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Von Birger Schütz | 02.04.2015
Wladimir Usolzew erinnert sich gern an seine Dienstzeit in Dresden. „Jeder Sowjetbürger, der in die DDR kam, freute sich darüber, dass es Bier gab“ sagt der ehemalige KGB-Major, der in den 80er-Jahren für fünf Jahre in der sächsischen Hauptstadt stationiert war. Besonders Radeberger und Wernesgrüner seien bei den Tschekisten sehr beliebt gewesen. Aber auch die Vertreter des gefürchteten KGB hatten mit DDR-Versorgungslücken zu kämpfen: Die für den Export gebrauten Marken waren oft rar und nur über Beziehungen zu bekommen, erinnert sich Usolzew.
Die Lösung für ihr Versorgungsproblem fanden die durstigen Aufklärer in einem Dresdner Geschäft: einen Bierkrug mit vier Litern Fassungsvermögen. „Wir besorgten uns alle ein derartiges Ding, und Sergej und Wolodja fuhren mit ihrem Auto direkt nach Radeberg“ erzählt Usolzew in seinen jetzt auf Deutsch erschienen Erinnerungen. „Bier in Flaschen haben wir seitdem nie wieder gekauft“, bekennt er darin.
Der Fahrer bei dieser Aufklärungsmission der anderen Art, den seine Kollegen den kleinen Wolodja (Kose- und Kurzform für Wladimir) nennen, ist den meisten Deutschen zu diesem Zeitpunkt noch unbekannt.15 Jahre später wird er russischer Präsident: Wladimir Putin. In den Jahren 1985 - 1990 teilte er sich mit Usolzew ein Dienstzimmer in der Dresdner Filiale des sowjetischen Geheimdienstes KGB. Sportlich und intelligent sei der Neue aus Leningrad gewesen, beschreibt Usolzew seine Eindrücke von seinen Zimmergenossen, der schnell zum Liebling des Chefs wurde. Allerdings habe Putin am Anfang nur leidlich Deutsch gesprochen.
Seitdem der ehemalige Aufklärer im Jahr 2000 zum Präsident der Russische Föderation wurde streiten Journalisten und Historiker über Putins Zeit in Dresden. Welche Aufgaben erfüllte der junge Geheimdienstler Ende der 80er-Jahre tatsächlich? Legte er in Dresden den Grundstein für seinen kometenhaften Aufstieg? In seinem Buch verspricht Usolzew Antworten auf diese Fragen.
Wie so oft ist die Realität dann aber ernüchternd: „Wenn sich irgendein amerikanischer Spion in die operative Gruppe eingeschlichen hätte, so wäre er überrascht gewesen, dass der gefürchtete KGB mit Stäbchen spielte und keine Gefahr für die Amerikaner bestand“, sagt Usolzew. Die meiste Zeit seien die Aufklärer mit Schreibtischarbeit beschäftigt gewesen. Akten ordnen, Berichte schreiben, Dokumente abheften - unerträglich langweilig sei das gewesen, so Usolzew. Neben dem Sammeln von Informationen über die Stimmung in der SED und der Bevölkerung in Honeckers immer unabhängiger werdender DDR interessierte sich der KGB besonders für die „Grünen Barette“ im benachbarten Bayern.
Die amerikanischen Elitetruppen, die im Kriegsfall hinter der Grenze hätten kämpfen können, befürchtete man in Moskau. Die Dresdner KGB-Spione sollten daher Informanten aus dem Umfeld der Basen in Bad Tölz, Wildflecken und Celle werben. Putin durchsuchte dafür Anträge von Bundesbürgern, die Dresdner Verwandte zum Besuch einladen wollten. Erfolgreich war er dabei aber nicht, erinnert sich Usolzew, schließlich habe er den Versuch aufgegeben. Auch Putins Versuche DDR-Bürger für die illegale Arbeit anzuwerben, blieben ergebnislos. “Er wusste sehr gut, dass seine Arbeit bald darauf im Archiv landen würde“, sagt Usolzew.
Tatsächlich galt der Dienst in Dresden unter den Geheimdienstler nicht als Karriere-Sprungbrett. Zu sehr an der Peripherie gelegen und zu schlecht bezahlt war die Stadt an der Elbe nicht gerade die Traumstelle für junge Agenten. Dem jungen Putin bot sie kaum Aufstiegschancen, meint Usolzew zurückblickend.
Jedoch hatte das Leben in der nachrichtendienstlichen Provinz auch seine süßen Seiten. So gab es organisierte Ausflüge mit der Deutsch-Sowjetischen Freundschaftsgesellschaft und zur Weihnachtszeit gingen die Geheimdienstler auf den Striezelmarkt und ließen sich durch die Kollegen von der Stasi mit Stollen beliefern. Außerdem schmecke Nordhäuser Doppelkorn besser als die Wodkamarken Stolichnaya und Moskovskaya, weiß Usolzew zu berichten.
Aber auch das DDR-Fernsehen faszinierte die Tschekisten. Vor allem die Sendung „Ein Kessel Buntes“ besaß unter den Agenten viele Fans. Putin begeisterte sich besonders für den Entertainer Wolfgang Lippert, erzählt Usolzew, dauernd habe er dessen Gassenhauer „Erna kommt“ gesungen.
In erster Linie war es aber der in Dollar ausgezahlte Lohn, der die KGBler von paradiesischen Zuständen schwärmen ließ. Auch das für sowjetische Standards breite Warenangebot der DDR, versöhnte die Agenten mit ihrem Dienst in der Provinz.
Die Folge war ein wahrer Kaufrausch, wie Usolzew schreibt. Kassettenspieler, Fernsehgeräte und Videos waren besonders begehrt. Der Konsumrausch der Tschekisten trieb bisweilen auch skurrile Blüten. So galten die Kataloge von Otto, Neckermann und Quelle als beste Währung im KGB-Apparat „Mit Hilfe eines Kataloges konnte man jede noch so schwere Aufgabe lösen“, so Usolzew. Die Jagd nach den Hochglanzbroschüren nahm dabei solche Formen an, dass die westdeutschen Unternehmen die kostenlose Herausgabe an Menschen mit russischem Akzent unterbanden. Für Wladimir Putin war das aber kein Problem, erinnert sich Usolzew, aufgrund seiner guten Bekanntschaften in der Berliner KGB-Zentrale war er mit Katalogen bestens versorgt.
Welchen Eindruck hinterließ Putin bei seinen Kollegen? War der steile Aufstieg des jungen Geheimdienstlers zum Präsidenten der Russischen Föderation zu erahnen? Keineswegs, meint Usolzew, dafür habe es keinerlei Anzeichen gegeben. Zwar habe Putin im kleinen Kreis Sympathien für die Perestroika erkennen lassen und die allgemeine Gesetzlosigkeit in der Sowjetunion verurteilt. An Veränderungen im Sowjetimperium habe er aber nicht geglaubt. Usolzews Kritik an den Zuständen im Sowjetstaat bezeichnete er als „provinzielle Offenheit“ und riet seinem Kollegen, sich besser um seine Familie zu kümmern. Putin sei ein pragmatischer Konformist gewesen, der sich mit dem System arrangiert hatte, urteilt Usolzew. Bei einem ihrer letzten Gespräche, als das Ende der Sowjetunion schon abzusehen war, habe sich Putin auf eine Karriere als Taxiunternehmer vorbereitet.
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Rezension zu „Mein Kollege Putin: Als KGB-Agent in Dresden 1985 – 1990“ von Wladimir Usolzew, Edition Berolina, 2014, 208 Seiten, 9,99 Euro, ISBN-13: 978-3867898294.
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