Am Tag der Staatsflagge gehen nur wenige Russen auf die StraßeRUßLAND FEIERT SEINE TRIKOLORE

Am Tag der Staatsflagge gehen nur wenige Russen auf die Straße

Der erste Präsident des neuen Rußlands, Boris Jelzin, machte den 22. August zum Feiertag fur die alte Zarenfahne – die Gedenkzuge werden kleiner, aber das rote Sowjetbanner wunscht sich nur noch eine Minderheit zuruck

Von Hartmut Wagner

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EM - Boris Jelzin auf einem Panzer vor dem Weißen Haus an der Moskwa – ohne Zweifel ist das einer der dramatischsten Augenblicke in der kurzen Geschichte der Russischen Föderation. Der spätere erste vom Volk gewählte Präsident Rußlands stellte sich damals an die Spitze des Widerstandes gegen den Putschversuch konservativer kommunistischer Kräfte. Nach dreitägigen Kämpfen, am 22. August 1991, kam der Aufstand schließlich zum Erliegen. Zu einem Massaker, wie zwei Jahre zuvor auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, war es nicht gekommen. Auf dem Weißen Haus – damals Sitz der sowjetischen Volksvertretung, heute Hauptgebäude der russischen Regierung – wurde die sowjetische Fahne eingeholt und die weiß-blau-rote Trikolore des einstigen russischen Zarenreiches gehißt.

Drei Jahre später bestimmte Boris Jelzin den 22. August zum „Tag der Staatsflagge der Russischen Föderation“. Zum traditionellen Treffen am Weißen Haus kamen dieses Jahr aber nur sehr wenige Menschen. Organisator ist die Gesellschaftlich-Vaterländische Vereinigung „Otrjad Rossija“ (Einheit Rußland). Ihr Vorsitzender Wladislaw Krajnik erinnert sich an die stürmischen Tage und Nächte des gescheiterten August-Putsches: „Jeder wußte genau, wenn wir hier unterliegen würden, bedeutete das unseren sicheren Tod. Wir wurden von den sowjetischen Sicherheitsorganen natürlich genau beobachtet, als wir die Straßenbarrikaden errichteten. Wären wir damals gescheitert, stünde ich heute wohl nicht hier.“ Aus dem Stand kann er die fast dreieinhalb Jahrhunderte lange Geschichte der russischen Trikolore erzählen, die er „Flagge des Volkes“ nennt. Wie sie im Jahr 1669 von der Bojaren-Duma vorgeschlagen wurde, wie Peter der Große sie mit auf seine Reise nach Holland nahm und wie er sie im Jahr 1705 endgültig zum Symbol des Russischen Reiches machte

Um die Bedeutung der Farben ranken sich viele Deutungsversuche

Um die Bedeutung der Farben der russischen Trikolore ranken sich viele Deutungsversuche. Eine weitverbreitete Version besagt, die Fahne symbolisiere die Einigkeit der drei ostslawischen Völker – weiß steht für Weißrußland, blau für die Ukraine und rot für Rußland. Andere meinen, der weiße Streifen bedeute Reinheit und Edelmut, der blaue Glaube und Treue und der rote Macht und Tapferkeit.

Schließlich formierten sich die Versammelten am Weißen Haus zum Gedenkmarsch. An der Spitze eine Militärkapelle mit laut-schmetternder Marschmusik. Gefolgt von der Otrjad Rossija und einer etwas größeren Gruppe junger Parteigänger der „Union rechter Kräfte“. Ziel ist die eine Ecke weiter gelegene Kreuzung zwischen Neuem Arbat und dem Gartenring. Im Tunnel unterhalb des Verkehrsknotenpunkts kamen während der Kämpfe um das Weiße Haus drei junge Menschen ums Leben: der Afghanistan-Veteran Dmitrij Komar, der Arbeiter Wladimir Usow und Ilja Kritschewskij, Architekt und Dichter. Ihnen gedachte man tags zuvor auf dem Wagankowskoe-Friedhof. Unter den sanften Klängen von Robert Schumanns „Träumerei“ legte eine Ehrengarde der Armee drei Kränze auf die Gräber der Todesopfer. „Den Verteidigern des freien Rußlands“ war auf den Bändern der Blumemgestecke zu lesen.

Auf dem Neuen Arbat endete schließlich der Gedenkzug. Zur Erinnerung an die Augusttage vor zwölf Jahren hißte man die russische Fahne am Gedenkstein der drei Gefallenen. Doch der Höhepunkt der Veranstaltung vermochte es nicht die Stimmung zum Wallen zu bringen. Den Versammelten war weder zur Freude über den errungen Sieg, noch zum Trauern um die Toten von damals zu Mute. Ratlosigkeit war das vorherrschende Gefühl. Ratlosigkeit über die geringe Aufmerksamkeit, die der „Tag der Flagge“ in Rußland erfährt. „Noch vor fünf Jahren tummelten sich hier mehrere Tausend Menschen. Und auch der Umzug wird von Jahr zu Jahr kürzer,“ klagt eine ältere Dame. Die Redebeiträge der anschließenden Kundgebung sind alles andere als feurig, eher routiniert. Jan Guntschikow (Union rechter Kräfte) wies noch darauf hin, daß sich hier zwar nur wenige Menschen eingetroffen hätten, der heutige Tag aber im ganzen Land feierlich begangen werde. Aber auch das konnte nicht verhehlen, daß der „Tag der Flagge“ nur für eine Minderheit der Russen ein Grund zum Feiern ist.

Laut einer aktuellen Umfrage der „Romin-Monitoring“ erfreut sich die russische Fahne inzwischen jedoch verhältnismäßig großer Zustimmung. Annähernd zwei Drittel der Russen betrachten die russische Trikolore, die gemäß den Anfangsbuchstaben ihrer drei Farben im Volksmund auch „Besik“ genannt wird, als die beste Wahl aus dem Fundus der russischen und sowjetischen Flaggengeschichte. Das rote Sowjetbanner wünscht sich heute nur noch ein Viertel der Bevölkerung als Staatsfahne zurück.

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