„Vergessene Heldin“POLEN

„Vergessene Heldin“

„Vergessene Heldin“

Volker Schlöndorff verfilmt das Leben der ehemaligen Kranführerin Anna Walentynowicz. Ihre Entlassung auf der Lenin-Werft in Danzig führte 1980 zum Streik der Arbeiter und schließlich zur Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc. Doch die frühere Werftarbeiterin kritisiert den Film „Vergessene Heldin“ vehement, sie will gegen Schlöndorff vor Gericht ziehen.

Von Katarzyna Tuszynska

Filmemacher Volker Schlöndorff auf einer Pressekonferenz in Danzig.  
Filmemacher Volker Schlöndorff auf einer Pressekonferenz in Danzig.
(Foto: Tuszynska)
 

A m Werftkanal, hinter der riesigen aschgrauen Werfthalle K – 3, in der Schiffsrümpfe angefertigt werden, drängen sich die Menschen. Auf langen Metallteilen sitzen Werftarbeiter in schmutzigen Uniformen, um sie herum bewegen sich hohe Kräne. Einige der Werftarbeiter greifen in ihre Taschen und ziehen ein kleines Paket mit Broten heraus. Es ist kurz nach 9 Uhr. Während die Arbeiter ihr Frühstück genießen, wird in der Halle K - 3 weiterhin gearbeitet.

Doch dieser Tag ist kein Tag wie jeder andere. Die Werftarbeiter sind in Wahrheit professionelle Schauspieler, die Frühstückspause ist nachgestellt. Unter dem prüfenden Auge von Regisseur Volker Schlöndorff entstehen die ersten Passagen des Films „Vergessene Heldin“. „Heute wurde die erste Szene gedreht“, verrät Bühnenbildnerassistent Michal Czesek. Rund 70 Leute wirken daran mit.

Schlöndorffs zweiter großer Film in Danzig

  Arbeiter der Danziger Werft schweißen am Bug eines Schiffes.
  Arbeiter der Danziger Werft schweißen am Bug eines Schiffes.
(Foto: Schaffner)

Volker Schlöndorff ist in Danzig gut bekannt. Schon seinen Oscar-gekrönten Film „Die Blechtrommel“ (1979), der auf dem Erfolgsroman von Günter Grass basiert, drehte er in der Ostsee-Hafenstadt. Eine der Hauptrollen in Schlöndorffs frühem Meisterwerk spielte Katharina Thalbach. Auch diesmal ist die geborene Ost-Berlinerin bei den Dreharbeiten in Danzig dabei. Zusammen mit ihrer 32jährigen Tochter Anna soll sie in Schlöndorffs neuem Film die resolute Kranführerin Anna Walentynowicz spielen. Alle weiteren Rollen übernehmen polnische Schauspielerinnen. Einzelheiten der Filmhandlung wurden bislang nicht verraten.

Die heute 76jährige Anna Walentynowicz hat mehrere Jahre auf der Danziger Werft gearbeitet, die zu kommunistischen Zeiten Lenin-Werft hieß. Walentynowicz setzte sich 1980 für verbesserte Arbeitsbedingungen ein und wurde deshalb entlassen. Dies führte zum Streik der Danziger Werftarbeiter und schließlich zur Gründung der Gewerkschaft Solidarnosc (Vgl.: Die Danziger Werft und der Mythos Solidarnosc ). Mit dem Solidarnosc-Führer und späteren polnischen Staatspräsidentin Lech Walesa überwarf sich Walentynowicz jedoch bald. Noch heute wirft die einstige Kranführerin Lech Walesa vor, er habe die Interessen der Streikenden verraten und mit dem polnischen Geheimdeist zusammengearbeitet.

Lastkräne auf dem Gelände der Danziger Werft.  
Lastkräne auf dem Gelände der Danziger Werft.
(Foto: Metz) 
 

Auf dem Gelände von Werftdirektor Bogdan Oleszek werden in der letzten Zeit häufig Filme gedreht: Für den Streifen „Unkenrufe – Zeit der Versöhnung“ (Polnischer Titel: „Wrozby Kumaka“), der auf einem Buch von Günter Grass fußt, diente die Werft ebenso als Kulisse wie für viele Dokumentarfilme zum Thema „25 Jahre Solidarnosc“. „Die Filmteams suchten regelmäßig nach der werkseigenen Lenin-Büste,“ erzählt Direktor Oleszek. „Doch die Arbeiter haben einst in ihrem Ärger den ganzen Sockel zertrümmert.“

„Unannehmbares“ Drehbuch

Volker Schlöndorff hat eine Reihe polnischer Spezialisten engagiert - etwa Ewa Krauze. Sie hat in diesem September auf dem Filmfestival in Gdingen (Gdynia) den Preis für die besten Kostüme bekommen. Für den Film „Vergessene Heldin“ hat sie ein paar Tausend Kleidungsstücke entworfen: Uniformen für die Werftarbeiter, Winter- und Sommerkleidung. „Ich habe mich an den Originalen aus den Jahren 1960 bis 1980 orientiert,“ erzählt Krauze. Viel „Spielraum“ hätte sie nicht gehabt. „Im kommunistischen Polen war schließlich alles grau in grau.“

Schlöndorffs neues Werk sorgt bereits für Konflikte, noch bevor es überhaupt fertiggestellt wurde. Der polnischen Zeitung „Rzeczpospolita” sagte Anna Walentynowicz, der deutsche Regisseur gehe „rüpelhaft” mit ihrer Biographie um. Das Drehbuch zu „Vergessene Heldin” sei „unannehmbar”. Die ehemalige Kranführerin will Schlöndorff deshalb verklagen.

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Katarzyna Tuszynska ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Journalisten in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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