Schritt für Schritt zurück auf dem Weg zur Diktatur?ASERBAIDSCHAN

Schritt für Schritt zurück auf dem Weg zur Diktatur?

Schritt für Schritt zurück auf dem Weg zur Diktatur?

Öl gleich Geld gleich Demokratisierung? Emin Milli, ein junger Politikwissenschaftler aus Aserbaidschans Hauptstadt Baku, hat da starke Zweifel. Diese Rechnung gehe nicht auf. Das sei im Ölstaat Aserbaidschan spätestens seit dem Verbot des Senders Radio Azatliq und dem angestrebten lebenslangen Präsidentenamt für den Herrscher Ilham Aliyev klar geworden. Milli warnt weitweit vor den seinem Land drohenden Gefahren. Kürzlich sprach er beim Parteichef der Grünen, Cem Özdemir vor, und versuchte ihn als Verbündeten zu gewinnen.

Von Anja Hotopp & Mieste Hotopp-Riecke

Emin Milli bei Cem Özdemir. Werbetour für die Unterstützung der Opoosition in Aserbaidschan  
Emin Milli bei Cem Özdemir. Werbetour für die Unterstützung der Opoosition in Aserbaidschan
(Foto: Anja Hotopp)
 

S eit drei Jahren hat Emin Milli seine sicheren Jobs bei der OSZE und der Friedrich-Ebert-Stiftung gegen das Leben eines Nomaden eingetauscht. Er ist Agitator auf Dauer-Tournee für ein demokratischeres Aserbaidschan. In Amerika, in Westeuropa und daheim in Aserbaidschan. Emin Milli befürchtet eine Turkmenistanisierung Aserbaidschans, bezugnehmend auf die benachbarte Öl-Diktatur am anderen Ufer des Kaspischen Meeres. Bei einem Treffen mit Cem Özdemir in der Bundeszentrale der Grünen Partei in Berlin vergleicht er die aktuelle Lage mit der in Weißrussland. „Aber“, so fügt er hinzu, „als Belarusse wäre ich beleidigt! Denn mit welchem Recht ist Aserbaidschan Mitglied im Europa-Rat und Belarus wird boykottiert?“

„Wir sind zu schwach, um der Regierung gefährlich werden zu können“

Der 29-jährige war der Initiator eines Stipendienprogramms der aserbaidschanischen Regierung, das 5000 jungen Aserbaidschanern das Studium in Westeuropa oder Übersee ermöglicht. Mit dem Ziel, diese jungen Menschen mit frischen Ideen und Wissen in Administration und Bürokratie einzusetzen, Aserbaidschan auf diese Weise von innen zu modernisieren. Doch wurde dies vom Präsidenten, Ilham Aliyev, selbst vereitelt. Dieser sagte auf einer Rede im vergangenen Jahr, die Stipendiaten könnten ruhig im Ausland bleiben oder sich sonst wo eine Anstellung suchen. Daraus spräche nur eines, so Milli, die Angst des Führungszirkels um Aliyev durch innere Konkurrenz gefährdet zu sein. „ Wir sind zu schwach um der Regierung gefährlich werden zu können. Die größte Gefahr für die herrschenden Klans sind sie selbst. Deshalb soll niemand in diesen Zirkel gelassen werden“.

Keineswegs war Emin Milli jemand, der sich nur beklagen wollte und in strikter Opposition zur Führung seines Landes stand. Doch das Verbot von in seiner Heimat beliebten Sendern wie Radio Free Europe, BBC und Voice of America und die Unterdrückung jeglicher Presse- und Versammlungsfreiheit sowie das Ziel des amtierenden Präsidenten per Referendum durchzusetzen, sich beliebig oft wieder wählen zu lassen, hätten das Fass zum Überlaufen gebracht. Nun sei es Zeit für deutliche Worte. Ilham Aliyev entwickle deutlichere diktatorische Züge als sein Vater Haydar Aliyev, von dem er sein Präsidentenamt geerbt hat – ein „nordkoreanischer“ Wahlgang machte es möglich. Unter Vater Aliyev waren Demonstrationen möglich, wenn sie auch teils blutig niedergeknüppelt wurden. Unter Ilham Aliyev würden nicht einmal drei Leute zusammen kommen können, ohne daß der Geheimdienst sie schon am Bus verhafte, beschreibt Milli die derzeitige Situation. Deshalb startete auch das Netzwerk AN (aserbaidschanisch der Augenblick), zu deren Mitbegründern Emin Milli zählt, ihre erste Demonstration gegenüber dem UN-Gebäude in New York und nicht im heimischen Baku.

Demonstrationen im heimischen Baku sind nicht möglich

Auf die Frage von Cem Özedmir, warum man denn in den USA mit öffentlichen Aktionen begonnen hätte und nicht in der aserbaidschanischen Hauptstadt, sagte Milli deutlich: „Ich verspreche, sobald friedliche Demonstrationen in Aserbaidschan erlaubt sind, wenn die Polizei die Protestierenden schützen wird und Pressefreiheit zumindest in Ansätzen da ist, werden wir uns vor Ort engagieren, doch zur Zeit ist dies völlig unmöglich.“

Anja Viohl von der Organisation „Reporter ohne Grenzen“ bestätigt dies: „Zur Zeit sind vier unabhängige Journalisten wegen ihrer Berichterstattung in Haft. Die Medien geraten immer mehr unter staatliche Kontrolle.“ Auch das internationale Radiostationen nicht mehr senden könnten, sei völlig inakzeptabel, so Viohl.

Weil die Lage in Aserbaidschan sich verschlechtert und für öffentliche Meinungsäußerungen keine Möglichkeiten mehr vorhanden sind, müssen neue Wege beschritten werden, meint Emin Milli. Das AN-Netzwerk gründete jüngst einen Internet-Fernsehsender. Viele Informationen verteilen sich über Blogs und Chatforen, es werden traditionell gut besuchte Begräbnisse und Hochzeiten für die Verkündung von Statements genutzt. So erfahren die Menschen im Lande von den Diskussionsforen in Paris, Washington und Brüssel, die Milli und seine Mitstreiter schon organisiert haben. Cem Özdemir, der den jungen Wissenschaftleri schon vor drei Jahren bei einem AN-Forum im Europaparlament kennenlernte, meinte anerkennend, eigentlich hätte er Milli gern in seinem Wahlkampfteam gehabt, so sehr sei er beeindruckt vom Organisationstalent des Aserbaidschaners. Doch würde Emin Milli für die Heimat dringender gebraucht als im deutschen Wahlkampf, schmunzelt Özdemir.

Provokation zum Tag der politischen Gefangenen

In Aserbaidschan möchte sich Präsident Aliyev am 18. März – ironischerweise der internationale Tag der politischen Gefangenen – per Verfassungsreferendum zum Präsidenten auf Lebenszeit ernennen lassen. Und dies wie zum Hohn für alle Demokraten, denn an diesem Tag vor 90 Jahren gründete sich mit der Republik Aserbaidschan die erste Demokratie in einem islamischen Land, wenn sie auch nach nur zwei Jahren von den Bolschewiki wieder zerstört wurde. Auf ihre erste Republik seien alle Aserbaidschaner stolz, betont Milli.

Kritische Stimmen im Land sind heute schwach. Deshalb gründeten Intellektuelle und Aktivisten des Netzwerks AN am 23. Januar im westaserbaidschanischen Gändschä die Plattform „ReAl“ – die Republikanische Alternative. Denn es sei Zeit Partei zu ergreifen, meint Milli: „Entweder es geht weiter so und endet in einer Monarchie oder man macht sich stark für die demokratische Republik.“ Zusammen mit Aserbaidschanern aus Wissenschaft, Kultur und in der Diaspora wolle man für Öffentlichkeit und Gegendruck sorgen. Özdemir sagte zu, sich bei der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft für das Thema Pressefreiheit und Demokratie in Aserbaidschan einzusetzen. Schließlich seien die Grünen in Tschechien mit an der Regierung und Außenminister Karel Schwarzenberg ebenfalls ein Grüner. Auf der Parlamentarischen Versammlung des Europarates vom 20. bis 26. Februar in Straßburg müsse Aserbaidschan deutlich zu verstehen gegeben werden, dass solche antidemokratische Politik sie von Europa entferne.

Wichtige Impulse von unabhängigen Netzwerken

Im Kaukasus selbst können Netzwerke von Nichtregierungsorganisationen wichtige Impulse geben, sich nicht mit den Entwicklungen abzufinden. Als ehemaliger Leiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Baku weiß Milli wovon er spricht. Um Demokratie-Projekte zu besprechen traf er sich auch mit Dr. Iris Kempe, der Leiterin des Kaukasus-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung. Kempe betonte, die Lage im Kaukasus insgesamt verschlechtere sich rasant. Russische Waffenlieferungen für über 800 Millionen Euro an Armenien, Stagnation in Georgien, Repression in Aserbaidschan und die ständige Bedrohung aus dem Norden seien keine guten Wegweiser in eine demokratische Zukunft des Kaukasus. Deshalb brauche es  neutrale demokratische Kräfte zur Stärkung der Region, so Kempe.

„Wir brauchen diese Unterstützung und sind dankbar dafür“, betont Milli, auch wenn wir zu Hause als Landesverräter und Nestbeschmutzer gebrandmarkt werden. „Doch wir sind die Patrioten, die sich um unser Land sorgen, die Egoisten sitzen in Baku an der Regierung, auch wenn die Propagandamaschine es anders darstellt.“

Sich selbst und ihre Einflussmöglichkeiten überschätzen die Netzwerker von AN nicht, sie wissen, dass es lange dauern kann, bis sich in Aserbaidschan etwas ändert.  Milli: „Wir haben nicht die Kraft diese Regierung zu stürzen. Aber wir wollen zeigen, dass nicht alle Aserbaidschaner akzeptieren, wo wir jetzt stehen.“ Die jungen Aktiven seines Netzwerkes setzen ein Signal für die Menschen in Aserbaidschan. Und so ist sich der Polit-Nomade Milli sicher: „Wenn sich das System selbst überlebt hat, sind wir die Alternative.“

Zentralasien

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