Auf Tuchfühlung mit dem russischen GeheimdienstEURASIEN

Auf Tuchfühlung mit dem russischen Geheimdienst

Auf Tuchfühlung mit dem russischen Geheimdienst

Thomas Heinze (28) und Nico Dünkel (29) aus Rudolstadt in Thüringen haben in vier Monaten die imaginäre Linie zwischen Asien und Europa bereist, die man in der Neuzeit als „Grenze“ bezeichnet. Die Route führte sie entlang des Uralgebirges und des Uralflusses bis zum Kaspischen Meer, von dort weiter durch den Kaukasus und über das Schwarze Meer bis in die Türkei. Vom Kaspischen Meer aus unternahmen sie einen „Abstecher“ nach Zentralasien. Mitte September fand die Reise in der türkischen Metropole Istanbul ihr Ende. Sie liegt am Bosporus und damit sowohl in Europa als auch in Asien. Im Eurasischen Magazin berichten sie von der abenteuerlichen Tour. Dieses Mal: Der südliche Ural und Kasachstan.

Von Thomas Heinze

E ach einer letzten Etappe auf dem gewaltigen russischen Strom Ob fuhren wir mit einem Tragflächenboot nach Priobje. Ab hier ging es mit dem Zug weiter. Auf einer eintägigen Fahrt berichtete uns ein usbekischer Arzt von einem Bergdorf. Es liege in der Nähe des Gebirgskamms und es gäbe dort sogar Wege im Wald. Dies sei hier ziemlich ungewöhnlich, da Mücken jeden Aufenthalt im Wald so unerträglich machen, dass es niemanden einfallen würde, ohne triftige Gründe in den Wald zu gehen. Wir aber haben einen guten Grund: Wir wollen auf dem Gebirgskamm und damit auf der Kontinentgrenze stehen. Wir reisen also per Zug, Bus, Anhalter und Taxi auf abenteuerlichen Trassen bis in dieses extrem abgelegene Dorf.

Als wir uns bei einer Tasse Tee schon auf die kommende Tour freuen, fährt ein roter Niva vor, und zwei stämmige in Zivil gekleidete Männer befragen uns nach den Papieren. Trotz unserer mageren Sprachkenntnisse wird ziemlich schnell klar, dass wir den russischen Geheimdienst FSB - Nachfolger des gefürchteten KGB - vor uns haben.  „Militärisches Sperrgebiet“, hörten wir aus den Worten heraus. Unsere guten Fotoapparate und der Laptop für die digitalen Bilder kommen den Herren äußerst suspekt vor. Wir werden daher kurzerhand aufgefordert, mit in den Stützpunkt zum Verhör zu kommen. Die unmöglich gewordene Bergtour ist inzwischen unsere kleinste Sorge. Mehrere Stunden fahren wir ungewissen Entwicklungen entgegen. Die FSB-Männer sind wenig mitteilsam, lassen aber durchblicken, dass am Ende jeglicher Befragung nur eine sofortige Ausweisung nach Deutschland stehen kann.

Man glaubt uns schließlich doch, dass wir Abenteurer sind und keine Spione

Wir werden zum Zweck unseres Aufenthalts mehrere Stunden getrennt verhört. Alle Erklärungsversuche stoßen zunächst auf Unglauben. Ich zeige dem strengen Beamten stundenlang Fotos von der bisherigen Reise, weise die Route minutiös nach, erkläre tretmühlenartig Sinn und Zweck der Tour. Wie durch ein Wunder lässt sich der Geheimdienst dann doch überzeugen, dass wir keine Staatsspione, sondern lediglich harmlose Abenteuertouristen sind. Dennoch müssen wir eine saftige Geldstrafe zahlen und bekommen einige Auflagen mit auf den Weg, über deren Details wir zu Stillschweigen verpflichtet sind. Nach sieben Stunden Verhör und einem Ritt durch die russische Bürokratie kommen wir wieder frei.
Heilfroh, nicht aus Russland ausgewiesen zu werden, machen wir uns zügig aus dem Staub und reisen über das Uralgebirge hinweg ins europäische Kungur, wo wir eine Eishöhle bestaunen. Nahe Perm besuchen wir die Überreste des erst 1988 geschlossenen Gulag „PERM 36“. Im Dokumentationszentrum werden wir mit den grausamen Fakten des Gulag-Systems konfrontiert: 20 Millionen Tote, weniger als zehn Prozent Überlebende, zwei Jahre durchschnittliche Lebenserwartung. Eine Ehefrau konnte sich vom Moment der Inhaftierung ihres Mannes faktisch als Witwe betrachten.

In Jekaterinburg ist der Wirtschaftsaufschwung unübersehbar

Weiter geht es in Russlands drittgrößte Stadt Jekaterinburg. Der russische Wirtschaftsaufschwung ist hier unübersehbar. Überall wird gebaut: Bürohochhäuser und Hotels vor allem. Die Straßen dagegen bekommen selten eine Renovierung. Um die Stadt herum stampfen meist ausländische Investoren im Monatstakt neue Einkaufszentren aus dem Boden. Als wir uns durch das Verkehrschaos arbeiten, meint unser Taxifahrer Viktor: „Ihr habt Glück, heute am Wochenende ist nur wenig Verkehr. Es werden jede Woche mehr Autos und die Straßen werden wöchentlich schlechter.“

Unser nächster Etappenort Magnitogorsk ist ein Zentrum der russischen Rüstungs- und Schwerindustrie. Im „Park des Sieges“ bestaunen wir bei schönstem Abendlicht eine gewaltige Gedenkstätte für die Opfer des Zweiten Weltkriegs: Zwei 15 Meter hohe  Metallarbeiter, die ein riesiges Schwert stemmen. Dies symbolisiert die Rolle von Magnitogorsk im Zweiten Weltkrieg, als es Waffenschmiede für die Rote Armee war.

Magnitogorsk – ein Bild wie aus der Apokalypse

Mit Einbruch der Dunkelheit gibt das „Metallurgische Kombinat Magnitogorsk“ mit seinen Hunderten von Dreckschleuder-Schornsteinen fast ein apokalyptisches Bild ab: Der Himmel ist vom Qualm niedrig und düster. Aus dem Werkskomplex leuchten gewaltige Flammen. Als die Nacht hereingebrochen ist, scheint der Moloch aus Stahl und Beton zu brennen.

An unserem letzten Tag in Magnitogorsk feiert das Rüstungszentrum zufällig seinen 75. Geburtstag. Die halbe Stadt tanzt zu Discomusik und wartet auf den Höhepunkt des Abends. Kurz vor Mitternacht beginnt „Dr. Alban“ unter tosendem Applaus seine „legendarnij Schow“. In meinen Augen war die Show alles andere als legendär. Erst als nach „It’s my Life“ endlich das Feuerwerk losbrach, flammte auch in mir Begeisterung auf. Eine halbe Stunde lang krachte es nur knapp über den Köpfen der Zuschauer. Das ist beeindruckender als unsere Feuerwerke mit Sicherheitsabstand. Dafür hatten alle ein paar Brandlöcher in der Jacke.

Eine nagelneue Straße führt zu Putins Skiort

Uns zieht es immer weiter gen Süden. Dem Skiressort Absakowo, unserem nächsten Etappenziel nach Magnitogorsk, stattete sogar Präsident Putin schon Besuche ab. Die nagelneue Straße habe damit natürlich nichts zu tun, beteuerte unser Busfahrer bei der Anreise. Besonderen Charme strahlt Putins Skiort nicht aus, er ist nicht viel mehr als eine Ansammlung von Unterkünften, Liften und einem traurigen Zoo.

Wir reisen daher schnell weiter nach Orsk und Orenburg, um damit Kasachstan immer näher zu kommen. Die Grenze erweist sich als wenig problemlos. Am Ende einer siebenstufigen Kontrolle wird jeder fotografiert. Unglücklicherweise steht das Fotohäuschen an einem sumpfigen Wasserlauf, so dass wir gnadenlos den Mückenattacken ausgesetzt sind. Die blutsaugende Insektenwolke brachte sogar Einheimische zum Fluchen und auch unsere Schutzcreme verhinderte einige hundert Stiche  - allein 38 an meiner linken Wade - nicht.

Herzlichkeit und Brutalität – beides gibt es in Russland zuhauf

Nach vier Stunden Grenzkontrolle stehen wir auf kasachischem Boden - und sind damit raus aus Russland. Die Kontraste in dem Riesenreich, das hinter uns liegt, sind kaum nachvollziehbar: Einerseits wird man zum Essen eingeladen und auf das Herzlichste umsorgt. Andererseits geschieht es, dass wir mit den zynischen Worten „Kommt wieder, wenn ihr richtig Russisch könnt“ aus einem Hotel in den Schneesturm raus geschmissen werden, weil wir Probleme haben, das dreiseitige Anmeldeformular auszufüllen. Fahrkartenverkäufer, Hoteliers oder Busfahrer nutzen ihre Überlegenheit nicht selten brutal aus und lassen einen buchstäblich im Regen stehen.

Ähnlich kontrastreich das russische Essen. Bei Einladungen war es klasse: Das reichhaltige Mahl begann mit den typischen Suppen Soljanka oder Borscht, als Hauptspeise wurde meist Geflügel gereicht und zum Nachtisch gab es zuckersüße Törtchen und Früchte. Doch neben der häuslichen gibt es in Russland eine öffentliche Küche, die teuer und schlecht ist. Unsere Erfahrungen reichen von total vertrocknetem Schaschlik bis hin zu halbgefrorenen Nudeln aus der Mikrowelle. Überhaupt scheint die einzige Konstante der „öffentlichen“ russischen Küche das „Pling“ der Mikrowelle zu sein. Viel wichtiger ist der Wodka: In einer Kleinstadt finden sich haufenweise Geschäfte mit Schnaps im Angebot, während man nach einer Gaststätte lange suchen muss.

Gegensätze prallen in Russland stets ohne Mittelmaß aufeinander. Die Russen wischen Nachfragen dazu mit einem ihrer Lieblingssprichwörter vom Tisch: „Man kann Russland nicht verstehen, man kann es nur lieben!“ Wir wollten aus Russland einfach nur noch raus.

Kasachstan empfing uns freundlich

Nach sechs Wochen konnten wir das Land endlich hinter uns lassen. Kasachstan empfing uns freundlicher: In der Stadt Uralsk kamen wir mit der Bahnhofswache Sergej ins Gespräch, der Soldat in der DDR war. Als er uns von seiner Zeit in der thüringischen Skatstadt Altenburg erzählt, fragen wir, ob er denn Skat gelernt hat: „Konjeschno- 18, 20, Zwo, Null“ beginnt er auf Deutsch zu reizen. Nun gibt es kein Halten mehr, wir verabreden uns zum „Skatturnier der internationalen Freundschaft“.

Wir bleiben dabei bei Bier, er genehmigt sich einen Wodka nach dem anderen. Zu später Stunde hebt er die Vorteile von Wodka hervor und warnt uns vor dem Gerstensaft: „Bier ist kein Wodka - mit Bier muss man vorsichtig machen!“ Nun wissen wir Bescheid!

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Nächste Ausgabe: Unterwegs in Zentralasien.

Die Netzadresse des Autors lautet: www.heinze-thomas.de

Fotoausstellung Reise Russland Zentralasien

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