperation von Ankara und Bagdad kommen wird. Problematisiert wird dies zurzeit jedoch durch die Militäroperationen der türkischen Armee gegen kurdische Guerillaverbände im Grenzgebiet. Gerade die harte militärische Linie im Umgang mit kurdischem Separatismus – im Sommer 2007 waren 100.000 türkische Soldaten im Grenzgebiet stationiert – stellt ein Hindernis für eine EU-Mitgliedschaft dar. Ein Land, in dessen Grenzgebieten ein intensiver Guerillakrieg einschließlich Ausschreitungen gegen ethnische Minderheiten und terroristischen Anschlägen zu befürchten ist, kann sich kaum Chancen auf eine Aufnahme in die EU ausrechnen.

Welche Formen der Zusammenarbeit von EU und Türkei denkbar sind

Nichtsdestotrotz ist wegen der geostrategischen Lage der Türkei leicht ersichtlich, dass kaum ein Weg an ihr vorbeiführt. Das gilt für den Zugang zu Erdöl und Erdgas, sowie zu den sie umgebenden Krisenherden. Aber auch für eine ESVP, die Energieversorgungssicherheit und ein sicherheitspolitisches Engagement außerhalb Europas beinhaltet, ist die Türkei unverzichtbar. Welche Form dies konkret annehmen soll, bleibt allerdings umstritten.

Drei Szenarien lassen sich für die sicherheitspolitische Zusammenarbeit der EU und der Türkei ausmachen (vgl. Fitschen & Sedar 2004):

Erstens ist eine Kooperation auf Grundlage der aktuellen Bedingungen denkbar. Die Türkei auf der einen Seite ist militärisch nicht in der Lage, eine eigenständige Regionalmacht zu werden und unabhängig von der EU ihre östliche und südöstliche Flanke zu stabilisieren. Die Qualität ihrer Streitkräfte reicht nicht aus. Es fehlt an Aufklärungssystemen und Präzisionswaffen. Außerdem hängt die türkische Wirtschaft wie gezeigt zu sehr von der EU ab, als dass ein völliger Bruch aus türkischer Sicht riskiert werden könnte. Die EU auf der anderen Seite braucht die Türkei nicht nur als Transitland für Erdgas, sondern kann sicherheitspolitische Krisen im Nahen und Mittleren Osten sowie dem Kaukasus kaum ohne die Kooperation der Türkei meistern.

Zweitens stellt eine vollständige Integration die von der Türkei bevorzugte Möglichkeit dar. Zusätzlich zu den bereits genannten sicherheitspolitischen Brennpunkten, die durch eine türkische Mitgliedschaft in unmittelbare Nähe der EU rücken würden, birgt die Türkei selbst aber zahlreiche Sicherheitsrisiken. Sie reichen von islamistischen und ultranationalistischen, gewaltbereiten Organisationen bis zur organisierten Kriminalität (insbesondere Drogenschmuggel). Des Weiteren ist anzunehmen, dass die Türkei trotz EU-Mitgliedschaft weiterhin einen stark an nationalen Interessen orientierten Kurs verfolgen würde: Für eine Lösung der latenten Spannungen mit der kurdischen Minderheit, die sich angesichts der Instabilität im Irak jederzeit zu einem regionalen Konflikt ausweiten können, ist keine Lösung in Sicht. Der Wasserkonflikt mit Syrien und dem Irak würde als zusätzliches weiches Sicherheitsproblem zur Angelegenheit der EU. In keinem der beiden Bereiche ist zu erwarten, dass die Türkei sich an Entscheidungen aus Brüssel binden lassen würde.

Drittens ist eine Assoziierung, eventuell in Form einer Teilintegration ausschließlich in den Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), denkbar. Ansatzpunkt hierfür müsste Artikel 43 der anvisierten EU-Verfassung sein, der die Möglichkeit zur intensiveren Zusammenarbeit einzelner Mitgliedsstaaten, sprich ein Europa verschiedener Geschwindigkeiten, beinhaltet.

Warum eine Änderung des Status Quo kaum zu erwarten ist

Was diese drei Szenarien zusammenfassend zeigen, ist, dass die EU und die Türkei aufeinander angewiesen sind. Im Falle der Türkei und ihrer Nachbarländer sind sicherheitspolitische und wirtschaftliche Aspekte nicht trennbar. Während die Türkei der EU den Zugang zu strategischen Ressourcen und ein gemeinsames Management von Krisen in ihrer weiteren Peripherie anbieten kann, verspricht sich die Türkei von der Zusammenarbeit mit der EU eine Konsolidierung und Stärkung ihrer sicherheitspolitischen und wirtschaftlichen Stellung.

Ob diese enge Verknüpfung und gegenseitige Abhängigkeit von EU und Türkei zwingende Argumente für einen türkischen Beitritt liefert, ist fraglich. Alle denkbaren Formen der Partnerschaft – Kooperation im Rahmen der bestehenden Grundlagen, vollständige Mitgliedschaft oder Teilintegration – ermöglichen die notwendige und für beide Seiten Nutzen bringende Zusammenarbeit. Da die Präferenz der aktuellen EU-Mitglieder in Richtung größtmögliche Kooperation bei kleinstmöglicher Integration geht, ist aus geostrategischen Motiven keine Änderung des Status Quo zu erwarten.

Dass dies seitens der türkischen Regierung mit einer geostrategischen Umorientierung – weg von der EU, hin zum Nahen und Mittleren Osten oder den Turkstaaten – beantwortet wird, zeichnet sich in der jüngsten Außenpolitik der AKP-Regierung zwar ab. So bezeichnete Präsident Erdoğan die Unruhen in der chinesischen Provinz Xinjang als „Völkermord“ an den turkstämmigen Uiguren. Diplomatische Treffen auf höchster Ebene mit Syrien und der Hamas fanden statt. Zweifelhaft ist jedoch, ob solche symbolischen Schritte dem Land am Bosporus außenpolitisch neue Handlungsspielräume eröffnen. Zu sehr ist die Türkei rein materiell von der EU abhängig. Zu wenig wirtschaftliche Perspektiven bieten die Turkstaaten und der Nahe und Mittlere Osten.

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Literatur:

EU Türkei

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