„Kontroll“GESEHEN

„Kontroll“

„Kontroll“

Über den rauhen Alltag der Fahrkartenkontrolleure in den Waggonketten der Budapester U-Bahn. Ein exzentrischer Cocktail aus Klamauk und Thriller des ungarischen Nachwuchsregisseurs Nimród Antal.

Von Friedrich Mannstein

Kontroll - für großes Bild klicken  
Bulcsú (l.) hat das Fahrkartenkontrollieren satt. Dann aber bleibt nur der Weg zurück ans Tageslicht  

Fahrkartenkontrolleure sind eine bemitleidenswerte Spezies. Zumindest diejenigen unter ihnen, die ihr Auskommen im unterirdischen Schienennetz der Budapester U-Bahn erwirtschaften müssen. Wenn es ums Schwarzfahren geht, kennen die Magyaren nämlich kein Pardon. Es wird gedroht und geflucht, notfalls auch geprügelt, manch einer der Passagiere sprüht dem lästigen Fahrscheinprüfer Rasierschaum in die Augen oder überantwortet die Situation seinem Kampfhund. Wer würde sich diesen harten und unerfreulichen Job antun, hätte er nicht selbst damit zu kämpfen, wenigstens mit einem Bein im Leben zu stehen. Und tatsächlich, nachdem alle Budapester Schwarzfahrer-Jäger beim Psychiater antreten mußten, ist es raus: Schluckspechte und Profilneurotiker, Weltflüchtige, Choleriker und alle Spielarten des ewigen Verlierers dominieren die Belegschaft der Verkehrsbetriebe in Ungarns Kapitale.

Wer den Kinosaal mit diesem Eindruck verläßt, hat die schlimmsten Befürchtungen der Budapester U-Bahn-Behörde erfüllt. Und dabei griff diese zu einem bemerkenswerten Mittel, um eben dieses zu verhindern und jeden möglichen Imageschaden von der städtischen Untergrundbahn abzuwenden. Neun Monate lang brauchte Regisseur Antal, um der U-Bahn-Leitung die Zustimmung für die Dreharbeiten abzuringen. Und Budapests Chef-U-Bahner wußte seine überragende Verhandlungsposition zu nutzen: Er sicherte sich einen eigenen Filmauftritt an exponierter Stelle. Noch bevor der eigentliche Film anläuft, verliest er eine Erklärung, wonach es in der Budapester U-Bahn abseits des Films völlig gesittet zugehe, die Schienenstränge seien in „Kontroll“ lediglich Kulisse einer fiktiven Handlung.

Flucht vor der Leistungsgesellschaft

Bulcsú – gespielt von Sándor Csányi, selbst gebürtiger Budapester – ist Leiter einer fünfköpfigen Truppe von Fahrkartenkontrolleuren. Nennenswerte Vorteile bringt ihm dieser Posten indes nicht ein. Wie seine Kollegen durchstreift er täglich einen U-Bahn-Waggon nach dem anderen, um dort die Fahrerlaubnis der renitenten Passagiere zu überprüfen. Bulcsú verdingt sich als Heimarbeiter der besonderen Art. Er hat sich seine Arbeit nicht in die eigenen vier Wände geholt, sondern sein Heim an seinen Arbeitsplatz verlegt. Nach Dienstschluß spaziert er durch die unterirdischen, bildgewaltig in Szene gesetzten Haltestationen und mißt sich mit anderen Halbstarken beim „Schienenlaufen“ – einer Variante des U-Bahn-Surfens, bei der es gilt, das enge Schienentunnel entlangzuspurten und dabei nicht vom nachfolgenden Zug überrollt zu werden. Wenn er müde ist, fläzt sich der leitende Fahrkartenkontrolleur irgendwo auf den Bahnsteig, der nächste Arbeitstag kommt bestimmt. Mit dem Hauptstadtleben jenseits seines selbst gewählten Eremitendaseins will Bulcsú nichts zu tun haben – er habe die Leistungsgesellschaft dort oben einfach satt. Der Film spielt daher von der ersten bis zur letzten Minute unter Tage – von der berühmten Kettenbrücke über die Donau oder der gotischen Zick-Zack-Fassade des Parlamentsgebäudes ist nichts zu sehen.

Beim Filmfestival in Cannes 2004 wurde „Kontroll“ mit dem Prix de la Jeunesse bedacht. Er ist einer von der Sorte Filmen, deren Geschichte davon zehrt, daß sie mehr verschweigt als preisgibt. Spielraum für Phantasie und Interpretationen bietet Nimród Antal dem Zuschauer zuhauf. Da wären die Frage nach der Existenz oder Nichtexistenz eines Kapuzen-Killers oder dem Hintersinn einer jungen Schönheit und ihren Auftritten im Plüschbärenkostüm. Für ein wenig Aufklärung sorgte der Filmemacher in einem Interview: Die Verkleidung sei „einfach ein visuelles Element“, sie stehe für „nichts Besonderes“.

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„Kontroll“

Ungarn 2003
105 Minuten
Regie: Nimród Antal
Darsteller: Sándor Csány, Eszter Balla, Zoltán Mucsi, Csaba Pindroch, Sándor Badár, Zsolt Nagy
Der Film im Netz.

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