Anschlag auf die EliteRUSSLAND

Anschlag auf die Elite

Nur mühsam verdeckt der Kreml seine Nervosität nach dem Bombenanschlag auf den Schnellzug Moskau - St. Petersburg. Unter den Toten waren auch hohe Beamte. Radikale Islamisten oder Rechtsradikale werden als Täter vermutet.

Von Ulrich Heyden

R ussland lebt wieder in Terror-Angst. Notstands-Minister Sergej Schojgu gab die Opferzahlen des Bombenanschlages auf den Newski-Express bekannt. Auf den Luxus-Schnellzug, der auf der Strecke Moskau-St. Petersburg verkehrt wurde am Freitagabend ein Bombenanschlag verübt. 25 Menschen wurden getötet, 26 Personen werden vermisst. 92 Verletzte befinden sich noch in Krankenhäusern, davon 20 Schwerverletzte. Viele Leichenteile müssen noch identifiziert werden. Die offizielle Zahl der Toten ist vermutlich also nicht endgültig. Unter den Toten sind hohe Beamte, wie der Leiter der russischen „Staatsreserve“, Boris Ewstratikow und der ehemalige Senator von St. Petersburg, Sergej Tarasow.

Explosion in fast menschenleerem Gebiet

Der Newski-Express raste am Freitagabend von Moskau kommend mit 682 Passagieren an Bord durch ein Waldgebiet im Bereich Twer, als es plötzlich einen Knall gab. Der Zug wurde nach Aussagen von Augenzeugen heftig geschüttelt und kam dann nach einer scharfen Notbremsung in der Nähe des Dorfes Chmelewka zum Stehen. Von den 14 Waggons entgleisten drei. Die Ermittler des Geheimdienstes fanden unter einem zerborstenen Gleis die Überreste einer Bombe mit einer Sprengkraft von sieben Kilogramm. Die Explosion war – so ein Mitarbeiter des russischen Geheimdienstes gegenüber der Internetzeitung gazeta.ru - mittels eines speziellen Mechanismus über die Räder der Lokomotive ausgelöst worden. Das Gebiet um den Unglücksort ist weitgehend unbewohnt. Das hat es den Attentätern offenbar leicht gemacht. Genau auf diese Art war auf den Newski Express vor zwei Jahren schon einmal ein Anschlag verübt worden. Damals waren zum Glück jedoch keine Passagiere zu Schaden gekommen.

Als Suchtrupps unter Leitung von Aleksandr Bastyrkin, dem Leiter des russischen Ermittlungskomitees, den Unglücksort absuchten, explodierte noch eine zweite Bombe. Nur durch Zufall wurden niemand verletzt. Der Chef der russischen Eisenbahn, Wladimir Jakunin, der am Unglücksort die Rettungsarbeiten überwachte, versprach den Familien Entschädigungen von 4.600 Euro (für Verletzte) und 11.600 Euro (für getötete Angehörige). Am Sonntag wurde der Verkehr auf der 700 Kilometer langen Strecke Moskau-St. Petersburg wieder vollständig aufgenommen.

Operation der Verletzten direkt am Bahndamm

Der Unglücksstelle war ein Ort des Grauens. Augenzeugen berichteten, dass aus den schwer zerstörten und entgleisten Waggons Schreie und Stöhnen nach Außen drangen. „Wir sahen die Körper der Toten. Das war furchtbar – ein kompakter Brei“, berichtete die Passagierin Irina gegenüber der Komsomolskaja Prawda. Auf der Bahnstrecke lagen Leichen, blaue Sessel des Newski-Express, Kleidungsstücke und Koffer verstreut. Unverletzte Passagiere aus dem Hauptteil des Zuges begannen Verletzte auf Matratzen aus den schwer beschädigten und entgleisten Waggons zu bergen. Rettungstrupps trafen erst eineinhalb Stunden nach dem Unglück ein. Weil der Unglücksort nur über einen fünf Kilometer langen Feldweg zu erreichen war, mussten die Ärzte Verletzte direkt am Bahndamm operieren.

Rechtsradikale oder Islamisten?

Im Internet tauchte ein Bekennerschreiben der rechtsextremen Gruppe „Combat 18“ auf. Die Zahl steht für die Initialen Adolf Hitlers. Der Krieg habe jetzt erst begonnen und werde jeden Bürger treffen, heißt es in der Erklärung. Offizielle Stellen kommentierten die Erklärung nicht. 2005 hatten Rechtsradikale bereits einen Anschlag auf den Zug Grosny-Moskau verübt. 15 Passagiere, darunter viele Tschetschenen, waren damals verletzt worden.

Die staatlichen Ermittler vermuten hinter dem Bombenanschlag gegen den Newski Express offenbar islamistische Attentäter. Der russische Fernsehkanal Vesti berichtete, Organisator des Bombenanschlags vom Freitag sei vermutlich der radikale Islamist Pawel Kolosapow, der auch für den ersten Anschlag auf den Newski Express im Jahre 2007 verantwortlich sein soll. Der russische Innenminister Raschid Nurgalijew beschrieb den Hauptverdächtigen als „etwa 40jährig mit stämmiger Statur und roten Haaren“.

Krisenstab einberufen

In Russland gab es in den letzten Jahren immer wieder Terroranschläge und auch Geiselnahmen, mit teilweise weit höheren Opferzahlen. Doch der Anschlag auf den Luxus-Zug „Newski-Express“ hat eine besondere Note. Es war ein Anschlag auf die russische Elite, die den Zug vorwiegend benutzt und faktisch auch ein Anschlag auf ein wichtiges deutsch-russisches Eisenbahnprojekt. Ab 18. Dezember soll der von Siemens gelieferte ICE „Sapsan“ („Wanderfalke“) auf der 700 Kilometer langen Strecke zwischen Moskau und St. Petersburg seinen Betrieb aufnehmen. So war es nicht verwunderlich, dass der russische Präsident Dmitri Medwedjew den Notstands- und den Innenminister, den Chef der russischen Eisenbahn und Mitglieder der Präsidialverwaltung zu einer Krisen-Sitzung in den Kreml rief. Medwedjew rief die Bevölkerung zur Ruhe auf. „Wir können kein Chaos gebrauchen, denn die Situation ist schon so angespannt genug“, erklärte der Präsident.

Vorbote einer neuen Terrorwelle?

Beobachter fragen sich jetzt: Steht Russland vor einer neuen Welle des Terrors? Die Journalistin Julia Latyninia von der Novaya Gazeta glaubt, dass hinter dem Bombenanschlag Rechtsradikale oder Wahabiten (radikale Islamisten) stehen. Mit Beginn des zweiten Tschetschenien-Kriegs (1999 bis 2003) hatten radikale Islamisten Moskau und andere russische Städten mit zahlreichen Terroranschlägen und Geiselnahmen überzogen. Nach Meinung von Latyinina, wird es in Inguschetien und Tschetschenien wegen „Säuberungsaktionen“ zurzeit eng für radikale Islamisten. Eng wird es nach Meinung der Journalistin auch für manche Rechtsradikale. Vor kurzem wurden Nikita Tichonow und Jewgeni Chasis, die vermutlichen Mörder von Rechtsanwalt Stanislaw Markelow und der Journalistin Anastasija Baburowa, gefasst. Die Verhafteten sind Mitglieder der rechtsradikalen Organisationen „Russisches Urteil“ und „Russische Lebensweise“.

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