„Ach Mondlicht, ach, Steppenwind“KALMUCKIEN

„Ach Mondlicht, ach, Steppenwind“

Von Schachspielern, Tempeln, Deportationen und dem Versuch, den kalmückischen Präsidenten zu interviewen.

Von Andrea Jeska

EM – Wir kamen von Wolgograd und wollten nach Kalmückien. Seit Tagen machten mein Kollege vom Hörfunk und ich über diesen Namen Wortwitze, die eigentlich nicht komisch waren. Vielleicht waren wir ein bisschen nervös. Kalmückien. Der Name war vertraut. Nur woher? Jedenfalls hatten wir das Gefühl ans Ende der Welt zu fahren. Und so war es dann auch.

Bald nachdem wir Wolgograd hinter uns gelassen hatten, begann das landschaftliche Nichts, das schön gewesen wäre, hätten nicht rostige Fahrzeuge und bröckelnde Industrieruinen eine seltsame Obszönität verbreitet. An der Grenze, die die russische Provinz Wolgograd von der halbautonomen Provinz Kalmückien trennt, lungerten ein paar Soldaten mit mongolischen Gesichtern und hatten ihre Kalaschnikows lässig auf der Schulter drapiert. An unserem klapprigem Toyota mit Wolgograder Kennzeichen zeigten sie kein Interesse, unkontrolliert durften wir passieren.

Blaue, weiße, gelbe, rote Farbenpracht begrüßte uns. Als Bemalung der Holzhäuser, als Obst und bunte Trinkbecher an einem Straßenstand, in dessen Mitte ein dampfender Samowar stand. Scheu grinsend wagten sich ein paar Kinder in unsere Nähe, und an einem Fenster schob jemand neugierig die Gardine beiseite. Sonst rührte sich nichts im Dorf, schon gar nicht außerhalb.

Helden und Pferde im Steppenwind

Die Steppe, die so plötzlich begann, als hätten wir sie dazu aufgefordert, war weit, der Himmel - wie es sich gehört - endlos. Stunde um Stunde führte die Straße schnurstracks geradeaus, verschwand hinter Hügeln und tauchte dann am Horizont wieder auf. Es schien, als bewegten wir uns nicht vom Fleck, der Blick aus dem Fenster blieb derselbe, nur heruntergekommene Tankstellen oder Denkmäler sowjetischen Heldentums am Wegesrand gaben unserer Fahrt Bewegung. Der Steppenwind fegte durch verhungerte Büsche und fuhr uns beim Aussteigen kalt unter die Kleidung. Irgendwann hockte am Wegesrand ein Hirte mit verknittertem Gesicht und sog an einem kalten Zigarillo, während sein lahmendes Pferd sich vergebens mühte, der versprengten Schafsherde nachzuhumpeln. „Väterchen“, dolmetschte unser russischer Fahrer, „man würde Dich gerne fotografieren.“ „Fotografieren? Nicht mich. Macht ein Foto vom Pferd, dem ist das egal.“

Nach dreihundert Kilometern durch relatives Nichts kam plötzlich wieder Leben in die Steppe. Höfe wurden zu kleinen Dörfern, kleine zu großen Ansiedlungen. Hatten wir wirklich Yurten erwartet? Wilde Kamele und kriegerische Reiter? Ach, trügerische Legenden. Was wir sahen waren Häuser aus blankem Zement, die Dächer aus Wellblech. Von Mofas umknattert erreichten wir schließlich Kalmückiens Hauptstadt Elista. Die Steppenstraße zerteilte sich in viele Straßen, links und rechts standen Appartementblocks, Ladas und schiefhängende Minibusse überholten uns, von vielen Postern grinste uns das Gesicht des Präsidenten entgegen. Gleich fanden wir hilfreiche Polizisten, die uns zum einzigen Hotel der Stadt eskortierten, und so standen wir schließlich wie verlorene Helden eines schrägen Road-Movies vor einem schäbigen Bau, von Hunderten asiatischer Gesichter erstaunt beäugt, vom Steppenwind verstrubbelt.

Kirsan Ilumzhinov. Wir hatten lange für den Namen geübt, schließlich waren wir gekommen, den Präsidenten Kalmückiens zu interviewen. Ilumzhinov residiert am Leninplatz, der so öde ist wie alle Leninplätze Russlands. Um eine übergroße Statur gruppieren sich die üblichen lieblosen Bauten und Kioske mit Coca-Cola-Werbung. Vis á vis des Lenindenkmals aber, in einer geraden Linie, prangt in bunten Farben eine Pagode, daneben lächelt ein kleiner, dicker Buddha unter einem Tempeldach. Geht es nach Ilumzhinov, soll Kalmückien demnächst zum wichtigsten buddhistischen Land auf westlichem Boden werden. Der Dalai Lama war auch schon da und hat vor den Toren der Stadt einen lamaistischen Tempel eingeweiht. Nach einem halben Jahrhundert Religionsverbot aber tun sich die Kalmücken schwer, sich der Rituale ihres Glaubens zu erinnern.

Segen für zerknitterte Deutsche

Die Hüter des Regierungsgebäudes, zwei junge Burschen, rissen bei unserem Anblick die Augen auf. Von einem Interviewtermin wussten sie nichts. Nach vielen Telefonaten, in denen sie immer wieder sagten, sie hätten hier zwei zerknittert aussehende Deutsche mit lausigen Russischkenntnissen, die behaupteten, sie seien mit dem Präsidenten verabredet, gelang es ihnen, eine englischsprechende Dame namens Nadja aufzutreiben. Nadja sagte, der Präsident sei wegen dringender Angelegenheiten nicht in Elista, sie wisse aber weder, wo er sei, noch wann er zurückkomme. Außerdem wusste sie nicht, wer das wissen könnte. Wir sollten am späteren Nachmittag wiederkommen.

Als wir wiederkamen, war Nadja nach Hause gegangen. Auch sonst, sagten die Jungs vom Empfang, sei niemand mehr da. Wir verlängerten unseren Hotelaufenthalt um eine Nacht und gingen spazieren. Vor dem Buddha standen Brautpaare und ließen sich fotografieren. Das bringe Glück, erklärten sie uns. Entgegen unseren Hoffnungen – von der kalmückischen Gastfreundschaft hatten wir Sagenhaftes gehört - wurden wir nicht zu einer Hochzeitsfeier eingeladen. Dafür erhielten wir einen buddhistischen Segen von einer alten Bettlerin, der wir ein paar Rubelscheine gaben, und die uns dafür Geschichten erzählte, von denen wir nicht ein Wort verstanden. Plötzlich fanden wir Elista schön. In den Nebenstraßen scharrten Ziegen im Staub, rankten sich Rosen und Wein um kleine Holzhäuschen. Hinter großen Holztoren erklang Musik.

Den Abend verbrachten wir damit, nach einer Kneipe oder ähnlichem zu suchen. Die Stadt war nur spärlich erleuchtet, manchmal gingen die Lichter ganz aus. Von einer Erhöhung aus konnten wir bis zum Stadtrand sehen. Übergangslos begann dahinter tiefste Dunkelheit. Der Mond am Himmel sah aus wie überall, und das schien irgendwie verwunderlich.
Lange folgten wir jedem Lichtschein, doch stets war es nur ein Kiosk oder ein überdachter Spielautomat. Schließlich fanden wir ein mickriges Bierzelt gleich neben einem Kiosk mit Amuletten und Bildchen eines versunken lächelnden Dalai Lamas. Zu essen gab es getrocknete Fische, die von den Gästen der umstehenden Tische beherzt mit den Zähnen auseinandergerissen wurden.

Zwei Irre für den Präsidenten

Vor lauter Angst, den Präsidenten zu verpassen, verzichteten wir am Samstag auf das Frühstück. Noch bevor die Stadt erwachte, belagerten wir den Eingang zum Regierungsgebäude. Die Jungs von der Wache grinsten, ob erfreut oder belustigt, blieb uns verborgen. Nadja war nicht da. Der Präsident auch nicht. Wir setzten uns ungefragt, breitbeinig und mit zum Äußersten entschlossenen Mienen auf die Sofas in der zugigen Eingangshalle und begannen, den durch die zerschlissenen Bezüge quellenden Schaumstoff herauszuzupfen. Dass da zwei Irre allen Ernstes auf den Präsidenten warten, sprach sich schnell herum. Angestellte huschten mit gesenktem Kopf durch die Halle und schielten belustigt zu uns herüber.

In unserer dritten Nacht in Elista hatten wir ein Zimmer mit lauwarmem Wasser und einem Fernseher. Ilumzhinov hatten wir nicht getroffen, aber den Generalsekretär der Partei, den wir Sergej nennen durften, und der uns ein Interview am Montagmorgen versprach. Außerdem siedelte er uns nach Chess City um. Ilumzhinov, der auch noch Präsident des Weltschachverbandes ist, hatte Chess City 1998 für die Gäste der Schacholympiade bauen lassen. Inzwischen ist die Ministadt, die aus zwölf Straßenzügen mit in Wohnungen unterteilten Reihenhäusern und einem Gemeinschaftszentrum besteht, schon wieder ein wenig verfallen. Demnächst allerdings soll dort ein Schachmuseum entstehen, in dem die Geschenke ausgestellt werden, die der kalmückische Präsident von seinen Schachbrüdern aus aller Welt erhielt. Der Versuch, Bewohner für die Reihenhausappartements zu finden, ist offenbar gescheitert, jedenfalls waren wir ziemlich allein. An der Wand unseres Appartements hing ein Teppich, den ein arabischer Scheich gebracht hatte, der ursprünglich dort einziehen wollte, es dann aber doch sein ließ. Vielleicht, weil er wie wir auch herausfand, dass Elista zwar Weltschachstadt werden soll, die wenigsten Kalmücken indes das Hobby ihres Präsidenten teilen. Wir trafen keinen, der Schach spielte.

Den Abend verbrachten wir mit Sergej bei einer kalmückischen Tanzveranstaltung, anschließend gingen wir essen. Bei Hammelsuppe mit Innereien, Hammelbraten und Buttertee erzählte Sergej traurige Geschichten über die Deportation der Kalmücken nach Sibirien unter Stalin. Manchmal hatten wir Mühe ihn zu verstehen, da die Musik aus dem Lautsprecher ohrenbetäubend war und auf der Tanzfläche zwei betrunkene Frauen kreischten. Zum Abschied küsste Sergej uns auf die Wangen. Zurück in unserer Wohnung sahen wir „Stirb langsam“ auf russisch.

Fußballspiel und Sonnenblumenkerne

Elista wurde uns mit jedem Tag vertrauter und auch wir wurden den Elistern vertraut. In den Straßen riefen die Kinder uns „Deutsche, Deutsche“ nach. Wir hatten Irina kennengelernt, die das kalmückische Museum leitet und jede Frage zu Geschichte und Kultur beantworten konnte. Wir stritten uns mit Nyudla, die allein ihren Sohn großzog, von einer Karriere in England, Deutschland oder Irland träumte und unser Mitleid mit den Tschetschenen unglaublich dumm fand. Wir hatten Kaffee und Filtertüten, Brot und Tütensuppen gekauft und bereiteten ihr in unserer Wohnung ein kärgliches Mahl, während sie über die terroristischen Ambitionen Tschetscheniens schimpfte.

Die Rückkehr des Präsidenten ließ auf sich warten. Sein Pressesprecher wollte unterdessen wissen, welche Art von Fragen wir zu stellen gedenken. Wir sagten, wir möchten beispielsweise erfahren, was der Präsident zu den Vorwürfen der Wahlmanipulation meint? Und was er unter „Gesetz der Steppe“ verstünde? Woher der Präsident seinen Reichtum habe? Wie Kalmückien aus der wirtschaftlichen Misere finden will, ob es am Öl des kaspischen Meeres beteiligt würde?

Schließlich kam Kirsan Ilumzhinov doch. Um die Mittagszeit brauste er in einem Chrysler, von Polizeiwagen eskortiert, in der Hauptstadt ein. Zur Annäherung durften wir in der Präsidentenloge des Fußballstadions dem Spiel zwischen der kalmückischen Mannschaft Uralan und dem Zweitligisten aus Jaroslavl zusehen. Dabei kauten wir wie die anderen Zuschauer Sonnenblumenkerne und spuckten die Spelzen auf den Boden. Kirsan Ilumzhinov saß eine Reihe vor uns, kaute keine Kerne, würdigte uns allerdings auch keines Blickes. Das hätte uns zu denken geben sollen. Er und seine bulligen Bodyguards verschwanden, noch bevor der Schiedsrichter abpfiff. Wir sollten ihn nicht mehr wiedersehen.

Der Präsident habe Elista schon wieder verlassen, sagte man uns später, viel später an diesem Abend, als wir endlich Ungeduld zeigten. Übermorgen vielleicht. Darauf konnten und wollten wir nicht warten, zumal wir inzwischen überzeugt waren, die Welt wolle eigentlich nicht wissen, wie die Mehrheitsverhältnisse im kalmückischen Parlament zustande kommen.

Als wir in jener Nacht durch die Steppe fuhren, fort aus Kalmückien, zwinkerten die Lagerfeuer ferner Hirten wie Irrlichter. Durch die Fensterscheiben pfiff der Steppenwind und klang, als lache er sich eins ins Fäustchen .

Russland

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