Zwei Jahre EU-Osterweiterung: Eine ErfolgsgeschichteEUROPÄISCHE UNION

Zwei Jahre EU-Osterweiterung: Eine Erfolgsgeschichte

Zwei Jahre EU-Osterweiterung: Eine Erfolgsgeschichte

Die „Erweiterung auf einen Schlag“ des Jahres 2004 hat die Europäische Union gründlich verändert. Das Bruttoinlandsprodukt in der Gemeinschaft ist stark gewachsen, und die Arbeitsproduktivität im größeren Europa hat zugenommen. Die Bedeutung Europas in der Welt wurde deutlich aufgewertet. Die Gemeinschaft ist zum „Elefantengewicht“ im globalen Wettbewerb geworden.

Von Willem Noë

I n wenigen Wochen jährt sich zum zweiten Mal die Erweiterung der Europäischen Union von 15 auf 25 Mitgliedsstaaten: Am 1. Mai 2004 waren neben Malta und Zypern acht Länder des ehemaligen Ostblocks der Gemeinschaft beigetreten: Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Estland, Lettland, Litauen.

Nach der unnatürlichen Ost-West-Teilung während eines großen Teils des 20. Jahrhunderts war dies ein herausragender Meilenstein in der Geschichte der Wiedervereinigung Europas. Die Erweiterung der Europäischen Union hat neben einer überragenden politischen, auch eine enorme wirtschaftliche Bedeutung für die Gemeinschaft. Die volkswirtschaftliche Situation der einzelnen Mitgliedsstaaten war und ist von großen Unterschieden geprägt. Aber sowohl für die Gemeinschaft als Ganzes als auch für die einzelnen Länder hat sich der Beitritt der zehn neuen Mitglieder äußerst positiv ausgewirkt.

Ein wachsender Raum des Friedens, der Stabilität und des Wohlstandes

Die EU-Erweiterung 2004 war letztlich die Voraussetzung, um die Unterschiede zwischen alten und neuen EU-Mitgliedern zu überwinden. Eine wichtige Perspektive dazu war die Schaffung eines wachsenden Raums des Friedens, der Stabilität und des Wohlstands in Europa. Durch die Integration ist es gelungen, eine zunehmende wirtschaftliche Zusammengehörigkeit und gegenseitige Abhängigkeit auf demokratischem Weg einzuleiten. Angesichts der geschichtlichen Vergangenheit hat sich die Erweiterung bislang als außerordentlich erfolgreich erwiesen.

Die politischen Auflagen für die EU-Beitrittskandidaten waren so streng wie nie zuvor. Es mußten die Kopenhagener Beitrittskriterien erfüllt sein. Sie verpflichteten die Beitrittsländer zu Demokratie, Marktwirtschaft und zur Fähigkeit der Erfüllung aller aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen. Am schwierigsten gestaltete sich dabei die volle Übernahme des gemeinschaftlichen Besitzstandes aus Rechten und Pflichten, („Acquis“), der keine Ausnahmeregelungen auf Dauer zuläßt.

Der „gemeinschaftliche Besitzstand“  wird nationales Recht

Dieser gemeinschaftliche Besitzstand ist das Fundament, das für alle Mitgliedstaaten im Rahmen der Europäischen Union verbindlich ist. Er entwickelt sich ständig weiter und umfaßt den Inhalt, die Grundsätze und die politischen Ziele der Verträge. Es gehören dazu die in Anwendung der Verträge erlassenen Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung des Gerichtshofs, die im Rahmen der Union angenommenen Erklärungen und Entschließungen, die Rechtsakte der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik. Außerdem auch die in den Bereichen Justiz und Inneres vereinbarten Rechtsakte, die von der Gemeinschaft geschlossenen internationalen Abkommen und die Abkommen, welche die Mitgliedstaaten untereinander in Bereichen schließen, die unter die Tätigkeit der Union fallen.

Der gemeinschaftliche Besitzstand umfaßt also nicht nur das Gemeinschaftsrecht im engeren Sinne, sondern auch alle Rechtsakte, die im Rahmen des zweiten und dritten Pfeilers der Union erlassen werden, sowie die in den Verträgen festgeschriebenen gemeinsamen Ziele. Die Union hat sich zum Ziel gesetzt, den gemeinschaftlichen Besitzstand zu wahren und auszubauen. Die Beitrittskandidaten müssen ihn akzeptieren, bevor sie der Union beitreten. Abweichungen davon werden nur in Ausnahmefällen und in begrenztem Umfang akzeptiert. Um in die Union eingegliedert zu werden, sind die beitrittswilligen Staaten verpflichtet, den gemeinschaftlichen Besitzstand in nationales Recht umzusetzen und ihn anzuwenden, sobald sie tatsächlich beigetreten sind.

Das „Elefantengewicht“ der EU nutzt allen Mitgliedern

Die neuen Länder haben ihre Strukturen in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Hinsicht tiefgreifend reformiert. Das hat zu einer einzigartigen Ausweitung der Stabilität und des Friedens in der EU geführt und zur Integration der früheren Warschauer-Pakt-Staaten, die wenige Jahre vorher noch kaum für möglich gehalten worden war.

Ein großer Vorteil für die beigetretenen Staaten ist es, daß sie dadurch weltweit Vertrauen und Anerkennung genießen. Sie haben international in einem ganz enormen Maß an Glaubwürdigkeit gewonnen, sind kreditwürdig geworden und durch ihre EU-Mitgliedschaft als verläßliche Handelspartner anerkannt.

Die Vorteile für die Mitgliedsstaaten der „alten“ EU und für die nun auf 25 Mitglieder angewachsene Gemeinschaft insgesamt sind ein enormer Gewinn in politischer, geschichtlicher und sicherheitspolitischer Hinsicht. Mehr Stabilität und Wohlstand in den neuen Mitgliedsstaaten bringt auch mehr Stabilität für die EU insgesamt. Hierher gehört auch das „Elefantenargument“. Gemeint ist, daß die erweiterte EU auch mehr Gewicht in internationalen Gremien besitzt und daß jedes europäische Land Anteil an diesem „Elefantengewicht“ hat, sobald es den Mitgliedsstatus bekommt.

Die „Erweiterung auf einen Schlag“ ist gelungen

Die wirtschaftliche Entwicklung der Beitrittsstaaten hatte schon lange vor dem eigentlichen Beitrittstermin begonnen. Schon die Aussicht auf EU-Beitritt förderte das Wirtschaftswachstum. Dafür verantwortlich war unter anderem, daß es nun für die Kandidaten galt,  die Kopenhagener Kriterien zu verwirklichen, vor allem Marktwirtschaft zu organisieren.

Die EU-Mitgliedschaft am 01.05.04 brachte dann für die Beitrittsländer den unmittelbaren Zugang zu einem Markt von beeindruckender Größe. Dieser Zugang war verbunden mit der Einführung der Binnenmarktregeln, mit mehr Wettbewerb, Liberalisierung, Handel und Investitionen, sowie einer gemeinsamen Währung oder die Vorbereitung darauf. Den neuen Mitgliedern wurde der Zugang zu EU-Haushaltsmitteln von beträchtlicher Höhe ermöglicht.

Das alles war verbunden mit vielen positiven Auswirkungen auf die neuen Mitgliedsstaaten und deren wirtschaftliche und politische Entwicklung. Die 15 bisherigen EU-Mitglieder verzeichneten ebenfalls erheblich positive Auswirkungen durch den Beitritt  der Neumitglieder am 01.05.04. Allerdings blieb der Effekt hier geringer als bei den Beitrittsländern, die schließlich von einem weit geringeren Niveau aus starteten.

Man bezeichnete die Erweiterung vor zwei Jahren als eine Erweiterung „auf einen Schlag“ („Big-Bang“- Erweiterung). Die nachfolgenden Grafik  zeigt  die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der neuen Mitgliedsstaaten im Verhältnis zu ihrer Bevölkerung in den Jahren der Vorbereitung auf den Beitritt und unmittelbar nach dem Beitritt bis 2005. Außerdem die geschätzte Entwicklung der Jahre 2006 und 2007. Die Vergleichszahlen zum BIP in Deutschland, in der EU insgesamt und in den USA zeigen auf, wo die Beitrittsländer nach zwei Jahren stehen, und wie ihre Entwicklung weitergehen wird. Auch die Entwicklung der drei Beitrittskandidaten Bulgarien, Kroatien und Rumänien ist in dieser Grafik als Prognose bereits enthalten.

Bruttoinlandsprodukt

In einer zweiten Grafik wird die Entwicklung der Arbeitsproduktivität dargestellt. Dabei fallen als Kernpunkte des Aufholens gegenüber der „alten“ EU mit 15 Mitgliedstaaten (EU 15) vor allem die hohen Produktivitätssteigerungen der Neumitglieder auf. Im letzten Jahrzehnt hatten diese Länder insgesamt auch ein höheres BIP-Wachstum als die EU-15.

Arbeitsproduktivität

Seit der Osterweiterung der EU kommt zu einem verstärkten Wettbewerb der neuen Mitgliedsstaten mit den Ländern der E 15 vor allem aufgrund von Kostenvorteilen. Dies ist auch gegenüber asiatischen Staaten der Fall. Die neuen EU-Mitglieder liegen aber geographisch sehr viel näher. Es kommt häufiger zu  Produktionsverlagerungen in die neuen EU-Länder und auch zu ganzen Betriebsabwanderungen.

„Per saldo verschwinden trotz Produktionsverlagerungen und Betriebsabwanderungen keine Arbeitsplätze“.

Unternehmen in den neuen Mitgliedsstaaten haben neben Kostenvorteilen aber auch noch immer Effizienzprobleme. Außerdem zusätzliche Kosten, da sie investieren müssen, um den EU-Vorschriften zu entsprechen. Ausgelagerte und ansässige Unternehmen in den neuen EU-Ländern können andererseits ihre Stärken gegenseitig nutzen: die niedrigen Arbeitskosten, das neue technische Know-how, das ins Land fließt, die höhere Effizienz der Betriebe aus dem Westen, Kenntnis der lokalen Märkte durch die ansässigen Unternehmen und einen verschärften Steuerwettbewerb mit den Staaten der EU 15.

Die westlichen EU-Länder, insbesondere Deutschland, sind nicht zuletzt deshalb sehr aktiv auf den Märkten der neuen Mitgliedstaaten. Dabei überwiegen gerade in Deutschland die Vorteile ganz offenkundig. Per saldo verschwinden trotz Produktionsverlagerungen und Betriebsabwanderungen keine Arbeitsplätze, sondern es entstehen neue Märkte und damit neue Absatzchancen für Produkte, was per se auch zu neuen Arbeitsplätzen führt.

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Willem Noë ist Mitglied der Vertretung der EU-Kommission in Berlin. Der Artikel gibt die persönliche Meinung des Autors wieder und nicht notwendigerweise die der Europäischen Kommission.

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