„Putin nach Putin – das kapitalistische Russland am Beginn einer neuen Weltordnung“ von Alexander RahrGELESEN

„Putin nach Putin – das kapitalistische Russland am Beginn einer neuen Weltordnung“ von Alexander Rahr

Was ist von „Putin nach Putin“ zu erwarten? In EU-Europa, wo ständig die Angst vor den aggressiven Russen geschürt wird und davor, dass sie das Gas abdrehen könnten, wird übersehen, dass längst viel mehr im Gange ist: „Am fernen Horizont sind die Konturen einer neuen Weltordnung“ sichtbar, schreibt Alexander Rahr. Und er beschreibt auch wie diese aussehen kann. Dazu stützt er sich auf Informationen aus dem Kreml und solchen, die ihm beim fünften Treffen der Mitglieder des Waldai-Klubs im Kaukasus zuteil wurden.

Von Hans Wagner

„Putin nach Putin – das kapitalistische Russland am Beginn einer neuen Weltordnung“ von Alexander Rahr  
„Putin nach Putin – das kapitalistische Russland am Beginn einer neuen Weltordnung“ von Alexander Rahr  

D ieses Buch kommt genau zur richtigen Zeit. Was ist zu erwarten in Russland? Wer im Westen hat noch den richtigen Einblick? Auffallend ist, dass nie seit der Auflösung der Sowjetunion zu Beginn der neunziger Jahre das Verhältnis des Westens zu Russland so schlecht, so gespalten , so von Unsicherheit, von Vorbehalten und auch von unverhohlener Gegnerschaft geprägt war wie derzeit. (Siehe auch die Russlanddebatte und Alexander Rahrs Beiträge dazu in EM 11-08 und EM 01-09).

Durch einen Beschluss der Duma wurde die Amtszeit des russischen Präsidenten in den letzten Dezembertagen von vier auf sechs Jahre verlängert. Im Föderationsrat Russlands, dem Oberhaus, stimmten alle 142 Vertreter zu und verabschiedeten damit das Gesetz einstimmig. Es wird gemutmaßt, dass diese Neuregelung wegen Putin vorgenommen wurde – auch wenn niemand so präzise sagen kann, was dieser Vermutung zugrunde liegt.

Was auf der Hand liegt, ist, dass die Finanzkrise auch vor Russland nicht Halt macht und der tief gefallene Ölpreis Ende des Jahres die Kassen des Energieriesen arg strapaziert. Rahr hält nachlassende Prosperität und einen sinkenden Lebensstandard der Russen für das einzige, was den Herrschenden derzeit gefährlich werden könnte.

Schon hat es Proteste gegeben – wegen Steuererhöhungen und wegen hoher Zölle auf Importautos. Die Arbeitslosenquote steigt – der niedrige Ölpreis gefährdet Russlands doch noch immer ziemlich einseitig auf Rohstoffexporte ausgelegte Wirtschaft.

Putins Rolle

Expräsident Wladimir Putin hat noch immer – sehr zur Beruhigung der Russen – das Sagen in dem Riesenreich zwischen Baltikum und Pazifik. Warum das so ist, arbeitet Rahr schlüssig heraus. Von Mutmaßungen hält er sich weitgehend fern. Durch seine Gespräche mit Putin und anderen Insidern der Kremlmacht kommt er zu dem begründeten Schluss: „Die wichtigsten Entscheidungen werden in Russland von Putin getroffen. Er hat seinen Zögling Dmitri Medwedjew auf den Zarenthron gesetzt, regiert aber Russland weiterhin in der Eigenschaft als Regierungschef. Medwedjew ist Präsident unter Putin – Kremlchef von Putins Gnaden.“

Was ist von „Putin nach Putin“ zu erwarten? In EU-Europa, wo ständig die Angst vor den aggressiven Russen geschürt wird, und davor, dass sie das Gas abdrehen könnten, wird übersehen, dass längst viel mehr im Gange ist: „Am fernen Horizont sind die Konturen einer neuen Weltordnung mit ihren Begriffen wie BRIC (inoffizielle Bezeichnung der am schnellsten wachsenden Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China), Schanghai Organisation für Zusammenarbeit und der Gas OPEC zu erkennen.“ In EU-Europa herrsche stattdessen immer noch die „Moral-Industrie“, wie Peking und Moskau naserümpfend und auch ein wenig verächtlich konstatierten.

Putin hatte bei seinem ersten Amtsantritt auf Europa gebaut. Heute kann der Politiker der immerhin als der „Deutsche im Kreml“ galt, „seine Wut und Enttäuschung über seine im Großen und Ganzen verfehlte Westoffensive kaum verbergen“, schreibt Rahr.

Informationen aus dem Waldai-Klub

Rahr gehört zu einem ausgewählten Zirkel von Journalisten und Experten, die im Waldai-Klub zusammenkommen. Dieses Begegnungsforum mit der Kremlmacht ist benannt nach einem Städtchen auf den  Waldai-Höhen, genau in der Mitte zwischen Moskau und St. Petersburg, wo im Jahre 2004 der Klub zum ersten Mal zusammenkam. Die Organisation hat die russische Nachrichtenagentur RIA-Nowosti. Inhaltlich richtet die Themen der russische Rat für Außen- und Sicherheitspolitik aus.

Natürlich ist es aufschlussreich, Putin aus nächster Nähe zu erleben, auch dem jungen Präsidenten Medwedjew zu begegnen. Rahr nutzt diese Begegnungen im Waldai-Klub zu Recherchen für seine Russlandanalysen. So auch für dieses Buch. Der Autor erlebt Putin immer wieder als Oberschiedsrichter im Kompetenzgerangel der russischen Politik. Er hört Gedanken, die ihn zu eigenen Vorschlägen anregen: „Statt eines NATO-Beitritts sollte die EU den Georgiern lieber die EU-Beitrittsperspektive offerieren. Realisieren ließe sich der Beitritt Georgiens zur EU allerdings nur im Falle einer Mitgliedschaft der Türkei in der europäischen Wirtschafts- und Wertegemeinschaft“. – Aber „bringt die innerlich in außenpolitischen Fragen zerstrittene EU die Kraft auf, den Kaukasus zu stabilisieren?“ – Pläne dafür lägen seit Jahren in der Schublade, schreibt Rahr. „Nur fehlt den Europäern der politische Wille, ihn zu realisieren.“

Stattdessen schwenkt die EU immer wieder auf die Politik der USA ein. „Warum rüsten die USA Georgien nach dem verlorenen Krieg gleich wieder auf?“ Beginnt statt einer Befriedung im Kaukasus „in Bälde der erste gefährliche Rohstoffkonflikt zwischen Amerikanern und Russen, der sich vom Süden der GUS leicht in die Arktis verlagern könnte?“

Zehn offene Fragen

„Die Gespräche der internationalen Experten mit Medwedjew und Putin konnten einen gewissen Aufschluss über die neue Doppelherrschaft in Russland geben“, schreibt Rahr über das Treffen des Waldai-Klubs im Kaukasus. Und sie versetzen den Autor in die Lage, zehn offene Frage aufzuwerfen und Antworten zu geben, die man so noch nie gehört hat.

Da geht es um Putin und Medwedjew, um den künftigen Status Georgiens, um die Rolle der USA, die von ihren Verbündeten eine härtere Gangart gegenüber Moskau fordere. Es werden die Zukunft der NATO ebenso erörtert wie die Perspektiven der EU und die „Reintegration auf dem postsowjetischen Raum“. Weiter geht es um die Ukraine, um die strategische Partnerschaft des Westens mir Russland, um die ferne Zukunft Medwedjews und kurz auch um die Rolle Deutschlands in all diesen Konflikten.

Ein umfangreiches Personenregister rundet das informative und sehr lesenswerte Buch ab.

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Rezension zu: „Putin nach Putin – das kapitalistische Russland am Beginn einer neuen Weltordnung“ von Alexander Rahr, Universitas Verlag 2008, 292 Seiten, 19,95 Euro, ISBN 978-3800414819.

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