„Noi Albinoi“GESEHEN

„Noi Albinoi“

„Noi Albinoi“

Von den Fluchtversuchen eines pubertierenden Isländers aus dem monotonen Alltag eines kleinen Hafenstädtchens

Von Friedrich Mannstein

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Auf der Flucht: Noi zieht es Richtung Südsee 

EM – Kulisse dieser isländischen Tragik-Komödie ist ein kleines verschneites Städtchen, eingezwängt zwischen den Gipfeln einer mächtigen Bergkette und der Brandung des Atlantiks. Wenn morgens endlich die Sonne aufgeht, heißt es für die Bewohner dieser rauhen Gegend sich zunächst einmal durch die mannshohe Schneedecke vor ihren Häusern zu schippen. Der knirschende Schnee, die anheimelnde Winterstille und die umliegenden Naturschönheiten mögen dem Kinobesucher reizvoll erscheinen, dem 17-jährigen Noi sind sie ein Graus.

Wegen seines glatzköpfigen und blassen Protagonisten trägt der Film den Titel „Noi Albinoi“, was zu deutsch „Noi der Albino“ heißt. Mit den politischen Ansichten Nois hat dessen kurzgeschorene Haarpracht jedoch nichts zu tun. Der junge Isländer ist ein apolitisches, desinteressiertes Problemkind auf dem Höhepunkt der Pubertät – der Null Bock-Phase. Noi hat keine Lust, keine Lust morgens aufzustehen, keine Lust auf Mathematik- oder Französisch-Unterricht, keine Lust auf Arbeiten und Geld verdienen. Nur wenige Dinge bereiten dem isolierten Einzelgänger den Anflug von Freude: ein Malzbier an der Tankstelle seines Städtchens zu kippen, mit Iris, der aus Reykjavik angereisten Tankwärterin nächtens die Straßen unsicher zu machen und seine ersten Zigaretten zu qualmen.

In typischer Teenagermanier sehnt sich Noi nach einem wohltemperierten Strandleben unter den sonnendurchfluteten Palmenblättern einer Südseeinsel. Wegen ständigem Unterrichtsschwänzens fliegt der Träumer schließlich von der Schule und muß sich fortan als Gehilfe eines Totengräbers verdingen. Als er sich erstmals mit Spitzhacke und Schaufel bis in die vorgeschriebene Grabtiefe hinuntergebuddelt hat, packt ihn mit einem Mal ein Schub stark überdosierter Entschlußkraft. Mit dem Gewehr seiner Großmutter stürmt er die örtliche Bank, um mit dem erbeuteten Geld nach Süden aufbrechen zu können. Doch selbst mit vorgehaltener Waffe wird Noi nicht für voll genommen und kurzerhand vor die Tür gesetzt. Der folgende Fluchtversuch mit einem gestohlenen Straßenkreuzer endet kläglich im Schneegestöber einer Ausfallstraße.

Ein solcher Streifen läßt ein verqueres Ende geradezu erwarten – und der Zuschauer wird nicht enttäuscht. Als sich Noi wieder einmal in sein Kellerverlies zurückzieht, um sich mit großer Hingabe dem Müßiggang zu widmen, wird das Küstenstädtchen von einer Lawine platt gemacht. Alle Menschen, mit denen Noi oberflächliche Bekanntschaften pflegte, kommen in den Schneemassen ums Leben.

Das Erstlingswerk des jungen Regisseurs Dagur Kári ist eine Charakterstudie mit teils sehr intensiven Sequenzen. Die Niedrigpreisproduktion setzt sich aus vielen kleinen Szenen zusammen, Totalaufnahmen der eisigen Winterlandschaft sind leider rar. Die enge und begrenzte Welt des Noi, die sich allein zwischen seinem fensterlosen Kellerraum, dem Café an der Tankstelle, dem kalten Klassenzimmer und der versifften Mansarde seines versoffenen Vaters abspielt, wird so auf die Leinwand gespiegelt. „Noi Albinoi“ handelt wie schon so mancher Film von einem lebensmüden Halbstarken, der wähnt, er könne der Sinnlosigkeit seines Daseins mit der Flucht in andere Gefilde ein Ende setzen. Etwas wirklich Neues, etwas, das den Film deutlich von anderen unterscheiden würde, fehlt. Vielmehr als die Gewißheit, mal einen isländischen Kinofilm gesehen zu haben, vermag „Noi Albinoi“ nicht zu vermitteln.

Noi Albinoi (Orginaltitel: Nói Albinói)

Island, Deutschland, Großbritannien, Dänemark 2003, 91 Min.

Regie: Dagur Kári

Darsteller: Tómas Lemarquis, Elin Hansdóttir, Anna Fridriksdóttir

Weitere Informationen zum Film hier: www.noialbinoi.de.

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