Russen rätseln über WesterwelleDEUTSCHE AUßENPOLITIK

Russen rätseln über Westerwelle

Der Chef der deutschen Liberalen gilt in Russland als „pro-amerikanisch“. Moskauer Experten gehen jedoch nicht von einem Kurswechsel in den deutsch-russischen Beziehungen aus.

Von Ulrich Heyden

Fast einen ganzen Tag brauchte Kreml-Chef Dmitri Medwedew, um Angela Merkel sein Glückwunschtelegramm zu schicken. Während die Glückwünsche aus Washington, London und Paris schon bald nach Bekanntgabe des vorläufigen amtlichen Endergebnisses der Bundestagswahl im Kanzleramt eingingen, meldete der Pressedienst des Kreml erst am späten Montagabend, Dmitri Medwedew habe mit Angela Merkel telefoniert und seine Glückwünsche überbracht. Beide Seiten hätten ihre Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass die partnerschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland „auf der Basis eines intensiven Dialogs vertieft“ werde, heißt es  in Mitteilung des Kreml-Pressedienstes.

Spekulation über Zwist im Kreml

Die Verzögerung bei der Gratulation führte bei einigen Experten sofort zu Spekulation, dass es im Kreml möglicherweise unterschiedliche Meinungen über die Bewertung einer möglichen schwarz-gelben Koalition gibt, obwohl es in der Außenpolitik zwischen Putin und Medwedew bisher keinerlei Meinungsverschiedenheiten und noch nicht einmal einen unterschiedlichen Zungenschlag gab.

Zu Außenminister Frank-Walter Steinmeier hatte Moskau einen sehr guten Draht. Steinmeiers Konzept einer Modernisierungspartnerschaft – das heißt Vertiefung der Beziehungen bei gleichzeitiger partnerschaftlicher Kritik – konnte der Kreml gut leben. Was der Jurist Guido Westerwelle in die deutsch-russischen Beziehungen einbringen wird, ist bisher unklar. Der Parteichef der deutschen Liberalen hat bisher kein russlandpolitisches Konzept vorgelegt.

Ausweichend zu Menschenrechtsfragen

Russische Experten wollen nicht ausschließen, dass Westerwelle sich stärker als sein Vorgänger Steinmeier zu Menschenrechtsfragen in Russland äußert, doch „antirussische Ausfälle“ brauche man von Westerwelle nicht zu erwarten, schreibt die kremlnahe Iswestija. Das Blatt verweist auch darauf, dass Westerwelle in der europäischen Sicherheitspolitik einige Positionen vertreten hat, mit den Moskau gut leben kann. So sei der Chef der deutschen Liberalen gegen den amerikanischen Raketenabwehrschirm in Polen und Tschechien aufgetreten und habe während des russisch-georgischen Krieges im August letzten Jahres ausdrücklich für eine Fortführung des deutsch-russischen Dialogs plädiert.

Der wirtschaftsliberale „Kommersant“ weist jedoch darauf, dass Westerwelle einer der ersten war, der kritisierte, als Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder bei Gasprom den Posten eines Ostseepipeline-Lobbyisten übernahm. Außerdem sei die FDP bekannt für ihre kritische Position zu den Menschenrechten in Russland. Allerdings habe sich Westerwelle bei seinem ersten Besuch in Moskau, im April dieses Jahres, „sehr ausweichend“ zu Menschenrechtsfragen in Russland geäußert, bemerkt das Blatt. Deshalb hoffe man offenbar in Moskau, „dass Deutschland mit Guido Westerwelle der wichtigste Lobbyist für russisches Gas in Europa bleibt.“

Neuer Schub für die Wirtschaftsbeziehungen?

„Russland und Deutschland haben so enge und komplexe Beziehungen, das persönliche Beziehungen eine zweitrangige Rolle spielen“, meint der stellvertretende Leiter der Presseabteilung des russischen Außenministeriums, Igor Ljakin-Frolow. Da die Wirtschaftsbeziehungen in den deutsch-russischen Beziehungen das wichtigste Kettenglied sind, würden diese durch einen FDP-Außenminister möglicherweise noch besser abgesichert, denn die FDP sei bekanntlich stark mit der Wirtschaft verbunden, schreibt die Iswestija.

Westerwelle gilt unter russischen Experten als „pro-amerikanisch“, wobei nicht genau klar ist, was das heute eigentlich heißt, da Obama einen freundlichen Ton gegenüber Moskau anschlägt. Würde Westerwelle eine stärkere Partnerschaft mit Washington suchen, könnte das für Moskau auf jeden Fall unangenehm werden, denn es gibt noch viele konfliktbeladene Themen. Dazu gehört der Versuch des Westens das faktische Monopol Russlands über Gas-Exporte nach Europa über neue Pipelines, die Russland umgehen, auszuhebeln. Auch die Frage, wie es mit Georgien und seinen abtrünnigen - nur von Russland anerkannten - Provinzen Abchasien und Südossetien weiter geht, könnte noch für Konfliktstoff sorgen.

Außenminister mit „Boyfriend“

Da Westerwelle für die russischen Medien politisch noch ein unbeschriebenes Blatt ist, wechselten die russischen Medien auf ein anderes Terrain. Der Fernsehkanal NTW zeigte Westerwelle sekundenlang bei einer Feier mit seinem Lebenspartner Michael Mronz, für die russische Fernseh-Welt eine kleine Sensation, zumal man auf Sticheleien verzichtete. In Russland gibt es viele Homosexuelle, für sie ist die Nachricht über den Sieg von Westerwelle „natürlich kein Schock“, meint der russische Deutschland-Experte Wladislaw Below. Ein großer Teil der Russen hätte jedoch Probleme mit einem homosexuellen Minister, meint der Experte. Soviel steht zumindest fest: Ein deutscher Außenminister mit einem „Boyfriend“ (Iswestija) ist für die konservativ gestimmte russische Gesellschaft gewöhnungsbedürftig.

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