Syrien erprobt die MarktwirtschaftNAHER OSTEN

Syrien erprobt die Marktwirtschaft

Von westlichen Medien weitgehend unbeachtet, vollzieht sich in Syrien ein wirtschaftspolitischer Wandel. Der Staat behält zwar die ökonomische Oberaufsicht, aber das Mittel der zentralen Planung werde abgeschafft, wie aus einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hervorgeht.

Von Johann von Arnsberg

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on westlichen Medien weitgehend unbeachtet, vollzieht sich in Syrien ein wirtschaftspolitischer Wandel. Der Staat behält zwar die ökonomische Oberaufsicht, aber das Mittel der zentralen Planung werde abgeschafft, wie aus einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hervorgeht.

„Syrien wirft ideologischen Ballast ab und wendet sich der Marktwirtschaft zu“, heißt es in der FAZ vom 17. März 2005. Noch sprächen die Reformer innerhalb der Regierung und der regierenden Baath-Partei zwar lediglich von „marktwirtschaftlichen Mechanismen“, um ihr Projekt nicht zu gefährden. Doch der neue Fünfjahresplan, den die staatliche Planungskommission für die Jahre 2006 bis 2010 vorgelegt habe, enthalte eine ganze Reihe grundsätzlicher Reformen. Das Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union wirke bei dieser Entwicklung als Reformkatalysator. Diese Übereinkunft zwischen der EU und Syrien war im vergangenen Oktober unterzeichnet worden. Sie enthält dem Vorsitzenden der Planungskommission in Damaskus, Abdallah Dardari zufolge entsprechende Vorgaben für grundlegende Reformen. Er hoffe, daß das Abkommen „in diesen turbulenten Tagen“ nicht zugunsten politischer Überlegungen geopfert werde.

Der Fünfjahresplan bilde „die Basis für einen neuen Gesellschaftsvertrag Syriens“. Laut FAZ wird er nun dem großen Baath-Parteitag vorgelegt, der für den Sommer einberufen werden soll. Den Plan habe Dardari erarbeitet. Er sei einer der wichtigsten Reformer in der Regierung. Dardari habe zu den ersten gehört, die in Syrien offen für Marktwirtschaft plädierten.

Bedeutende Reformschritte schon seit 2004

Bereits 2004 sei für die Reformpolitik ein entscheidender Wendepunkt gewesen, habe Dardari bei der Vorlage des neuen Fünfjahresplans erklärt. Nun bestehe die Gewißheit, daß die Reformen unumkehrbar seien. Private Banken würden zugelassen, und der Bankensektor werde dereguliert. Man habe Investitionsprojekte von mehr als vier Milliarden Dollar genehmigt, etwa in den Branchen Zement und Automobile. Die südkoreanischen Konzerne Daewoo und Kia, sowie die iranische Gesellschaft Iran Khodro, die an Peugeot beteiligt ist, wollten investieren. Zudem sei nach vier Jahren Stagnation die Wirtschaft erstmals wieder gewachsen, und zwar um 3,5 Prozent.

Die FAZ weiter: Dardari spricht bereits offen von Marktwirtschaft, dem Staat weist er aber weiter eine sozialpolitische Verantwortung zu und eine Verantwortung für die Gesamtentwicklung zu. Allerdings sollten die Behörden mit makroökonomischer Politik und mit Anreizen die erwünschte Entwicklung herbeiführen und nicht mehr mit Mitteln der zentralen Planung. Ziel des neuen Fünfjahresplans ist es demnach, das gesamtwirtschaftliche Wachstum bis zum Jahr 2010 auf sieben Prozent anzuheben. Die verarbeitende Industrie und die Dienstleistungen sollen um mindestens zehn Prozent wachsen. Das Modell, das dem Reformplan zugrunde liegt, sieht außerdem einen Anstieg des Jahreseinkommens pro Einwohner von 1050 auf 1350 Dollar vor. In den kommenden sechs Jahren soll eine Million neuer Arbeitsplätze geschaffen werden. Um die Wettbewerbsfähigkeit der syrischen Wirtschaft zu verbessern, will man die Produktivität des Faktors Arbeit nahezu verdoppeln.

Chancen sieht Dardari für traditionelle Industrien wie Textilien, Oberbekleidung und die Nahrungsmittelverarbeitung. Aber man wolle auch junge Industrien wie die Pharmazie ausbauen und Forschungsergebnisse, etwa in der Sonnenenergie, künftig besser zu vermarkten.

Um seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen, müsse Syrien jedes Jahr sechs bis sieben Milliarden Dollar investieren. Das Geld soll über den Kapitalmarkt und über ausländische Direktinvestitionen aufgebracht werden. Mit Rußland und China verhandle Syrien über Energieprojekte, wie den Bau von Raffinerien.

Rußland hilft Syrien durch Schuldenerlaß – und es liefert Verteidigungswaffen

Nach einem Schuldenerlaß Rußlands belaufen sich laut Dardari die Auslandsschulden Syriens auf 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, und der Schuldendienst liege bei weniger als einem Zehntel des Exports. Die makroökonomischen Daten erlaubten Reformen, ohne daß Opfer von der Bevölkerung verlangt würden; die Devisenreserven reichten 29 Monate lang zur Finanzierung des Imports.

Die syrische Außenverschuldung wird derzeit nach Angaben des deutschen Auswärtigen Amts in Berlin auf 18 Milliarden US-Dollar geschätzt. Davon sollen etwa 75 Prozent den ehemaligen Ostblockländern, vor allem Rußland, für Militärhilfe zuzurechnen sein. Syrien selbst spricht nur von fünf Milliarden Dollar Auslandschulden.

Rußland hat Syrien in letzter Zeit einen Teil seiner Forderungen von ursprünglich zwölf Milliarden Dollar erlassen. Rußland sieht auch keine Problem darin, Syrien, das die USA zur „Achse des Bösen“ rechnen, mit Rüstungsgütern zu versorgen. Aktuell wird über die Lieferung von Strelez-Raketen verhandelt, die gegen niedrig fliegende Objekte eingesetzt werden und eine Reichweite von fünf bis sechs Kilometern haben. Der Abschluß hängt vom Preis ab, wie die russische Seite betont. Rußland kann deshalb immer noch zu den Verbündeten Syriens gerechnet werden, ebenso die Volksrepublik China. Sie hat u nter Aufsicht der internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) einen Forschungsreaktor geliefert, der in Dayr al Jajar (südöstlich von Damaskus) betrieben wird.

Syrien hat eine stark wachsende Bevölkerung – EU-Länder sind die wichtigsten Handelspartner

Die Bevölkerung Syriens nimmt seit Anfang der 90er Jahre um durchschnittlich 2,4 Prozent jährlich zu. Nahezu 45 Prozent seiner Bewohner sind jünger als 14 Jahre. Die verdeckte Arbeitslosigkeit ist dadurch noch immer sehr hoch. Rund 89 Prozent der Bevölkerung sind Araber. Daneben gibt es Minderheiten von Kurden (sechs Prozent), Armeniern (zwei Prozent), Turkmenen und Tscherkessen. Außerdem leben noch knapp 400.000 Palästinenser als Flüchtlinge im Land.

Die syrische Ölproduktion liegt bei ca. 500.000 Barrel pro Tag. Syrien gibt seine Reserven mit 23 Milliarden Barrel an, deutlich mehr als die bisher international geschätzten drei Milliarden. Derzeit werden täglich etwa 22 Millionen Kubikmeter Erdgas gefördert. Die Produktion soll ausgebaut werden. Der Großteil des Gases wird bislang zur heimischen Energieproduktion verwendet. Syrien geht von Reserven von über 600 Milliarden Kubikmetern Erdgasreserven aus und verhandelt mit den Nachbarstaaten über eine verstärkte Abnahme.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind die bedeutendsten Handelspartner Syriens. Mehr als 30 Prozent seiner Exporte gehen in die EU, nur 15 Prozent in die arabischen Staaten. Die wichtigsten Ausfuhrgüter Syriens (rund zwei Drittel der Gesamtexporte) sind Erdöl und Erdölprodukte, daneben Nahrungsmittel, Textilien und Bekleidung. Die Haupteinfuhrgüter sind Maschinen und Ausrüstungen, Metalle und Metallerzeugnisse, Kraftfahrzeuge, Nahrungsmittel und chemische Produkte. Sie kommen vor allem aus Deutschland, Italien und Frankreich.

Orient Wirtschaft

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