Kein Anlass zu ZweifelnRUßLANDS ENERGIEPOLITIK

Kein Anlass zu Zweifeln

Kein Anlass zu Zweifeln

Russlands Energiepolitik sorgt derzeit für Unruhe in der Europäischen Union. Es wird befürchtet, Moskau könne die Gas- und Ölhähne bei politischen Unstimmigkeiten zudrehen. Alexander Rahr, Putin-Biograph und GUS-Experte hält diese Befürchtungen gegenwärtig für unbegründet, sieht Rohstofflieferungen aus Russland nicht gefährdet

Von Juliane Inozemtsev

  Zur Person: Alexander Rahr
  Alexander Rahr ist Programmdirektor der Körber-Arbeitsstelle Rußland/GUS und Koordinator des EU-Rußland-Forums (in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission).

Im Jahr 2000 veröffentlichte er unter dem Titel „Wladimir Putin. Der Deutsche im Kreml“ eine Biographie des russischen Präsidenten. 
Eine Zugbegleiterin überprüft eines der Luxusabteils – im „Grand Express“ muß alles stimmen.  
Alexander Rahr  

E urasisches Magazin: Herr Rahr, die russisch-europäische Energieallianz scheint ins Wanken geraten zu sein. Worin besteht der gegenwärtige Konflikt?

Alexander Rahr: Die russischen Energiekonzerne, allen voran Gazprom, stehen in Konkurrenz zu den europäischen Energieunternehmen. Russland möchte sein Gas direkt an die europäischen Verbraucher verkaufen, ohne dabei über Zwischenhändler gehen zu müssen und ohne von der Brüsseler Bürokratie behindert zu werden. Deutsche Konzerne, wie BASF oder Eon, wollen sich hingegen in den russischen Energiesektor einkaufen, um eigene Öl- und Gasbohrungen für den europäischen Markt durchzuführen. Beide Seiten versuchen, den jeweils anderen auszubooten. Dabei spannen sie die Politik für ihre Zwecke ein.

EM: Wodurch gelingt ihnen das?

Rahr: Bereits in zehn Jahren wird die Europäische Union 90 Prozent ihres Energiebedarfs einführen müssen. Da alternative Energiequellen, wie Wind- oder Solarenergie, den Bedarf mittelfristig nicht decken können, ist man auf Öl und Gas angewiesen. Deren Quellen liegen aber in Ländern, die aus Sicht der EU nicht ausreichend demokratisiert sind und als politisch unberechenbar gelten. Eine solche Abhängigkeit macht den Menschen in Europa natürlich Angst. Und mit dieser Angst wird Politik gemacht.

„Transneft muß den Markt regulieren – jedes europäische Unternehmen würde das Gleiche tun“

EM: Diese Angst scheint berechtigt. Hat Gazprom-Chef Aleksej Miller nicht damit gedroht, Gas zukünftig nicht mehr in die EU zu liefern, wenn das Unternehmen an weiteren Investitionen gehindert werde?

Rahr: Das Wort Drohung halte ich hier für unangebracht. Miller hat sinngemäß gesagt, dass es Abnehmer auf dem Weltmarkt gibt, die kooperationsbereiter sind als die EU und dass Russland das Gas auch dorthin liefern könnte. Ich bezweifle, dass die europäischen Politiker und Unternehmer von dieser Aussage überrascht und darüber empört waren. Solche emotionalen Reaktionen werden eher in der breiten Bevölkerung ausgelöst, die mit den wirtschaftlichen Mechanismen nicht vertraut ist. Aus unternehmerischer Sicht war es nur konsequent. Auch die Ankündigung des russischen Ölkonzerns Transneft, zukünftig weniger Öl nach Europa zu leiten, ist keine Drohung, sondern dient schlicht der Wahrung wirtschaftlicher Interessen. Liefert man zu viel Öl, drückt das die Preise. Um Gewinn zu machen, muss Transneft den Markt regulieren. Jedes europäische Unternehmen würde das Gleiche tun. Gazprom-Chef Miller hat seine Entscheidung jedoch mit zu wenig Fingerspitzengefühl nach außen kommuniziert. Nach wie vor ist die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit in Russland oft eine Katastrophe.

EM: Die russische Energiepolitik wurde in den westlichen Medien in letzter Zeit als nahezu erpresserisch dargestellt. Wenn wir davon ausgehen, dass die Medien nicht vorsätzlich negativ berichtet haben, stellt sich die Frage, warum die Kommunikation so schlecht funktioniert hat.

Rahr: Das ist vor allem in der unterschiedlichen Art zu denken begründet. Ich möchte Ihnen zwei Beispiele für eine völlig misslungene Kommunikation zwischen Russland und der EU geben. Als Putin den deutschen Altkanzler Schröder zum Chef der mehrheitlich russischen Gazprom-Ostseepipeline gemacht hat, wollte er mit diesem Schritt mehr Vertrauen in Deutschland säen. Doch statt der erwarteten Anerkennung, gab es Kritik. Der zweite Fauxpas passierte im Januar, als Russland der Ukraine das Gas abgedreht hatte. Trotz der niedrigen Abnehmerpreise hatte die Ukraine in großem Umfang Gas gestohlen, welches eigentlich für den Westen bestimmt war. Russland wollte der Weltöffentlichkeit demonstrieren, dass so etwas nicht geduldet werde. Putin ging davon aus, dass Europa die Ukraine als Schuldigen für die unterbrochenen Gaslieferungen sehen würde. Stattdessen wirkte es so, als ob Russland die ukrainische Bevölkerung dafür frieren ließ, dass sie unabhängig von Moskau sein will. Seitdem stellt der Westen die Energieallianz mit Russland in Frage. Aus meiner Sicht besteht jedoch kein Anlass, an der Loyalität Russlands zu zweifeln.

„Die russische Regierung will verhindern, dass es zu einem Ausverkauf russischer Energiereserven an Drittstaaten kommt.“

EM: Welche Strategie verfolgt Russland gegenwärtig in der Energiepolitik und welche Rolle spielt Gazprom dabei?

Rahr: Man strebt eine Art Lukoilisierung der Energieunternehmen an. Lukoil ist eine der größten Ölfirmen Russlands, die mehrheitlich privat ist, aber staatlichen Interessen folgt. Sie würde zum Beispiel nicht gegen den Willen der Regierung eine Pipeline nach China bauen. Auch bei Gazprom ist die staatliche Kontrolle sehr groß. Wenn man diejenigen privaten Anteilseigner einbezieht, die das Vertrauen des Kreml genießen, kontrolliert die Regierung rund 70 Prozent des Konzerns. Eine richtige Verstaatlichung wird jedoch nicht angestrebt. Die russische Regierung will aber verhindern, dass es zu einem Ausverkauf russischer Energiereserven an Drittstaaten kommt, wie es beispielsweise in Afrika geschehen ist.

EM: Die Menschen in Deutschland sind trotzdem besorgt. In der öffentlichen Wahrnehmung erscheint Russland als „bissiger Bär“ – als unberechenbarer politischer Partner. Woran liegt das?

Rahr: Viele Menschen haben hier zu Lande ein sehr diffuses Russlandbild. In den 90er Jahren lag das Land wirtschaftlich am Boden und war politisch nicht durchsetzungsfähig. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kam dann der wirtschaftliche Aufschwung, mit dem auch das politische Selbstbewusstsein und der Einfluss zurückkehrte. Dieser Umschwung setzte jedoch so plötzlich ein, dass er zurzeit noch als Bedrohung empfunden wird. Aber Russland hat auch Fehler gemacht: Während der Perestroika hatte man betont, sich Europa zuwenden zu wollen, um an einer gemeinsamen Zivilisation zu basteln. Seit die Wirtschaft begonnen hat, sich zu erholen, glaubt man, darauf nicht mehr angewiesen zu sein. Vieles ist eine Reaktion auf die 90er Jahre, in denen Russland politisch auf dem Abstellgleis stand. Jetzt geht es in gewisser Weise darum, den Westen Respekt zu lehren. Dennoch fühlt man sich Europa eng verbunden. Langfristig sieht Russland sich als enger Partner der EU und als ein Bestandteil der europäischen Zivilisation. Das steht für mich außer Frage.

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