Mit Väterchen Frost im SprachbadKULTUR

Mit Väterchen Frost im Sprachbad

Mit Väterchen Frost im Sprachbad

In den deutsch-russischen Kindergärten des Vereins Mitra werden nicht nur zwei Sprachen gesprochen, sondern zwei Kulturen gelebt.

Von Juliane Inozemtsev

Die Kindergarten-Gruppen Häschen und Füchslein mit Väterchen Frost im interkulturellen deutsch-russischen Kindergarten „Teremok“ (Waldhäuschen) in Berlin.  
Die Kindergarten-Gruppen Häschen und Füchslein mit Väterchen Frost im interkulturellen deutsch-russischen Kindergarten „Teremok“ (Waldhäuschen) in Berlin.
(Foto: Inozemtsev)
 

G erade haben die Kinder der Häschen-Gruppe noch mit ihrer Erzieherin Anne „So viel Heimlichkeit in der Weihnachtszeit“ gesungen, da wechselt die Sprache schon wieder. Oksana, die zweite Erzieherin der Gruppe, fragt auf Russisch: „Kinder, welcher Gast fehlt denn noch auf unserer Weihnachtsfeier?“, und sogleich schallt es ihr aus den kleinen Kehlen entgegen: „Ded moros!“.

Dass ihre Erzieherinnen unterschiedliche Sprachen sprechen, wundert die drei- bis vierjährigen Mädchen und Jungen aus dem deutsch-russischen Kindergarten „Teremok“ („Waldhäuschen“) in Berlin-Marzahn überhaupt nicht. Zweisprachigkeit ist für sie völlig normal. Heute feiern die Kinder das Jolkafest (das russische Tannenbaumfest) und im festlich geschmückten kleinen Saal warten sie schon sehnsüchtig auf „Väterchen Frost“, den russischen Weihnachtsmann.

Fünf deutsch-russische Kindergärten in Berlin

Der Kindergarten „Teremok“ gehört zu dem deutsch-russischen Verein Mitra, der 1993 als Elterninitiative gegründet wurde und der sich heute als interkulturelle pädagogische Gesellschaft versteht, die russischsprachige Migrantenkinder und deren Eltern bei der Integration unterstützt. In Berlin betreibt Mitra e.V. mittlerweile fünf deutsch-russische Kindergärten, in denen Kinder vom Säuglingsalter bis zum Schuleintritt betreut werden, sowie die ebenfalls zweisprachige Lomonossow-Grundschule.

Im vergangenen Jahr wurden außerdem in Leipzig und Köln deutsch-russische Kindergärten von Mitra e.V. eröffnet. Insgesamt besuchen bundesweit zurzeit rund 600 Kinder die Bildungseinrichtungen des Vereins, die Zahlen werden in diesem Jahr voraussichtlich noch deutlich steigen. So wird im „Teremok“ noch in diesem Monat eine neue Gruppe mit ganz Kleinen eröffnet.

Mitra e.V. leistet einen wichtigen Beitrag zur Integration und Teilhabe der russischsprachigen Migranten – auch wenn der Verein nicht alle erreichen kann, denn allein in Berlin leben annährend 200.000 Migranten mit russischer Muttersprache. Unter ihnen sind ehemalige Sowjet-Bürger, deutsche Spätaussiedler und jüdische Kontingentflüchtlinge. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kinder aus diesen russischsprachigen Familien schon frühzeitig ans Deutschlernen heran zu führen. Sprache ist nach dem Verständnis des Vereins der Schlüssel ist, um sich in einer Gesellschaft erfolgreich einleben zu können. Gleichzeitig will Mitra e.V. den Migrantenkindern aber auch die russische Sprache als Teil ihrer Identität und Herkunft vermitteln.

„Immersives Lernen“ in Deutsch und Russisch

Väterchen Frost und die Gruppen "Mücken" und "Küken" Im deutsch-russischen Kindergarten der Vereinigung "Mitra".  
Väterchen Frost und die Gruppen "Mücken" und "Küken" Im deutsch-russischen Kindergarten der Vereinigung "Mitra".
(Foto: Inozemtsev)
 

Damit dieser Spagat gelingt, gibt es in jeder Kindergartengruppe zwei Erzieherinnen und in jeder Schulklasse zwei Klassenlehrerinnen, von denen eine Deutsch und die andere Russisch als Muttersprache hat. Die Erzieherinnen und Lehrerinnen sprechen jeweils nur in ihrer Sprache mit den Kindern. Und das nicht nur ein paar Stunden in der Woche, sondern jeden Tag, kontinuierlich. „Mit dem Sprachunterricht, wie man ihn aus der Schule kennt, hat das nichts zu tun“, erklärt Michaela Krüger. Sie ist eine der beiden Leiterinnen des Kindergartens. „Man bezeichnet diese Methode des Spracherwerbs wissenschaftlich auch als immersives Lernen – und das kann man sich vorstellen wie ein Sprachbad, in das die Kinder immer eintauchen, wenn sie in den Kindergarten kommen.“ Wenn Erzieherin Anne beispielsweise zu den Kindern in der Häschen-Gruppe nach dem Mittagessen sagt: „Wir gehen uns jetzt die Hände waschen.“, dann sagt ihre Kollegin Oksana zum Beispiel auf Russisch: „Trocknet Euch danach gut die Hände ab.“ „Dadurch, dass sich die Abläufe im Kita-Alltag immer wiederholen, verstehen die Kinder sehr schnell in beiden Sprachen, was um sie herum geschieht“, so Krüger.

Zweisprachigkeit und kulturelles Wissen

Ziel von Mitra e.V. ist aber nicht nur die Förderung von Zweisprachigkeit, sondern auch die Vermittlung von kulturellem Wissen. „Die Kinder sollen mit beiden Kulturen aufwachsen“, sagt die Leiterin des „Teremok“. Dabei stünden die deutsche und die russische Sprache und Kultur gleichberechtigt nebeneinander. „Bei uns ist die deutsche Kultur nicht die Leitkultur, sondern eben eine von zwei Kulturen“. Die Kinder lernen russische, deutsche und gemeinsame Feiertage, Feste und Bräuche kennen. So wird immer am 8. März der in Russland populäre Frauentag gefeiert und um den 3. Oktober herum, anlässlich der Wiedervereinigung, der Deutschland-Tag.

Im „Teremok“ tritt nun Väterchen Frost in den kleinen Saal. Diesen Part hat, wie schon im vergangenen Jahr, ein russischer Vater übernommen, dessen beide Söhne in die Häschen-Gruppe gehen. Väterchen Frosts Mantel ist aber heute nicht blau, wie in den meisten russischen Märchenbüchern, sondern rot. Damit sieht er dem westlichen Weihnachtsmann ziemlich ähnlich. Auch seine Enkelin Snegurotschka, das Schneeflöckchen, ist heute nicht an seiner Seite. Dafür sehen aber der Schnitt des fast bodenlangen Mantels und die prachtvollen goldenen Verzierungen darauf genau wie bei der russischen Märchenvorlage aus.

Väterchen Frost als interkultureller Weihnachtsbote

So ist Väterchen Frost im „Teremok“ eben ein interkultureller Weihnachtsbote, für die deutschen und die russischen Kinder gleichermaßen. Die sitzen gerade alle etwas verschüchtert auf den kleinen Bänken. Als Väterchen Frost die Schar auf Russisch fragt, ob denn auch alle brav gewesen seien, antworten sie ihm teils zaghaft, teils aber auch unbekümmert: „Da“. Manche nicken bloß, aber verstanden haben ihn offensichtlich alle. Väterchen Frost ist zufrieden. Er schnürt seinen großen Sack auf und dann bekommt jedes Kind ein Päckchen mit Schokolade.

Die meisten Kinder im „Teremok“ kommen aus russischen Familien. Doch es gibt zunehmend gemischte Elternpaare und auch deutsche Paare, die wollen, dass ihr Nachwuchs Russisch lernt. Auch Jennifer und Marko Frohne (beide 26) sind ein solches Elternpaar. Sie haben sich entschieden, ihre kleine Tochter Zoe (2) im „Teremok“ betreuen zu lassen. Ihre Eltern hatten sich anfangs vor allem wegen des kurzen Weges für diesen Kindergarten entschieden. „Wir können direkt von unserem Balkon auf die Kita schauen“, sagt Zoes Mutter. „Uns gefiel aber auch die Vorstellung, dass sie dort von klein auf eine zweite Kultur kennenlernt.“

Hätte zufällig ein englischer oder französischer Kindergarten vor der Haustür gelegen, wäre Zoe wahrscheinlich dort angemeldet worden. Anfangs hatten Frohnes zwar einige Bedenken, weil fast alle anderen Kinder aus russischsprachigen Familien kamen und sie nicht einschätzen konnten, ob sich das nicht doch nachteilig auf Zoes deutsche Sprachentwicklung auswirken könnte. „Aber man hat uns gleich beim ersten Besuch so herzlich aufgenommen, dass wir es probieren wollten und nun sind wir sehr zufrieden“, sagt Jennifer Frohne. Seit Zoe acht Monate alt ist, besucht sie den Kindergarten regelmäßig. Inzwischen spricht sie, ihrem Alter entsprechend, Deutsch und versteht auch schon Vieles auf Russisch. „Nur können wir das leider nicht mit ihr üben“, sagt ihre Mutter. „Denn wir selbst können überhaupt kein Russisch. Das müssen wir dann später noch von Zoe lernen.“

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