„Wir reden aneinander vorbei“EM-INTERVIEW

„Wir reden aneinander vorbei“

„Wir reden aneinander vorbei“

Seit acht Jahren findet der St. Petersburger Dialog statt. Beim kürzlich abgehaltenen Jahrestreffen 2008 fanden parallel zu den Diskussionen in Arbeitsgruppen und Vollversammlungen deutsch-russische Regierungskonsultationen statt. Trotz der Meinungsverschiedenheiten zum Georgien-Konflikt verlief das Treffen zwischen Angela Merkel, die mit sechs Ministern angereist war, und Kreml-Chef Dmitri Medwedjew entspannt. Alexander Rahr, Programmdirektor Russland/Eurasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), leitete die Arbeitsgruppe „Russland und Deutschland in der modernen Informationsgesellschaft“. Mit ihm sprach das Eurasische Magazin über seine Eindrücke vom derzeitigen deutsch-russischen Verhältnis.

Von Ulrich Heyden

Alexander Rahr  
Alexander Rahr  
  Zur Person: Alexander Rahr
  Alexander Rahr ist Programmdirektor Russland/Eurasien der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Bevor er zur DGAP kam, war er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsinstitut von Radio Freies Europa/Radio Liberty, München, und Projektmanager am Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien in Köln.

Er fungierte als Berater für die RAND Corporation in Santa Monica, ist im Vorstand von Yalta European Strategy (YES) und Mitglied des Lenkungsausschusses des Petersburger Dialogs.

Rahr ist außerdem Autor der Biographien von Michael Gorbatschow (1986) und Wladimir Putin. „Der Deutsche im Kreml“. Sein neues Buch „Russland gibt Gas - die Rückkehr einer Weltmacht“ erschien 2008.

Alexander Rahr hat einen M.A. in Geschichte und Politikwissenschaft der Ludwig-Maximilians-Universität, München. Er ist Träger des Bundesverdienstkreuzes (2003) und Ehrenprofessor an der Moskauer Staatsuniversität für internationale Beziehungen (MGIMO).

É Eurasisches Magazin: Gab es auf dem Petersburger Dialog Themen, wo man aufeinander zuging, wo man das Gefühl hatte, dass sich da etwas Neues entwickelt, eine Hoffnung auf Verständigung?

Alexander Rahr: Ich war Koordinator der Arbeitsgruppe „Zukunftswerkstatt, Russland und Deutschland in der modernen Informationsgesellschaft“. Anders als bei der Diskussion um die Zivilgesellschaft könnten wir beim gemeinsamen Aufbau einer Informationsgesellschaft zwischen Russland und Deutschland schon gewisse Fortschritt erzielen, weil die Informationstechnologien jetzt ausreifen und man sich auf gemeinsame Nenner einigen kann und man auch bei der Entwicklung rechtlicher Vorschriften für das Internet und die modernen Medien zusammenarbeiten könnte. Soweit zur Zukunftswerkstatt. Provoziert wurde die Debatte durch die unterschiedliche Berichterstattung über den Georgien-Konflikt, der in Deutschland so und in Russland anders gesehen wird.  Auf der Plenarsitzung gab es eigentlich sehr viel Verständigung darüber, dass Russland nicht in die Ecke gedrängt und das man gegenseitig einen fruchtbaren Informationsaustausch pflegen sollte.

Frust bei den Russen über verweigerte Investitionsmöglichkeiten

EM: Trotzdem ist es ja so, dass die Verständigung zwischen Deutschland und Russland immer  schwieriger wird. Angela Merkel kommt nur mit einer kleinen Gruppe von sechs Ministern nach St. Petersburg. Auf internationaler Ebene wurden Ministertreffen zum Iran und zum Kaukasus abgesagt. Es gibt immer weniger Foren wo man überhaupt noch miteinander redet.
 
Rahr: Der Petersburger Dialog ist eine der Ausnahmen. Da haben sich die Leute versammelt, die dafür eintreten, dass der Dialog mit Russland weitergeht. Aber sie haben Recht, der Dialog wird immer schwieriger. Es gibt viele Konflikte nicht nur um den Kaukasus sondern auch um die Einschätzung von Russlands innerer Situation. Es gibt auch einen gehörigen Frust der russischen Seite, dass russische Investitionen im Westen nicht gewollt und teilweise der Zugang versperrt wird.

EM: Was sollte Angela Merkel in St. Petersburg von Russland fordern? Wo könnte Russland Zugeständnisse machen?

Rahr: Das Allerfalscheste wäre jetzt zu „fordern“. Die Vokabel „fordern“ haben wir früher benutzt und da gingen in Russland immer die Alarmglocken hoch. Die Zeit ist vorbei, wo wir irgendetwas fordern können. Inzwischen ist es so, dass man sich auf ein ganz schwieriges Russland einstellen muss, dass sich jetzt in der Lage sieht, die Weltordnung umzuschreiben und zu seinen Gunsten zu verändern. Wir können jetzt sagen, das machen wir nicht mit, wir ergreifen jetzt Eindämmungsmaßnahmen gegenüber Russland. Oder wir versuchen in einem Dialog zu klären, was vielleicht doch falsch gelaufen ist.

Die Fehler der Europäischen Union

EM: Hat Deutschland in der Kaukasus-Krise Fehler gemacht?

Rahr: Deutschland hat keinen Fehler gemacht. Die Europäische Union hat einen Fehler gemacht. Sie hat diese Konflikte gesehen aber nichts dafür getan, diese Konflikte zu lösen. Der Plan von Steinmeier für Abchasien war ja sehr richtig angesetzt. Aber was soll man machen? Er wurde weder von der georgischen noch von der abchasischen Seite angenommen. Der Plan kam auch zu spät. Aber das ist ein Beispiel dafür, dass es auch anders hätte laufen können. Man hätte dafür sorgen müssen, dass nicht nur die Russen und die Georgier in dieser Konfliktzone die Friedenstruppen stellen. Es gab  Einladungen von Seiten Jelzins in den 1990er Jahren, dass die OSZE Friedenstruppen nach Südossetien und Abchasien schickt, die dort neben den russischen Truppen stationiert werden. Für uns Europäer war das damals zu weit weg und zu uninteressant. Außerdem hätte man von europäischer und deutscher Seite mehr machen müssen, um den geopolitischen Konflikt in der Region zwischen Amerika und Russland zu entschärfen. Da geht es um reine Energie- und Geopolitik und beide Seiten haben versucht, sich in die Enge zu drängen.

In der deutschen Bevölkerung hat man immer noch Angst vor Russland

EM: Viele meinen, man muss das kleine Georgien gegen das große Russland beschützen.

Rahr: In der deutschen Bevölkerung hat man immer noch Angst vor einem Russland, dass Probleme mit Gewalt löst, keine eigene Zivilgesellschaft hat und sich nach Außen nationalistisch und sogar chauvinistisch zeigt. Und natürlich gibt es die alten Ängste vor rollenden sowjetischen Panzern in Europa, die Russland selbst schürt.

EM: Mit welchen Gefühlen gehen sie in die nächsten Foren des Petersburger Dialogs?

Rahr: Der Dialog ist sehr wichtig. Da kommen Menschen zusammen, die sich seit sieben Jahren ständig begegnen. Und ich finde man soll das weiterführen, weil es ein sehr wichtiges Vehikel in den Beziehungen zwischen Russland und Europa ist. Auf der anderen Seite muss man ehrlich sagen, dass der Dialog in einer völligen Schieflage ist. Die Russen wollen über Fragen der neuen Weltordnung diskutieren und sich als neue Macht, die zurückgekommen ist, präsentieren. Die deutsche Seite dagegen betont immer wieder, dass sie einen Dialog der Zivilgesellschaften will und sich nicht geopolitisch einmischen will.

Schmerzlich enttäuschte Illusionen

EM: Man redet aneinander vorbei?

Rahr: Ja, in vielen Fragen redet man aneinander vorbei, weniger in wirtschaftlichen und Fragen der wissenschaftlichen Zusammenarbeit, aber in den anderen Fragen.

EM: Wie kann man das ändern?

Rahr: Vieles kann man nicht ändern, weil sich beide Länder in unterschiedlichen Zeitfenstern entwickeln und die Konflikte und der Frust zu stark sind. Die deutsche Seite hat sich Russland ganz anders vorgestellt. Man  hat immer gehofft, dass Russland einmal Teil und Juniorpartner des Westens wird. Und jetzt verabschieden wir uns jedes Jahr mehr und mehr von dieser Illusion. Das tut weh, das enttäuscht. Wie kann man das ändern? Man sollte einfach mal tief durchatmen und sehen, dass man bei globalen Herausforderungen, wie bei den neuen globalen Finanzproblemen in einem Boot sitzt und sich gegenseitig helfen sollte.

Außenpolitik Interview Russland

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