In Russland isst man zum Bier TrockenfischKULT-FISCH AUS RUSSLAND

Wobla – Trockenfisch zum Bier

In Russland isst man zum Bier Trockenfisch

Statt Chips isst man in Russland zum Gerstensaft den Trockenfisch „Wobla“. Ein Selbstversuch in Astrachan.

Von Ulrich Heyden | 20.07.2016

Es war ein gemütlicher Abend in einer russischen Küche. Ich befand mich gerade in Astrachan. Bei Nina, meiner Gastgeberin, gab es Hühnersuppe mit Nudeln. Plötzlich fragte mich die Hausherrin, ob ich einen Wobla probieren wolle. Wobla – zu Deutsch „kaspisches Rotauge“ – ist ein getrockneter Fisch, etwas größer als eine Männerhand und nicht dicker als ein Ringfinger. Ich hatte den salzigen Wobla schon in Moskau probiert, zum Bier in Künstlerateliers oder nach dem Banja-Schwitzbad. Aber einen Wobla direkt an der Fangstelle zu verspeisen, das wollte ich mir natürlich nicht entgehen lassen.

Fischer ziehen Rutilus caspicus aus der zugefrorenen Wolga

Der Rutilus caspicus – so der lateinische Fachausdruck für den Wobla - zieht im März aus dem Kaspischen Meer zum Laichen in die Wolga, die zu dieser Zeit noch zugefroren ist. So sieht man im März auf der Wolga bei Astrachan ganze Trauben von Fischern, die auf Klappstühlen durch Eislöcher mit einer kleinen Angel die ersten Woblas fischen. Der kleine Delikatessen-Fisch wird dann mit den Innereien drei Tage in Salzlauge eingelegt und anschließend eine Woche an der frischen Luft getrocknet. Danach kann man das hart gewordene Flossen-Tier, welches zur Familie der Karpfenfische gehört, überall in Russland auf Freiluftmärkten oder an Kiosken kaufen, je nach Größe 25 bis 60 Rubel (1,5 Euro) das Stück.

Nina fragte mich also, ob ich einen Wobla wolle. Meine Augen leuchteten bei diesem Angebot besonderes hell, denn ich konnte es kaum erwarten, den eigenartigen Geschmack des Rutilus caspicus  zu kosten. Ich bekam die Delikatesse gereicht und meine Gastgeberin beobachtete, wie ich etwas unentschlossenen den trockenen Fisch-Schwanz abbrach. Nina ging mein Gefinger irgendwie zu langsam. Sie nahm mir das Schuppentier wieder aus der Hand. „Den Ausländern muss man aber auch alles zeigen“, dachte sie sich wohl und brach den silber-grauen Fisch entschlossen in der Mitte durch, so dass es krachte. Nun war es einfacher, die trockene Fischhaut vom Fleisch abzuziehen, das ebenfalls trocken und hart war.

So gut wie nichts wird übriggelassen

Wir unterhielten uns über dies und das und dabei verschwand immer wieder ein Stück des salzigen Fleisches in meinem Mund. Zu meiner Freude fand ich meinem Wobla auch leuchtend-gelben Rogen. Er war krümelig-trocken und hatte einen intensiven Geschmack. Irgendwann war die Prozedur für mich beendet und ich schob meinen Teller beiseite, doch Nina schaute streng auf den kleinen Berg von Haut, Gräten und Teilen der Wirbelsäule. Mit unwirschem Gesicht trat meine Gastgeberin wieder in Aktion. In dem was ich als Abfall hinterlassen hatte, fand Nina noch viele essbare Fisch-Stücke.
 
Der Wobla ist ein Kult-Fisch. Maler haben ihn in ihre Stilleben integriert. Man findet ihn in jeder russischen Stadt auf Freiluftmärkten und in den Kiosken. Der Wobla, eingewickelt in Zeitungspapier, eignet sich vorzüglich zum Verzehr unterwegs. Dabei dient das Zeitungspapier als Tischdecke auf der Parkbank oder auf dem Klapptisch im Zug. Das kaspische Rotauge schätzen alle, die lange unterwegs sind, nicht nur Bahnreisende, sondern auch Piloten und sogar Kosmonauten.

Protestaktionen wegen Kommerzialisierung des Fangs

Die russischen Männer sind wahre Angel-Fanatiker. Sie stellen sich an jedes Gewässer und halten seelenruhig ihre Ruten raus. Doch die Jagd nach dem Wobla und anderen Schuppentieren wird nun Schritt für Schritt begrenzt. In Astrachan dürfen Hobbyangler pro Tag nicht mehr als fünf Kilogramm Fisch angeln. Schon 2010 unterzeichnete Präsident Dmitri Medwedew ein Gesetz, nachdem der Fischfang zum Teil kostenpflichtig wird. Findige Unternehmer wollen die besten Fangplätze zu Sport-Areals ausbauen und Angel-Lizenzen verkaufen.

Doch nun fürchten die Hobby-Angler, dass man sie vom kostenlosen Fischfang ausschließen will. Nachdem im März 6.000 Fangplätze an Flüssen und Seen im ganzen Land an Angelsport-Unternehmen ausgelost wurden, kam es in vielen russischen Städten zu Protestaktionen. Dem russischen Tandem - Putin und Medwedew – kommen diese Proteste kurz vor den Wahlen sehr ungelegen und so verkündeten die beiden, man werde das Gesetz so ändern, dass genug freie Plätze für kostenloses Angeln erhalten bleiben.

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