Neue Zugtechnik für grenzüberschreitende VerbindungenVERKEHR

Neue Zugtechnik für grenzüberschreitende Verbindungen

Neue Zugtechnik für grenzüberschreitende Verbindungen

Ein Beitrag zum grenzenlosen Bahnverkehr in Europa – Simulation der Zukunft im Bahnlabor RailSiTe® des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt, Braunschweig.

Von Klaus P. Jaschke

Nachbildung der vollständigen technischen Kette vom Stellwerk bis hin zum Lokführer - im Simulationslabor: RailSiTe Führerstand  
Nachbildung der vollständigen technischen Kette vom Stellwerk bis hin zum Lokführer - im Simulationslabor: RailSiTe Führerstand  
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ie wollen mit der Eisenbahn von Köln nach Paris fahren. In Köln steigen sie dazu in den ICE International „Thalys“ und entspannen sich während der knapp vierstündigen Fahrt. Doch was so selbstverständlich anmutet, setzt einen hohen technischen Aufwand voraus, den sich der Laie in seinem Abteil gar nicht vorstellen kann.

Derzeit funktioniert diese grenzüberschreitende Zugfahrt durch eine Mehrfachausrüstung der Lokomotive. Das bedeutet, daß sowohl die deutschen, als auch die belgischen und französischen Leit- und Sicherungssysteme im „Thalys“ eingebaut sind und jeweils an der Grenze eine Umschaltung von einem auf ein anderes System erfolgt.

Mit der Technik alleine ist es allerdings nicht getan. Ebenso wie für den Straßenverkehr gibt es auch auf der Schiene unterschiedliche Regeln für den Betrieb im jeweiligen Land. Und doch ist es für den Zugführer im Bahnverkehr ungleich schwieriger als für einen Autofahrer im grenzüberschreitenden Verkehr.

Mit einem deutschen Führerschein kann man ohne Probleme im Pkw quer durch Europa fahren, wenn man die Vorschriften der einzelnen Länder beachtet, die so verschieden von den heimischen nicht sind. Im Bahnverkehr sind die Betriebsordnungen der nationalen Regelwerke so unterschiedlich, daß die Lokführer hierfür speziell ausgebildet sein müssen.

Derzeit stellt sich Europa deshalb eisenbahntechnisch wie ein großer, bunter Flickenteppich dar. In fast jedem Land gibt es ein eigenes nationales Leit- und Sicherungssystem. Dies soll nun anders werden. Durch ein neues, einheitliches Organisations- und Regelwerk inklusive der dazugehörigen technischen Umsetzung, genannt ERMTS/ ETCS (European Rail Traffic Management System/ European Train Control System), soll diese nationale Vielfalt verschwinden und ein echtes europäisches System geschaffen werden.

Neue Signaltechnik für einheitliches Zugleit- und -sicherungssystem in ganz Europa

Das einheitliche europäische Zugleit- und -sicherungssystem wird gegenwärtig von den sechs großen europäischen Signalherstellerfirmen – den so genannten UNISIG Firmen – entwickelt. Es erleichtert über die Vereinheitlichung der Regeln hinaus, die leit- und sicherungstechnischen Geräte verschiedener Hersteller miteinander zu kombinieren. Da diese Komponenten sicherheitsrelevante Funktionen übernehmen, deren Ausfall eine direkte Gefährdung von Menschen darstellen kann, müssen die Interoperabilität und die Konformität der Komponenten sichergestellt sein.

Unter Interoperabilität versteht man hierbei das Zusammenspiel von Geräten verschiedener Hersteller, also z. B. die Ausrüstung der Strecke von einem Hersteller A und die Fahrzeugausrüstung von einem Hersteller B. Die Konformität sichert die vollständige Abdeckung der Systemanforderungen innerhalb der fahrzeug- und streckenseitigen Geräte.

In Braunschweig wurde dafür ein spezielles Simulationslabor für Eisenbahntechnik am Institut für Verkehrsführung und Fahrzeugsteuerung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. aufgebaut. Es simuliert den kompletten Eisenbahnbetrieb. Durch die Nachbildung der vollständigen technischen Kette vom Stellwerk bis hin zum Lokführer kann so neben vergleichenden Untersuchungen neuer bzw. erprobter Betriebskonzepte auch die Analyse von Zugleitsystemen im Zusammenspiel mit dem Menschen erprobt und erforscht werden. Die Ingenieure entwickeln neue Betriebskonzepte, und Eisenbahnexperten denken über einheitliche Standards in der Sicherheitstechnik nach. Nach ihrer Perfektion soll die neue Technik in ganz Europa die Eisenbahnen leiten und auch wieder Regional- und Nebenstrecken für Betreiber und Bahnkunden attraktiver machen.

Elf Computer simulieren die EU-Eisenbahn der Zukunft

  Computer simulieren die EU-Eisenbahn der Zukunft - RailSiTe Stellwerk-simulation
  Computer simulieren die EU-Eisenbahn der Zukunft - RailSiTe Stellwerk-simulation

Die benötigte Rechenleistung für solche Simulationen wird durch einen Rechnerverbund von zurzeit neun Rechnern sichergestellt. Für die Visualisierung und eine erweiterte Stellwerkssimulation kommen zwei zusätzliche Rechner hinzu. Um sicherzustellen, daß die benötigten Daten schnell genug ausgetauscht werden, sind die Rechner mit zwei Datennetzwerken ausgerüstet. Das eine Netzwerk dient zur eigentlichen Simulation, also der Ansteuerung der Module und dem Datenaustausch zwischen den einzelnen Modulen, das andere zur Aufzeichnung der Daten, die dann später off-line ausgewertet werden.

Der simulierte Zug kann sowohl von einer Person am Führerpult von Hand als auch automatisch gefahren werden. Neben dem Fahr- und Bremshebel, mit dem der Zug beschleunigt oder gebremst wird, bedient der Triebfahrzeugführer u. a. ein „Driver Machine Interface” (DMI). Das DMI ist die Bedienkonsole der Sicherungstechnik. Hier werden z. B. der Fahrbefehl, also die Vorgabe, wie weit der Lokführer derzeit fahren darf, und die maximal zulässige Geschwindigkeit angezeigt. Wird die Höchstgeschwindigkeit überschritten, greift ETCS unabhängig von den am Führerpult eingestellten Werten in die Zugdynamik ein und bremst den Zug ab. Anders als beim Straßen- sind im Bahnverkehr Geschwindigkeitsbeschränkungen bindend, ihre Einhaltung wird durch das Zugsicherungssystem rigoros überwacht.

ETCS umfaßt die komplette Sicherungstechnik auf europäischer Ebene. Dazu gehören Sensoren an der Strecke, Kommunikationsverbindungen zwischen Lokomotive und Leitstellen sowie Sensoren in den Zügen. Alle Komponenten in den europäischen Bahnen sollen zusammenpassen – so muß beispielsweise die streckenseitige Siemens-Technik mit einer schwedischen Bombardier-Lok genauso funktionieren wie jede andere Kombination von fahrzeug- und streckenseitiger Ausrüstung unterschiedlicher oder gleicher Hersteller.

Die Untersuchungen sollen auch den Betrieb der Bahn wirtschaftlicher gestalten

Das Braunschweiger Simulationslabor – genannt RailSiTe ®, Rail Simulation and Testing - ermöglicht es, d ie Infrastruktur der zu simulierenden Bahnanlage frei zu wählen und zu modellieren. Gleiches gilt für das Einspielen von Störungen. Für das Stellwerk ist bereits ein Katalog mit über 300 unterschiedlichen Störungen vorhanden. Bei Bedarf können weitere Störungen ergänzt werden. Alle Untersuchungen finden daher in einer realitätsnahen Umgebung statt. Der simulative Ansatz ermöglicht es, Untersuchungen an neuer innovativer Technik durchzuführen, ohne zuvor ein langwieriges Zulassungsverfahren zu durchlaufen. Dies ist insbesondere zur Simulation von Abweichungen vom Regelbetrieb interessant, da in der Simulationsumgebung eine Gefährdung der Umwelt und des Menschen gänzlich ausgeschlossen werden kann.

In Deutschland wird seit 2003 getestet – Spanien folgt noch 2005 mit einer ersten Strecke

Das neue Sicherungssystem ETCS existiert in drei Varianten. Die erste Variante, der so genannte Level 1, besteht aus Transpondern (Balsien) im Gleis und der dazugehörigen fahrzeugseitigen Ausrüstung. Die Balisen dienen einerseits zur Korrektur der Ortungsinformation im Zug und andererseits dazu, die Signalbegriffe an die Lokomotive zu übermitteln. D.h. über die Balisen erhält der Zug die Länge der Fahrerlaubnis, Geschwindigkeitsbeschränkungen und weitere Informationen. Im Level 2 schickt die Leitstelle die obigen Informationen per Funk an die Lok und umgekehrt kann der Zug auch Nachrichten an die Leitstelle senden. Signale an der Strecke sind dadurch nicht mehr nötig. Im Level 3 kommen Sensoren im Zug hinzu. Diese sollen die Zugvollständigkeit überwachen, d.h. hiermit können Wagonabrisse detektiert werden. Bisherige ortsfeste Gleisfreimelder entfallen. Dadurch können die Züge geschwindigkeitsabhängig viel dichter hintereinander geführt werden. Die Ingenieure erproben derzeit die Technik der ersten beiden Level, für den Level 3 gibt es noch Forschungsbedarf.

Seit Dezember 2003 ist die erste Strecke, ein 39 Kilometer langer Abschnitt in Deutschland zwischen Jüterborg und Leipzig, im Test- und anschließenden Probebetrieb. Noch im Jahr 2005 soll auch im spanischen Hochgeschwindigkeitsnetz eine erste Strecke in den Regelbetrieb gehen. Auch in Frankreich, Italien, Holland und England wird der Betrieb auf Teststrecken bereits vorbereitet.

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Dr.-Ing. Klaus P. Jaschke ist leitender Mitarbeiter des Instituts für Verkehrsführung und Fahrzeugsteuerung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e. V. in Braunschweig. Informationen hier .

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