Syrien entwickelt mit deutscher Hilfe die MarktwirtschaftNAHER OSTEN

Syrien entwickelt mit deutscher Hilfe die Marktwirtschaft

Syrien entwickelt mit deutscher Hilfe die Marktwirtschaft

Mit der Eröffnung privater Banken, mit Investitionen und dem Rat von Sachverständigen, will Deutschland das sozialistische Syrien beim Aufbau eines modernen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems helfen. Trotz der Abstempelung Syriens zum „Schurkenstaat“ bahnt sich ein neuer „Damaszener Frühling“ an.

Von Eberhart Wagenknecht

Syriens Vizepremier Dr. Abdullah al-Dardari (Mitte) beim Bergedorfer Gesprächskreis mit Experten der Hamburger Körberstiftung.  
Syriens Vizepremier Dr. Abdullah al-Dardari (Mitte) beim Bergedorfer Gesprächskreis mit Experten der Hamburger Körberstiftung.  

I m März bekommt Syrien Besuch von den Weisen aus dem Westen. Professor Peter Bofinger vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, umgangssprachlich die fünf Wirtschaftsweisen genannt, wird in das Zweistromland reisen. Er soll im Auftrag der Bundesregierung und speziell des Auswärtigen Amts beim Aufbau einer marktwirtschaftlichen Ordnung behilflich sein. Auch der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Professor Bert Rürup, war schon zweimal in Damaskus um dort Hunderten syrischer Amtsträger die Regeln von Angebot und Nachfrage zu erläutern. Zudem sind Wirtschaftsexperten aus Unternehmen und Banker als Berater in Syrien aktiv.

Für die Amerikaner ist Syrien zwar ein „Schurkenstaat“. Aber Deutschland bemüht sich unverdrossen, das Land in seine Bemühungen um eine Lösung im Nahen Osten einzubeziehen. Dafür will Berlin die Operation Marktwirtschaft nutzen. Es sieht darin ein Mittel zur Verbesserung der deutsch-syrischen Beziehungen und damit auch zur Stabilisierung des Landes.

Mitte Februar war der syrische Vizepremier Dr. Abdullah al-Dardari in Berlin.  Der Politiker hat in England Wirtschaft studiert, gilt als Reformer und soll im Auftrag von Präsident Baschar al-Assad umsetzen, was der Parteitag der regierenden sozialistischen Baath-Partei vor zwei Jahren einstimmig beschlossen hat: Die Einführung der sozialen Marktwirtschaft. Al-Dardari sprach mit Abgeordneten des Bundestages, Vertretern des Auswärtigen Amts, des Kanzleramts, des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und mit ausgewählten Experten.

Fast unbeachtet vollzieht sich in Syrien ein tief greifender Wandel

Von westlichen Medien weitgehend unbeachtet, vollzieht sich im sozialistischen Syrien ein wirtschaftspolitischer Wandel. Der Staat behält zwar die ökonomische Oberaufsicht, aber das Mittel der zentralen Planung wird sukzessive abgeschafft.  Ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union vom Oktober 2004 wirkt bei dieser Entwicklung als Reformkatalysator. Es liegt allerdings gegenwärtig auf Eis, weil die USA auf einer Isolierung des Landes bestehen, und Brüssel es nicht wagt, eine eigenständige Politik zu verfolgen.

In einem Fünfjahresplan, den die staatliche Planungskommission für die Jahre 2006 bis 2010 vorgelegt hat, sind bereits eine Reihe grundsätzlicher Reformen enthalten. Es wurden Investitionsprojekte von mehr als vier Milliarden Dollar genehmigt, etwa in den Branchen Zement und Automobile. Die südkoreanischen Konzerne Daewoo und Kia, sowie die iranische Gesellschaft Iran Khodro, die an Peugeot beteiligt ist, investieren bereits im Land.

Syriens Ziel ist es, das gesamtwirtschaftliche Wachstum bis zum Jahr 2010 auf sieben Prozent anzuheben. Die verarbeitende Industrie und die Dienstleistungen sollen um mindestens zehn Prozent wachsen. Das Modell, das dem Reformplan zugrunde liegt, sieht außerdem einen Anstieg des Jahreseinkommens pro Einwohner von 1050 auf 1350 Dollar vor. In den kommenden sechs Jahren soll eine Million neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Um die Wettbewerbsfähigkeit der syrischen Wirtschaft zu verbessern, will man die Produktivität des Faktors Arbeit nahezu verdoppeln.

Deutschland stärkt dem Reformer al-Dardari demonstrativ den Rücken

Dies ist auch dringend erforderlich. Denn Syriens wirtschaftliche Entwicklung war in den letzten Jahren von abnehmender Ölproduktion, entsprechend rückläufigen Ölexporten und einer Verschlechterung der Leistungsbilanz gekennzeichnet. Dabei ist die Arbeitslosigkeit mit gut elf Prozent der Erwerbstätigen anhaltend hoch. Erschwert wird die wirtschaftliche Entwicklung durch die politische Isolation im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt.

Bei seinem Besuch in Berlin bekam Syriens Vize-Premier großen Zuspruch von Bundesentwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul. Sie plädierte für eine Verbesserung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit dem Land von Präsident Assad.  Die Ministerin: „Syrien international zu isolieren, bringt nicht mehr Sicherheit und Frieden für den Nahen Osten. Wir wollen über konstruktive Zusammenarbeit einen Veränderungsprozess in Syrien unterstützen, der eine positive Ausstrahlung auf die ganze Region ausüben kann.“

In Ihren Gesprächen mit Vizepremier Dr. Abdullah al-Dardari sei vereinbart worden, die Kooperation in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Syrien zu verstärken, unter anderem über einen engeren wirtschaftlichen Austausch und durch die Einrichtung eines Koordinierungsbüros des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Damaskus. Dieses Büro soll sowohl die Koordinierung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit verbessern, als auch Anlaufstelle für deutsche Unternehmen in Syrien sein.

„Den wirtschaftlichen Reformen müssen gesellschaftliche Reformen folgen.“

Die Ministerin lobte die erfolgreich begonnenen Wirtschaftsreformen in Syrien, zu denen al-Dardari maßgeblich beigetragen hat. „Es kommt allerdings darauf an, dass den wirtschaftlichen Reformen jetzt auch gesellschaftliche Reformen folgen“, erklärte Wieczorek-Zeul mit Anspielung auf eine überfällige Liberalisierung, u. a. im Parteienwesen und bei der Pressefreiheit. Obwohl der Besuch des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier in Damaskus im vergangenen Herbst nicht gerade als großer Erfolg gilt, will die Ministerin an der schon vor einigen Jahren begonnenen Kooperation mit Syrien festhalten.

Es gebe mit Syrien eine Zusammenarbeit bei der Wasserversorgung. Neu vereinbart worden seien die Beteiligung an der Gründung einer Mikrofinanzbank und die Unterstützung beim Ausbau erneuerbarer Energien. Die Ministerin lobte die „erfolgreichen Wirtschaftsreformen“ in Syrien und nannte al Dardari einen „Vertreter einer neuen Generation“ und „Reformer“. Wieczorek-Zeul verteidigte die Kooperation, obwohl die USA seit langem eine Isolierung Syriens fordern. Sie sagte: „Wir haben uns davon nicht beeindrucken lassen.“ Zudem sprach sie sich dafür aus, die seit drei Jahren ruhenden Verhandlungen zwischen der Europäischen Union und Syrien über ein Assoziierungsabkommen wieder aufzunehmen.

„Im Nahen Osten bringen Isolation und Sanktionen nicht die erwünschten Ergebnisse.“

Al Dardari sagte, im Nahen Osten würden „Isolation, Sanktionen und Druck nicht die erwünschten Ergebnisse bringen“. Obwohl die EU die Verhandlungen mit Syrien abgebrochen habe, sei das Land weiter den Weg der Reformen gegangen. Er bezeichnete Syrien als „Hort der Stabilität“ in der Region. Der Vizepremier betonte, Sein Land habe großes Interesse an einem stabilen Libanon. „Wir unterstützen niemanden dabei, irgendjemanden zu stürzen“, sagte er auf die Frage von Journalisten in Berlin, ob Syrien die Bemühungen der schiitischen Hisbollah-Miliz unterstütze, die Regierung von Ministerpräsident Fuad Siniora zu stürzen. „Wir haben Libanon verlassen. Und wir wollen nicht zurückkehren“, erklärte al Dardari.

Kommt ein neuer „Damaszener Frühling“?

Noch klebt an Syrien das Image einer Diktatur mit Planwirtschaft. Doch fast unbemerkt vom Ausland vollzieht sich ein radikaler Systemumbau: Steuern sinken, Investitionen boomen. Experten erkennen darin bereits Vorboten eines politischen Wandels.

Schon einmal war mit Blick auf Syrien vom „Damaszener Frühling“ die Rede. Das war als der junge, westlich orientierte Augenarzt Baschar al-Assad vor sieben Jahren das Präsidentenamt von seinem Vater Hafez übernahm. Die EU versprach Partnerschaft. Doch als 2004 erste Reformen in Gang kamen, war Syrien  von den USA bereits zum „Schurkenstaat“ abgestempelt.

In Damaskus, vornehmlich in den Vierteln der reichen Neustadt, ist der Wandel dennoch greifbar und sichtbar. Hier reihen sich schicke Cafés mit großen Fensterfronten aneinander. In diesen Straßen trinkt die junge Oberschicht ihren Caffè Latte. Hier siedelten sich auch westliche Firmen wie Benetton, Stefanel, Adidas und Zara an.

Die Probleme für die Reformer in Syrien sind riesig

Die Bevölkerung Syriens nimmt seit Anfang der 90er Jahre um durchschnittlich 2,4 Prozent jährlich zu. Nahezu 45 Prozent seiner Bewohner sind jünger als 14 Jahre. Die verdeckte Arbeitslosigkeit ist dadurch noch immer sehr hoch. Rund 89 Prozent der Bevölkerung sind Araber. Daneben gibt es Minderheiten von Kurden (sechs Prozent), Armeniern (zwei Prozent), Turkmenen und Tscherkessen. Außerdem leben noch knapp 400.000 Palästinenser als Flüchtlinge im Land.

Die syrische Ölproduktion liegt bei ca. 500.000 Barrel pro Tag. Syrien gibt seine Reserven mit 23 Milliarden Barrel an, deutlich mehr als die bisher international geschätzten drei Milliarden. Derzeit werden täglich etwa 22 Millionen Kubikmeter Erdgas gefördert. Die Produktion soll ausgebaut werden. Der Großteil des Gases wird bislang zur heimischen Energieproduktion verwendet. Syrien geht von Reserven von über 600 Milliarden Kubikmetern Erdgasreserven aus und verhandelt mit den Nachbarstaaten über eine verstärkte Abnahme.

Russland setzt im Nahen Osten auf Syrien und will eine neue Friedenskonferenz

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind die bedeutendsten Handelspartner Syriens. Mehr als 30 Prozent seiner Exporte gehen in die EU, nur 15 Prozent in die arabischen Staaten. Die wichtigsten Ausfuhrgüter Syriens (rund zwei Drittel der Gesamtexporte) sind Erdöl und Erdölprodukte, daneben Nahrungsmittel, Textilien und Bekleidung. Die Haupteinfuhrgüter sind Maschinen und Ausrüstungen, Metalle und Metallerzeugnisse, Kraftfahrzeuge, Nahrungsmittel und chemische Produkte. Sie kommen vor allem aus Deutschland, Italien und Frankreich.

Wie sehr auch Russland auf das Land von Präsident Assad setzt, zeigt die Forderung von Wladimir Putin zu einer neuen Nahost-Friedenskonferenz unter Einschluss Syriens, die er Mitte Februar erhob und vor wenigen Tagen noch einmal bekräftigte.

Ziel eines solchen Treffens, zu dem Russland bereits vor drei Jahren aufgerufen habe, sei eine „angemessene Lösung“ der Probleme in der Region, sagte Putin nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. in Amman. Moskau lege weiterhin größten Wert auf eine verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit mit allen arabischen Ländern.

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