Blick nach Osten: APEC-Konferenz 2012 in WladiwostokRUSSLAND

Blick nach Osten: APEC-Konferenz 2012 in Wladiwostok

Moskaus transatlantische Beziehungen werden von Dissonanzen, Spannungen und Konfrontation bestimmt. In Asien bieten sich Russland neue Perspektiven - für Energieexporte und geopolitischen Einfluss. Auch Amerikas militärische Präsenz veranlasst Moskau zu einem verstärkten Engagement in Asien-Pazifik.

Von Wilfried Arz

Misstrauen auf politischer Ebene: NATO-Osterweiterung und US-Raketenschutzschild in Osteuropa belasten Moskaus Verhältnis zu USA und NATO-Europa. Enttäuschung auf wirtschaftlicher Ebene: Russlands Kooperationsangebot einer „strategischen Allianz“ mit der EU, insbesondere Deutschland und Frankreich, kommt nicht voran. Hindernisse und jahrelange Verzögerungen auf dem Weg zur Welthandelsorganisation WTO (Aufnahme 2011).

Auch Amerikas hegemonialer Großmachtanspruch stößt in Moskau auf Ablehnung. Auf der Internationalen Sicherheitskonferenz 2007 in München hatte Wladimir Putin die Politik der USA scharf kritisiert. Moskaus transatlantische Beziehungen werden von Dissonanzen, Spannungen und Konfrontation bestimmt. Russland setzt als euro-pazifische Kontinentalmacht deshalb neue Akzente und blickt in Richtung Asien-Pazifik. 

Territoriale Desintegration und wirtschaftlicher Niedergang, politischer Statusverlust und staatlicher Autoritätsverfall waren Begleiterscheinungen postsowjetischer Entwicklungen. Seit Putins Amtsantritt  im Jahr 2000 wurde mit der wiedererlangten Kontrolle über den Energiesektor ein neues Kapitel zur Revitalisierung Russlands als außenpolitischer Akteur und Energiemacht eingeleitet. Dem Export von Erdgas und Erdöl verdankt das Land Milliardeneinnahmen. Moskaus Energiepolitik konzentrierte sich bislang besonders auf Westeuropa. Energieexporte sollen nun verstärkt nach Nordostasien gelenkt werden, vor allem nach China, Japan und Südkorea. Dort bieten sich Russlands Ressourcen ausbaufähige Absatzmärkte - im Gegensatz zur gesättigten und wirtschaftlich stagnierenden EU.

Neuorientierung auf den Wirtschaftsraum Asien-Pazifik

Neue Perspektiven sollen nicht nur für Energieexporte erschlossen werden. Moskaus Agenda  zielt auf eine forcierte wirtschaftliche Entwicklung Ostsibiriens und des Fernen Ostens und deren Integration in den Wirtschaftsraum Nordostasien. Russlands Pazifikregion gilt als Schatzkammer des Landes: dort schlummern immense Vorkommen an Erdgas und Erdöl, Kohle und mineralischen Rohstoffen. Russlands Ferner Osten ist die wirtschaftliche Achillesferse des Landes, doch eine politisch vernachlässigte und unterentwickelte Region geblieben.

Wladiwostok, einst von Zar Alexander II. (1855-1881) als „Russlands Tor zum Osten“ gegründet, steht heute symbolhaft für wirtschaftliche und soziale Strukturprobleme der russischen Pazifikregion. Nur noch knapp 580.000 Einwohner zählt die Stadt - mit weiter abnehmender Tendenz. Bevölkerungsexodus, Arbeitslosigkeit und niedriger Lebensstandard sind Indikatoren einer krisenhaften Lage. Dies soll sich ändern. Staatliche Investitionsspritzen haben die Stadt seit Jahren in eine Baustelle verwandelt: ambitionierte Bauvorhaben sollen Wladiwostok neuen Glanz verleihen: eine moderne Brücke zur Russkij-Insel ist bereits fertiggestellt, ein Konferenzzentrum und der Flughafenausbau stehen vor der Vollendung. Im Mai 2012 wurde Viktor Ishayew (1991-2009 Leiter der Regionalregierung in Chabarowsk) als neuer Minister für die Entwicklung des russischen Fernen Ostens ernannt.

APEC-Konferenz 2012 in Wladiwostok

Wladiwostoks milliardenschwerer Hausputz steht unter Zeitdruck: im September wird Russland erstmals Gastgeber des APEC-Wirtschaftsforums der Asien-Pazifik-Staaten sein. Für Wladimir Putin eine wohlkalkulierte Gelegenheit, Moskaus neues politisches Projekt zu präsentieren: Russlands Osten wirtschaftlich zu modernisieren und in den Wirtschaftsraum Nordostasien zu integrieren. Bei eben dieser Herausforderung hat Russlands politische Elite bislang versagt. Auslandsinvestitionen und Technologietransfer sollen jetzt neue Entwicklungsimpulse verleihen.

Das APEC-Treffen in Wladiwostok wirft Fragen zu Russlands Rolle in Nordostasien auf: welche geopolitische Architektur und Tendenzen bestimmen die Region? Wie gestaltet sich Russlands Verhältnis zu China, Japan und Südkorea - den drei zentralen Akteuren in Nordostasien? Welche Optionen und Spielräume bieten sich Moskau für eine Integration in den asiatisch-pazifischen Wirtschaftsraum und neuen geopolitischen Einfluss in Nordostasien?

Russland als Energielieferant Nordostasiens

Nordostasien steht im Mittelpunkt eines der wohl bedeutendsten aktuellen Megatrends von globaler Bedeutung: der weltwirtschaftlichen Schwerpunktverlagerung vom Transatlantik nach Asien-Pazifik. Der Anteil der Region (mit USA und Kanada) am globalen Bruttoinlandprodukt wird auf insgesamt über 50 Prozent geschätzt, der Anteil an den globalen Währungsreserven auf 40 Prozent. Insbesondere Chinas wirtschaftlicher Aufstieg hat zu einem gewaltigen Importsog von Erdöl, Erdgas und Rohstoffen geführt. China und Japan zählen zu den weltgrößten Energieverbrauchern.

Als Energielieferant nimmt Russland in Nordostasien zunehmend eine Schlüsselstellung ein. Mit der Möglichkeit, Endverbraucher direkt über Land beliefern zu können, wird Russlands Bedeutung als Energieproduzent bei politisch bedingten Lieferausfällen aufgewertet: im Falle einer Unterbrechung von Energieexporten aus der Arabischen Golfregion bzw. Zentralasien oder einer Blockade der Straße von Malakka durch die USA in einem Konfliktfall mit China.

Jenseits seiner energiepolitischen Rolle ist Russland kein integraler Bestandteil der komplexen Produktionsketten und Integrationsprozesse in Asien-Pazifik. Im Gegensatz zum Niedriglohnstandort China und den Hochtechnologie-Produzenten Japan und Südkorea leistet Russlands Wirtschaft keinen Beitrag zur Wortschöpfung in der Region und ist auch kein Partnerland von Freihandelszonen und Investitionsschutzabkommen in Asien.

Geopolitische Architektur mit Konfliktpotenzial

Geopolitisch wird Asien-Pazifik durch Positionsverschiebungen der Atommächte China und USA bestimmt, deren konkurrierender Führungsanspruch im West-Pazifik Spannungen und Konflikte erwarten lässt. Mit China, USA und Russland stehen sich in der Region drei Atommächte gegenüber. Militärisches Bedrohungspotenzial konzentriert sich insbesondere auf der Halbinsel Korea. Dort hat Pjöngjangs nukleare Aufrüstung (Atomtests, Raketenentwicklung) eine konventionelle Rüstungsdynamik in Südkorea und Japan ausgelöst. 

Souveränitätskonflikte belasten zwischenstaatliche Beziehungen: China-Japan (Konflikte um Inseln im Ostchinesischen Meer, Weltkrieg II-Kapitel), Japan-Südkorea (Streit um Inseln im Japanischen Meer, Weltkrieg II-Kapitel) und Russland-Japan um die Kurilen-Inseln. Dissens auch zwischen Russland und USA über maritime Grenzen in der Behring-Straße.

Rohstoffreiche Arktis als neuer Zankapfel?

Konfliktpotenzial zeichnet sich in Konturen auch um Rohstoffvorkommen in der Arktis ab. Langfristig wird die globale Klimaerwärmung weite Teile des arktischen Ozeans von Eis befreien. Neue Seewege entlang der Nordküste Asiens werden dann passierbar und der Zugriff zu Rohstoffvorkommen (Erdöl, Erdgas, Kohle) ermöglicht. Das Energiepotenzial der Arktis wird vom US-Bundesamt für Geologie auf rd. 25 Prozent der globalen Reserven geschätzt. Konflikte um Gebietsansprüche haben bereits begonnen - nicht nur unter den Arktis-Anrainern Russland, Kanada, USA, Norwegen und Dänemark/Grönland. Auch China, Japan und Südkorea melden Ansprüche an. Die Arktis ist ins Fadenkreuz strategischer Interessen gerückt. Steht eine gewaltsame Kolonisierung des Polargebietes bevor? 

Von allen Anrainerstaaten teilt Russland die längste Küste mit dem arktischen Ozean und erhebt dort deshalb Anspruch auf ein 1,2 Millionen Quadratkilometer großes Gebiet. Kooperationen bestehen mit ausländischen Energiekonzernen: seit 2008 zwischen Gazprom/ Total (Frankreich) und Statoil (Norwegen), seit 2011 zwischen Rosneft und ExxonMobil (USA). Moskau ist entschlossen, arktische Energie- und Rohstoffvorkommen zu nutzen und seine Position als euro-pazifische Energiemacht weiter zu stärken.

Russland ist kein aktiver Akteur im Asien-Pazifik-Raum

Militärisch und politisch spielt Russland keine aktive Rolle in Asien-Pazifik. Nach dem Systemzusammenbruch der Sowjetunion war ein Rückzug aus Asien eingeleitet worden. Seit Aufgabe der Marinebasis Cam Ranh/Vietnam (2002) sind Russlands Präsenz und Potenzial seiner (konventionellen) Streitkräfte zwischen Wladiwostok und Singapur schwach. US-Präsident Obamas außenpolitischer Wandel und militärstrategische Akzentverschiebung vom Mittleren Osten in Richtung West-Pazifik zwingt Russland zu einer geopolitischen Neuausrichtung nach Nordostasien. In diesem Kontext stehen Modernisierung und Ausbau der russischen Pazifikflotte sowie die russisch-chinesischen Flottenmanöver im April 2012.    

Auf politischer Ebene ist Russland zwar Mitglied verschiedener multilateraler Organisationen der Region: im ASEAN-Regionalforum (seit 1994), in APEC (seit 1998) und ASEAN+ Russland (seit 2005). Ein Auftritt als aktiver Akteur ist dort jedoch nicht erkennbar. Zumindest in der APEC zeigt Moskau nun Profil, um seine wirtschaftlichen Interessen in Asien-Pazifik aktiver einzubringen. Der im September 2012 anstehende APEC-Gipfel in der Hafenstadt Wladiwostok könnte ein neues Kapitel zwischen Russland und Nordostasien aufschlagen.

Russland-China

China spielt für Russland eine Schlüsselrolle - wirtschaftlich und politisch. Mit einem Volumen von 80 Milliarden US-Dollar (2011) ist China Russlands wichtigster Handelspartner. Energieexporte dominieren den Handel mit China, Waffenlieferungen folgen  an zweiter Stelle. China wünscht privilegierten Zugang zu russischen Energieträgern und Rohstoffen. Aus sicherheitspolitischen Gründen hat Beijing großes Interesse an einer landseitigen Energieversorgung. Maritime Transportwege seiner Erdölimporte aus Afrika und der Arabischen Golf-Region gelten im Konfliktfall mit den USA als potentiell gefährdet.

Chinas Investitionsniveau in Russland hat einen deutlichen Aufschwung erfahren. Im April 2012 unterzeichnete Chinas zukünftiger Regierungschef Le Keqiang in Moskau Projekte im Werte von 15 Milliarden US-Dollar.

Mit Beilegung ideologischer Konflikte und Grenzstreitigkeiten (2004) haben Moskau und Beijing Grundlagen für eine enge Zusammenarbeit geschaffen. Sorgen über eine schleichende Kolonisierung der russischen Pazifikregion durch chinesische Migranten scheinen weitgehend verstummt. Doch stehen Russlands schwach besiedeltem Fernen Osten drei chinesische Provinzen (Heilongjiang, Jilin, Liaoning) mit über 100 Millionen Einwohnern und einer  gut entwickelten Schwerindustrie gegenüber. Eine wirtschaftliche Modernisierung des pazifischen Russlands wird ohne Investitionen aus China nicht umzusetzen sein.
 
Außenpolitisch verbinden Moskau und Beijing gemeinsame Interessen: eine multipolare Weltordnung (gegen den hegemonialen Anspruch der USA), aber auch die politische Stabilität in Zentralasien (islamischer Separatismus) und der koreanischen Halbinsel (Atomrüstung Nordkoreas). Russlands Allianz mit China in der Shanghai Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) spielt eine Schlüsselrolle bei dem Bemühen, regionalen Einfluss in Zentralasien an der Südflanke von Russland und China gegen die USA durchzusetzen.

Russland-Japan

Als drittgrößte Industriemacht der Welt ist Japan praktisch vollständig von Energieimporten abhängig, die zu fast 90 Prozent aus der Arabischen Golf-Region bezogen werden. Japanische Atomkraftwerke liefern ein Drittel des Strombedarfs. Nach der Tsunami/Atomkatastrophe von Fukushima (2011) wird Atomkraft in Japan jedoch kritisch reflektiert. Gesellschaftlicher Akzeptanzwiderstand gegen Atomenergie könnte Japan zu einer Energiewende zwingen. Die Folge: steigender Importbedarf bei Flüssiggas (LNG) und Erdöl. Für Russland eine attraktive Perspektive, seine Position als Energielieferant in Nordostasien weiter zu festigen. Am Sachalin 2-Projekt sind neben Gazprom und Royal Dutch/Shell auch die japanischen Konzerne Mitsui und Mitsubishi (mit zusammen 22,5 Prozent) beteiligt. LNG-Flüssiggas des Projektes wird überwiegend nach Japan geliefert. 

Russlands Handel mit Japan beläuft sich auf 24 Milliarden US-Dollar (2010). Historische Altlasten überschatten die Beziehungen zwischen beiden Ländern. Kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs hatte Stalins Sowjetunion die Kurilen-Inseln besetzt. Der Streit um eine (von Japan geforderte) Rückgabe belastet das Verhältnis Tokio-Moskau. Für einen Tiefpunkt in den bilateralen Beziehungen sorgten ein Besuch von Staatspräsident Medwedew auf den Süd-Kurilen (2010) und die geplante Stationierung moderner Boden-Luft-Raketen auf den Inseln (2011), um die Operationsfähigkeit der russischen Pazifikflotte in der Region zu sichern. Dennoch sieht Tokio Russland als wichtigen Bündnispartner, um Chinas wachsenden Einfluss einzudämmen.

Russland-Südkorea

Wirtschaftliche und geopolitische Aspekte bestimmen Russlands Politik auch gegenüber der  koreanischen Halbinsel. Dort versucht Moskau gezielt seinen Einfluss zu vergrößern. Mit dem geplanten Projekt einer Erdgas-Pipeline nach Südkorea durch Nordkorea verfolgt Russland gleich mehrere Ziele: einen kostengünstigen Transport für russisches Erdgas nach Südkorea, eine Reduzierung des militärischen Eskalationsrisikos durch engere Verflechtung beider koreanischer Staaten und die Anbindung der Halbinsel an das russische Bahnnetz.
 
Mit einem Umsatz von elf Milliarden US-Dollar (2010) rangiert Südkorea an dritter Stelle unter Russlands Handelspartnern in Nordostasien. Strukturelle Unausgewogenheit auch hier: Russlands Exporte bestehen zu zwei Dritteln aus Energie, Rohstoffen und Uranlieferungen für südkoreanische Atomkraftwerke. Die mit Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Seoul 1990 verbundenen Hoffnungen auf Intensivierung von Handel und Investitionen in Russland erfüllten sich nicht. Südkoreas Unternehmen bevorzugen als Investitionsstandort zudem das europäische Russland (St. Petersburg: Hyundai-Automobilfabrik). In Russlands Osten ist eine Schiffswerft des Daewoo-Konzerns in Primorye Krai das einzige Großprojekt Südkoreas.

Russland-Nordkorea

Nordkorea spielt für Russland als Handelspartner keine bedeutende Rolle. Das  Handelsvolumen bewegt sich bei nur 62 Millionen US-Dollar (2010). Durch Waffenimporte haben sich Nordkoreas Schulden gegenüber Moskau allerdings auf rund. 8,8 Milliarden US-Dollar akkumuliert. Verhandlungen über Rückzahlungsmodalitäten und Schuldenerlass könnten  Russland potentiell Ansatzpunkte bieten, das Regime in Pjöngjang zu Zugeständnissen bei dessen Nuklearrüstung zu bewegen. 

Die geplante transkoreanische Erdgas-Pipeline (1.100 Kilometer Länge, davon 700 durch Nordkorea) soll ab 2017 zehn Millionen Kubikmeter Erdgas/Jahr nach Südkorea befördern. Pjöngjang wurden rund. 100 Millionen US-Dollar/Jahr an Transitgebühren zugesagt. Der mit Aufnahme diplomatischer Beziehungen Moskau-Seoul 1990 eingeleitete Paradigmenwechsel der russischen Korea-Politik verminderte Russlands Einfluss auf Entwicklungen in Nordkorea. Ein 1961 zwischen Moskau und Pjöngjang geschlossener Friedens- und Freundschaftsvertrag wurde im Februar 2000 erneuert - allerdings ohne militärische Beistandsklausel im Konfliktfall. Sein Überleben verdankt das Pjöngjang-Regime der Unterstützung Chinas. Motiv für Nordkoreas engere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland dürfte auch sein, die starke Abhängigkeit von Beijing zu vermindern.

Zukunft zwischen Arktis und Wladiwostok

Noch ist ein konsistentes Entwicklungskonzept für den Fernen Osten Russlands nicht erkennbar. Zukunftsweisende Visionen wurden von Wissenschaftlern russischer Think-Tanks formuliert: u.a. Sergej Karaganov und Dimitri Trenin. Im Zentrum einer Modernisierungsstrategie sehen diese den Ausbau eines Transitkorridors mit Logistikzentren/Entwicklungspolen (Wladiwostok, Chabarowsk, Nakhodka) und Sonderwirtschaftszonen. Langfristig soll die energielastige Exportstruktur der Pazifikregion durch eine neue Funktion als Nahrungsmittelproduzent (Getreide, Fleisch) ergänzt und diversifiziert werden.

Kritisch betrachtet bleibt eine Fixierung auf den Ausbau der Transitfunktion überkommenen geoökonomischen Vorstellungen verhaftet. In Nordostasien stoßen diese Ideen ohnehin auf schwache Resonanz. Exportorientierte Logistikstrukturen in China, Japan und Südkorea sind bereits auf andere Verkehrskorridore ausgerichtet. Perspektiven neuer maritimer Transportrouten zeichnen sich zudem durch das nördliche Eismeer ab. Die Umsetzung des Projektes  „Ostsibirien/Ferner Osten“ scheiterte bislang an einem ganzen Bündel investitionsfeindlicher Rahmenbedingungen: maroder Infrastruktur, Rechtsunsicherheit, bürokratischer Inkompetenz, Korruption und mafiöser Strukturen.

Russlands rohstoffreiche Pazifikregion ist und wird die Achillesferse des Landes bleiben. Eine größere Integrationstiefe der Region in etablierte und vernetzte Wirtschaftsstrukturen Nordostasiens ist deshalb unverzichtbar. Energieexporte werden auch weiterhin Russlands Trumpfkarte bleiben, um seinen wirtschaftlichen Einfluss in Asien-Pazifik weiter auszubauen. Russlands starke Abhängigkeit vom Energiesektor beinhaltet allerdings auch Risiken: anhaltend fallende Weltmarktpreise könnten sich zu einer Zahlungsbilanzkrise entwickeln und das Ziel einer Modernisierung der russischen Wirtschaft verzögern.

Konturen einer neuen energiepolitischen Konfiguration

Moskaus neuer Akzent Richtung Osten zielt auch auf Stärkung der geopolitischen Position Russlands in der Pazifikregion. Eine Abkoppelung von Europa ist damit nicht verbunden. Im Westen wird die EU weiterhin ein relevanter Energiekunde, Handelspartner und Investor Russlands bleiben. Moskaus Blick nach Asien entspricht somit ganz dem Paradigma nationaler Interessen einer euro-pazifischen Kontinentalmacht, sich außenpolitisch nicht einseitig nach Westen, sondern ausgleichend auch nach Osten auszurichten.  

Asien-Pazifik hat sich zu einer weltwirtschaftlich bedeutenden Wachstumsregion mit hohem Energieverbrauch und geopolitischen Schnittstelle mit Konfliktpotenzial entwickelt. Russland vermochte seine geografische Lage in Nordostasien für die eigene Entwicklung bislang nicht zu nutzen - in einer Region, in der wichtige energiepolitische Weichenstellungen erfolgen. Die Modernisierung des pazifischen Russlands steht deshalb auch im übergeordneten Kontext einer neuen energiepolitischen Konfiguration.

Global lassen sich Positionsverschiebungen bei den Energieträgern Erdöl und Erdgas erkennen. Saudi-Arabien und Russland sind die führenden Erdölexporteure, doch nehmen Erdölvorkommen weltweit tendenziell ab. Zukunftsfähiger die Situation und Trends beim Erdgas: Russland und Iran verfügen zusammen über rd. 60 Prozent der globalen Erdgasvorkommen, deren Ergiebigkeit weit über das laufende Jahrhundert hinauszugehen verspricht. Erdöl wird als global dominierender Energieträger langfristig von Erdgas verdrängt werden. Für Russland eine historisch einmalige Chance, sich als Energielieferant neben Westeuropa auch in Asien-Pazifik neu zu positionieren und seinen geopolitischen Einfluss zu erweitern.  

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Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.

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