„In der Volksrepublik entsteht eine pluralistische Gesellschaft“CHINA

„In der Volksrepublik entsteht eine pluralistische Gesellschaft“

Ministerialdirektor Dr. Volker Stanzel vom deutschen Auswärtigen Amt nimmt Stellung zur kunftigen Entwicklung Chinas, seiner Rolle in der internationalen Politik, den Beziehungen zu den USA sowie den Staaten Asiens und Europas. Volker Stanzel ist Leiter der politischen Abteilung 3 des Auswärtigen Amtes, zuständig fur vier Weltregionen: Naher und Mittlerer Osten, Afrika, Lateinamerika, Asien und Pazifik.

Von Hans Wagner

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Dr. Volker Stanzel
 

Eurasisches Magazin: In Peking fanden Mitte Oktober viertägige Beratungen des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei statt. Es fiel auf, daß Generalsekretär Hu Jintao in seiner programmatischen Rede innerhalb von zwei Sätzen gleich achtmal von Demokratie sprach. Werden der Bevölkerung in China zukünftig größere politische Mitspracherechte eingeräumt?

Volker Stanzel: Dies ist ein langsamer Prozeß. Der Gebrauch des Wortes „Demokratie“ - mit welcher Definition eigentlich? - ist da noch nicht unbedingt ein Indiz. Der chinesischen Bevölkerung wachsen jedoch, auch ohne daß dies unbedingt gezielt von der Führung gesteuert würde, größere politische Mitspracherechte zu. Die Ursache findet sich insbesondere im steigenden Bildungsniveau größerer Bevölkerungskreise und dem sich damit ändernden gesellschaftlichen Verhalten, in der zunehmenden Erfahrung mit der Regelung politischer Fragen im Ausland und schließlich in der im Zuge der Wirtschaftsreformen wachsenden Möglichkeit, in wirtschaftlichen Dingen mitzureden, woraus sich der Wunsch entwickelt, dies auf die politische Sphäre zu übertragen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Ansätze der chinesischen Führung, auf unterster kommunaler Ebene größere Transparenz bei den Wahlen dort einzuführen.

EM: Während der Beratungen wurde ein Strategiepapier der Regierung veröffentlicht, in dem China den weiteren Ausbau seiner Beziehungen zur EU ankündigte. Das Verhältnis sei schon jetzt besser als je zuvor, keine Seite stelle für die andere eine Bedrohung dar. Es wäre deshalb an der Zeit, das Waffenembargo gegen China aufzuheben, das nach dem Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens 1989 von der damaligen EG verhängt wurde. Wäre das ein letzter Schritt zur Normalisierung der Beziehungen?

Stanzel: Wir sollten die Bedeutung von Waffenhandel als Zeichen der Normalisierung zwischen Staaten nicht überschätzen. Die Bundesregierung versucht ohnehin und grundsätzlich, Rüstungsexporte generell einzuschränken.

In seinen Erwartungen an die EU zeigt sich das berechtigte Selbstvertrauen Chinas

EM: Am 30. Oktober findet in Peking ein EU-China-Gipfel statt. In dem erwähnten Strategiepapier heißt es dazu, China erwarte, daß die EU vom derzeit drittgrößten zum größten Handelspartner der Volksrepublik heranwachse und auch bei Investitionen die führende Rolle einnehmen werde. Ist diese deutliche Aufforderung zur Partnerschaft in Zeiten erheblicher wirtschaftlicher Spannungen Chinas mit den USA als eine Art Bündnisangebot zu verstehen?

Stanzel: Die „erheblichen wirtschaftlichen Spannungen“ zwischen China und den USA erkenne ich nicht. Es gibt derzeit eine kontroverse Diskussion zwischen beiden Seiten über die Notwendigkeit, den Yuan aufzuwerten. Davon abgesehen, sehen beide Seiten sehr deutlich die Vorteile, die stärkere wirtschaftliche Beziehungen für sie haben. Das Gleiche gilt für die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und China. Wenn China hier größere Erwartungen an die EU ausdrückt, dann zeigt sich darin das berechtigte Selbstvertrauen Chinas und die Gewißheit, von einer Ausweitung der wirtschaftlichen Verflechtung des Landes so wie bisher oder eher noch mehr, zu profitieren. Diese Sicht teilt die EU.

EM: In Ihrem Buch „Chinas Außenpolitik – Wege einer widerwilligen Weltmacht“ kommt an verschiedenen Stellen zum Ausdruck, daß die USA in China eine wachsende wirtschaftliche und militärische Bedrohung sehen. Sie möchten offenbar das Land unter allen Umständen in der Rolle eines riesigen Absatzmarktes für ihre Produkte halten. Die Europäer entwickeln dagegen ein geradezu partnerschaftliches Verhältnis. Wie kann man diese Unterschiede erklären?

In den USA verändert sich die Wahrnehmung Chinas je nach aktueller Lage der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen

Stanzel: Wenn ein Land, so wie China derzeit, rasch an weltwirtschaftlicher Bedeutung gewinnt, dann sind damit notwendig immer auch Risiken der Verdrängung für die bisherigen Spieler auf dem Platz verbunden. Genauso gibt es aber auch neue Chancen. Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß in den USA die Wahrnehmung Chinas sich je nach aktueller Lage der bilateralen Wirtschaftsbeziehungen verändert. Europa ist durch die dynamische Entwicklung Chinas zwar auch in hohem Maße berührt, jedoch nicht wie USA, die immerhin eine pazifische und gerade auch im westlichen Pazifik engagierte Macht sind.

EM: Kürzlich hat die Volksrepublik bekanntgegeben, sie wolle sich am europäischen Satelliten-Navigationssystem Galileo beteiligen. In Brüssel hofft man bereits, mit dem chinesischen Einstieg könnten auf Dauer lukrative Aufträge für die europäische Rüstungsindustrie verbunden sein. Wenn ein Land sich für Galileo entscheide, dann entscheide es sich auch für Militärtechnologie, die damit kompatibel ist. Ist das realistisch?

Stanzel: Galileo, genauso wie GPS, ist grundsätzlich auch militärisch nutzbar; dies ist aber nicht der primäre Einsatzzweck. Daß die Rüstungsindustrie aus ihrer eigenen Interessenlage heraus besondere Erwartungen mit den Entscheidungen Chinas verbindet, dürfte selbstverständlich sein.

EM: Im Juni fand ein mehrtägiger Staatsbesuch des indischen Ministerpräsidenten Atal Behari Vajpayee in Peking statt. Dabei wurde betont, auch China und Indien seien Partner, keine Feinde. Zum Ärger der USA traten beide Länder außerdem für eine multipolare Welt ein, genau wie Rußland und die EU. Bildet sich hier eine gemeinsame geopolitische Doktrin der Staaten Eurasiens heraus?

Stanzel: Ich sehe im Konzept einer multipolaren Welt keine „geopolitische Doktrin“ der EU. Selbst so, wie dieses Konzept insbesondere von chinesischer Seite noch immer - aber sehr viel weniger prononciert als Mitte der 90er Jahre - seitens Chinas vertreten wird, reflektiert es eher den Wunsch, eine gewisse Unabhängigkeit vom – scheinbar - einzigen „Pol“, den USA , auszudrücken als eine strategische Handlungsanleitung für die Politik der sich zu dem Konzept bekennenden Staaten.

EM: China entwickelt sich mehr und mehr zum Gravitationsfeld für ganz Südostasien. Die ASEAN-Länder rücken nicht nur wirtschaftlich enger an die Volksrepublik heran, sondern auch politisch. Trägt das zur Stabilität dieser Region bei?

Stanzel: Wie sich auf dem jüngsten ASEAN + 3-Gipfel gezeigt hat, rücken beide Seiten aneinander heran - China beispielsweise übernahm dezidiert ASEANs Burma-Position -. Daß Staaten, die wirtschaftlich mehr und mehr miteinander verflochten sind, auch politisch den gleichen oder ähnlichen Zielen folgen, ist im Interesse der Stabilität der Region. Wir sollten diese Entwicklung daher begrüßen, unterstützen und fördern.

EM: Nun ist China auch in der bemannten Raumfahrt der Durchbruch gelungen. Mit dem erfolgreichen Start des „Göttlichen Schiffs“ („Shenzou V“), das von der Trägerrakete „Langer Marsch“ ins Weltall transportiert wurde, hat sich die Volksrepublik einen Platz unter den technologisch führenden Nationen erobert. Was bedeutet dieser Erfolg für China?

China ist in der Raumfahrt zu den gleichen Leistungen fähig wie die USA und Rußland

Stanzel: Es ist in erster Linie ein psychologischer Erfolg. China zeigt damit, daß es zu den gleichen Leistungen in der Lage ist, wie die USA und Rußland - bzw. die ehemalige Sowjetunion. China erfüllt damit immer mehr die Erwartungen, die die Welt an das Land richtet, genauso wie es selbst auch.

EM: Welche Rolle wird China in den kommenden Jahren in der internationalen Politik spielen - gibt es, wie in den USA behauptet wird, einen chinesischen Nationalismus und eine expansive Strategie des Reiches der Mitte?

Stanzel: Es gibt in den USA, wie unter Chinaexperten überall, zahlreiche Meinungen über die Intentionen und die künftige Entwicklung Chinas. Was sicher feststeht, ist, daß China sich im Zuge seiner Modernisierung auch im Hinblick auf seine Intentionen zunehmend ausdifferenziert – eine „pluralistische“ Gesellschaft wird. Das bedeutet: Es gibt Nationalismus in China, es gibt die Vertreter expansiver Strategien, es gibt auch immer noch die Verfechter traditioneller sozialistischer Vorstellungen, es gibt auch isolationistische oder eine Verwestlichung befürwortende Stimmen. Entscheidend ist das, was wir in den letzten Jahren beobachten: Eine zunehmend proaktive Außenpolitik Chinas im modernen Sinne, d.h.: China hat seine frühere agressive Rhetorik hinter sich gelassen und bemüht sich, die Probleme außerhalb seiner Grenzen, die es direkt berühren, auf diplomatischem Wege einer Lösung zuzuführen. Ein Beispiel hierfür sind die Bemühungen Chinas, ein Forum für die Sechs-Parteiengespräche über Nordkorea zur Verfügung zu stellen und zu einem positiven Ergebnis beizutragen. Ein weiteres Beispiel ist das Heranrücken Chinas an die politische Entwicklung und die Positionen ASEANs. Auch die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit, in der China mit Rußland und den zentralasiatischen Staaten kooperiert, versucht China seit Jüngerem, zu einer auf produktive Arbeit hin orientierten Organisation zu machen. Etwa parallel zur Zunahme des chinesischen Gewichts in der Weltwirtschaft können wir also eine Verflechtung der außenpolitischen Tätigkeit Chinas mit der Welt beobachten. Dies ist Ausdruck eines neuen Verantwortungsgefühls für das Schicksal der Welt, das wir begrüßen.

EM: Vielen Dank für dieses Gespräch.

Im Oldenburg Verlag erschien unter seinem Autorennamen Gustav Kempf das Buch von Volker Stanzel „Chinas Außenpolitik – Wege einer widerwilligen Weltmacht“. Das Eurasische Magazin hat es in seiner Ausgabe 05-03 ausführlich rezensiert.

China Interview

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