Chinas währungspolitische OffensiveSTRATEGISCHER WIRTSCHAFTSDIALOG

Chinas währungspolitische Offensive

Chinas währungspolitische Offensive

Sind Renminbi und IWF-Sonderziehungsrechte Alternativen zum Dollar? Eine aktuelle Untersuchung aus der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Von Sandra Heep und Hanns Günther Hilpert

  Über die Autoren
  Dr. Hanns Günther Hilpert ist Mitarbeiter der Forschungsgruppe Asien bei der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Von 1999 bis 2002 gehörte Hilpert dem Deutschen Institut für Japanstudien in Tokio an. Davor war er ab 1989 an der Studienstelle Japan / Asien des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung, München tätig. Seine Forschungsfelder: Asien in der Weltwirtschaft, Integrationsprozesse in Ostasien, Wirtschaft Japans, Wirtschaft Chinas, Wirtschaft Koreas, Außenwirtschaftspolitik.

Sandra Heep, M.A., war 2008 / 2009 Gastwissenschaftlerin am Institut für Weltwirtschaft und Weltpolitik der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften in Beijing. Seit 2007 ist sie Doktorandin der Forschungsgruppe Politik und Wirtschaft Chinas der Universität Trier. Sandra Heep hat Philosophie, Politikwissenschaft und Psychologie studiert und ist Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes. 2001 / 2002 absolvierte sie ein Chinesischstudium an der Universität Nanjing als Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Krupp-Stiftung. Ihre Forschungsfelder: Chinas Währungspolitik, Währungsreservenmanagement, Auslandsinvestitionen.
Hanns Günther Hilpert und Sandra Heep  
Hanns Günther Hilpert und Sandra Heep  

L aut vernehmlich stellt China den Status quo der globalen Finanz- und Währungsordnung in Frage. Zentralbankchef Zhou Xiaochuan propagiert die Sonderziehungsrechte des IWF als Alternative zum US-Dollar als Weltreservewährung. Präsident Hu Jintao macht sich im Rahmen der G20 dafür stark, die Stimmrechte von Schwellenländern im IWF und in der Weltbank zu erhöhen. Zugleich wird es zum Ziel der chinesischen Außenwirtschaftspolitik, den Renminbi auf internationaler Ebene zu etablieren.

Welche ökonomischen und politischen Motive stehen hinter Chinas währungspolitischer Agenda? Besitzt der Renminbi das Potential, sich langfristig zu einer internationalen Handels- und Reservewährung zu entwickeln? Und welche Konsequenzen hat Chinas Währungspolitik für die Zukunft des Weltwährungssystems?

 Chinas Einfluss auf die internationalen Finanzmärkte erwächst bislang vor allem aus seinen immensen Währungsreserven. Da die Volksrepublik trotz hoher und stetig wachsender Leistungsbilanzüberschüsse in den vergangenen Jahren nur bedingt bereit war, eine Aufwertung des Renminbi hinzunehmen, war die chinesische Zentralbank gezwungen, auf den Devisenmärkten zu intervenieren und US-Dollar aufzukaufen. Spiegelbildlich zu den kumulierten Außenüberschüssen stiegen Chinas Währungsreserven auf inzwischen 2,3 Billionen Dollar an, was etwa der Hälfte des chinesischen Bruttosozialprodukts entspricht. Rund zwei Drittel der Währungsreserven werden in Dollar gehalten, etwa ein Drittel ist in amerikanischen Staatsanleihen angelegt. Mit diesem Polster ist die Volksrepublik nicht nur hervorragend gegen eventuelle Finanz- und Währungskrisen gerüstet. Vielmehr verfügt sie auch über beträchtliche Devisenvorräte für ausländische Direktinvestitionen und den Erwerb von Ressourcen und Technologien auf internationalen Märkten.

China in der Dollarfalle

Doch Chinas Devisenreichtum ist nicht nur Segen, sondern auch Fluch: Das Land steckt in der Dollarfalle. Sollten die chinesischen Währungsbehörden ihre Devisenreserven von Dollar in Euro oder Yen umschichten, würde dies die Abwertungstendenz des Dollars und damit die Entwertung des chinesischen Devisenschatzes beschleunigen. Die Volksrepublik ist daher gezwungen, weiterhin in den Dollar zu investieren, um ihn vor einem Kursverlust zu bewahren. Dennoch muss das Land fürchten, als Folge von Amerikas expansiver Geld- und Fiskalpolitik massive Verluste zu erleiden. Bei steigenden Inflationsrisiken und einem schwachen Wirtschaftswachstum in den USA dürfte eine Aufwertung des Renminbi gegenüber dem Dollar mittelfristig unvermeidlich sein.

Doch schon eine zehnprozentige Abwertung des Dollars gegenüber dem Renminbi würde China bei der gegenwärtigen Höhe seiner Währungsreserven Vermögensverluste in Höhe von 230 Milliarden Dollar bescheren. Seit der Zuspitzung der globalen Finanzmarktkrise im Herbst 2008 verliehen ranghohe chinesische Regierungsvertreter daher mehrfach ihren Sorgen gegenüber den USA Ausdruck, die wiederum dringend darauf angewiesen sind, dass ihre Haushalts- und Leistungsbilanzdefizite durch das – im direkten Vergleich – sehr viel ärmere China finanziert werden. Auch beim jüngsten Treffen der Präsidenten Hu Jintao und Barack Obama in Peking standen geld- und währungspolitische Themen weit oben auf der Gesprächsagenda.

Aus außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten und verzerrten Wechselkursen ist ein ökonomisches Interessengeflecht entstanden, das der frühere US-Finanzminister Lawrence Summers schon im Jahr 2004 als „Gleichgewicht des finanziellen Terrors“ bezeichnete. Denn eine Zurückhaltung Chinas auf dem Markt für amerikanische Staatsanleihen könnte einen Anstieg der Kapitalmarktzinsen zur Folge haben und damit negative Anreize für Investitionen in den USA setzen. Dabei würden steigende Zinsen der binnenorientierten US-Konjunktur wohl größeren Schaden zufügen, als sinkende Wechselkurse gesamtwirtschaftlichen Nutzen bringen könnten. Würden die USA wieder von einer Rezession erfasst, wäre davon auch Chinas exportabhängige Wirtschaft mittelbar stark betroffen.

Angesichts dieser gegenseitigen Abhängigkeit haben China und die USA zu einer pragmatischen Zusammenarbeit gefunden: Während die Volksrepublik weiterhin amerikanische Staatsanleihen kauft, verfolgt die amerikanische Seite einen bewusst kooperativen Politikstil und meidet Reizwörter wie etwa Wechselkursmanipulation. Langfristig ist der chinesischen Regierung jedoch daran gelegen, ihre währungspolitische Abhängigkeit von den USA zu reduzieren. Zu diesem Zweck bemüht sie sich unter anderem, ihre Währungsreserven zumindest in begrenztem Umfang zu diversifizieren.

Diversifizierung der chinesischen Währungsreserven

Erste Schritte hin zu einer Diversifizierung ihrer Währungsreserven machte die Volksrepublik bereits 2005, als sie die Bindung des Renminbi an den Dollar offiziell durch die Koppelung an einen Währungskorb ersetzte. Zwar kaufte China weiterhin amerikanische Staatsanleihen, doch investierte es einen wachsenden Teil seiner immer schneller steigenden Reserven in andere Währungen. 2007 gründete die chinesische Regierung einen Staatsfonds – die China Investment Corporation (CIC) – und versah ihn mit dem Mandat, in risikoreichere Produkte als amerikanische Staatsanleihen zu investieren, um dadurch eine höhere Rendite zu erzielen. Ferner sollte die CIC durch Investitionen in nicht auf Dollar lautende Wertpapiere zur Diversifizierung der Währungsreserven beitragen.

Obwohl von offizieller chinesischer Seite betont wurde, dass die Aufgabe des Fonds ausschließlich in der Wertsteigerung der Währungsreserven bestehe, war auch in Regierungskreisen immer wieder die Forderung zu vernehmen, er möge durch seine Investitionen zur Sicherung der nationalen Rohstoffversorgung beitragen bzw. chinesische Staatsunternehmen bei der Durchführung von ausländischen Direktinvestitionen unterstützen. Zwar machte die CIC anfangs vor allem durch Investitionen in amerikanische Finanzinstitutionen auf sich aufmerksam, die ihr herbe Buchverluste einbrachten. Seit einigen Monaten zeichnet sich aber eine Anlagestrategie ab, in deren Zentrum Unternehmen aus dem Rohstoffsektor stehen.

Um zumindest auf einen Teil der ihr anvertrauten Währungsreserven eine höhere Rendite zu erzielen, ging auch die der Zentralbank unterstellte State Administration of Foreign Exchange (SAFE), die den Großteil der chinesischen Währungsvorräte verwaltet, zunehmend riskante Positionen ein. So investierte sie in Anleihen der US-Immobilienfinanzierer Fannie Mae und Freddie Mac sowie in Aktien amerikanischer, britischer und australischer Unternehmen. Doch der Wertverlust dieser Aktien und der Beinah-Kollaps der beiden Immobilienfinanzierer veranlassten die SAFE zu einer Revision ihrer Anlagestrategie. So reduzierte sie während der Finanzkrise den Bestand ihrer Fannie-Mae- und Freddie-Mac-Anleihen und ersetzte diese durch kurzfristige amerikanische Staatsanleihen. Vor einigen Monaten wurde ferner bekannt, dass die SAFE ihre Goldreserven in den vergangenen sechs Jahren nahezu verdoppelt hat und mit 1054 Tonnen nun über die weltweit fünftgrößten Reserven verfügt.

Währungsreserven gehen weiterhin in US-Staatsanleihen

Auch greift die Volksrepublik immer wieder auf ihre Devisen zurück, um die langfristige Rohstoffversorgung des Landes sicherzustellen. Die staatliche China Development Bank gewährte Russland, Kasachstan und Brasilien im Austausch gegen Öllieferverträge auf Dollar lautende Kredite in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen. Die staatliche Wirtschaftsplanungsbehörde National Development and Reform Commission stockte ihre strategischen Ölreserven auf und erwarb große Mengen von Metallen für die Industrieproduktion. Und auch im Rohstoffsektor tätige Staatsunternehmen benötigen für die Durchführung ihrer ausländischen Direktinvestitionen immer mehr Devisen.

Trotz dieser Diversifizierung investiert die Volksrepublik den Großteil ihrer neu erworbenen Währungsreserven allerdings weiterhin in amerikanische Staatsanleihen. Diese Anlagestrategie ist jedoch nicht ausschließlich darauf zurückzuführen, dass China aus Eigeninteresse ein Einbrechen des Dollarkurses zu verhindern sucht. Vielmehr ist sie auch darin begründet, dass nur der Markt für amerikanische Staatsanleihen über die Größe und die Liquidität verfügt, die für eine Absorption der chinesischen Währungsreserven unabdingbar sind.

Dagegen ist der europäische Markt für Staatsschuldverschreibungen in nationale Teilmärkte mit unterschiedlichen Rendite- und Risikostrukturen zersplittert und deshalb als Anlageziel für China nur begrenzt geeignet. Zudem hat die globale Finanzmarktkrise gezeigt, dass die Länder des Euroraums zur Verwirklichung einer gemeinschaftlichen Finanz- und Fiskalpolitik nicht gewillt bzw. nicht in der Lage sind. An der langfristigen finanz- und währungspolitischen Stabilität des Euroraums bestehen aus Chinas Sicht daher begründete Zweifel. Sollte die Volksrepublik dennoch anfangen, ihre Währungsreserven in Euro umzuschichten, würde dies einen deutlichen Aufwertungsdruck auf den Euro auslösen, der die Eurozone vor eine Zerreißprobe stellen könnte. Es ist daher vorerst wenig wahrscheinlich, dass China dem Beispiel Russlands folgen und die Gewichte in seinem Währungskorb deutlich zugunsten des Euro verschieben wird.

Renaissance der Sonderziehungsrechte

Da der Möglichkeit einer Diversifizierung der chinesischen Währungsreserven enge Grenzen gesetzt sind, hat das Land im Laufe der letzten Monate gänzlich neue Wege beschritten, um seine währungspolitische Abhängigkeit von den USA zu reduzieren. So schlug der Gouverneur der chinesischen Zentralbank, Zhou Xiaochuan, im März vor, den Dollar als Weltreservewährung durch die Sonderziehungsrechte des Internationalen Währungsfonds (IWF) zu ersetzen. Zur Begründung verwies Zhou auf die bereits von John Maynard Keynes (1944) und Robert Triffin (1959) geäußerte Kritik an der internationalen Rolle des Dollar. Beide Ökonomen hatten erkannt, dass nationale währungspolitische Ziele mit den Anforderungen an eine internationale Reservewährung auf Dauer nicht zu vereinbaren sind. Triffin machte geltend, dass die Leistungsbilanzdefizite der USA zwar als Quelle globaler Liquidität erforderlich seien, auf lange Sicht aber das Vertrauen in den Dollar unterminieren würden. Keynes wiederum prognostizierte, dass die Exklusivität des Dollars als Weltreservewährung die USA dazu verleiten werde, sich übermäßig im Ausland zu verschulden. Zhou empfahl nun die überhoheitlichen Sonderziehungsrechte des IWF als alternative Weltreservewährung, da sie es ermöglichen würden, die globale Liquidität zu kontrollieren, das Risiko von Finanzkrisen zu mindern und das internationale Krisenmanagement zu verbessern.

Die Sonderziehungsrechte (SZR), die bereits in den siebziger Jahren als globale Liquiditätsinstrumente zum Einsatz kamen, seitdem aber von der internationalen Bildfläche verschwunden sind, wurden durch die chinesische Initiative zu neuem Leben erweckt. Sonderziehungsrechte werden auf Beschluss des IWF-Gouverneursrats den Mitgliedstaaten des Fonds ohne Konditionalität zugeteilt und begründen einen Anspruch auf Währungen der IWF-Mitgliedstaaten. Somit zählen SZR zu den offiziellen Währungsreserven. Sie sind Guthaben, mit denen Schulden beim IWF oder bei ausländischen Zentralbanken getilgt werden können. Zentralbanken haben die Möglichkeit, ihre Sonderziehungsrechte in andere Währungen umzutauschen.

Rechnerisch bestimmt sich der Wert von SZR aus den vier wichtigsten konvertiblen Weltwährungen, dem Dollar (44 Prozent), dem Euro (34 Prozent), dem japanischen Yen (11 Prozent) und dem britischem Pfund (11 Prozent).

Zhou forderte unter anderem die Wiederaufnahme von SZR-Zuteilungen durch den IWF, die Einrichtung eines Clearing-Systems zum Tausch von Sonderziehungsrechten in andere Währungen sowie die aktive Förderung der internationalen Verwendung von Sonderziehungsrechten. Ohne sich explizit auf die chinesische Währung zu beziehen, schlug Zhou ferner vor, den Korb von Währungen, auf deren Grundlage der Wert der Sonderziehungsrechte bestimmt wird, zu erweitern und bei der Bestimmung der Währungsanteile das Bruttoinlandsprodukt der jeweiligen Länder zu berücksichtigen.

Von den Finanzmärkten wurden die Anstöße aus Beijing eher gelassen aufgenommen. Doch auf politischer Ebene stießen sie auf regen Anklang. Unterstützung fand der chinesische Vorschlag bei Russland, Brasilien und Indien sowie bei der UN-Kommission zur Reform des internationalen Währungs- und Finanzsystems unter Vorsitz von Joseph Stiglitz. Nur wenige Tage nach Zhous Rede beschloss die G20 im April auf ihrem Londoner Gipfeltreffen, den Mitgliedstaaten des IWF zwecks Ausweitung der globalen Liquidität umgehend neue Sonderziehungsrechte im Wert von 250 Milliarden Dollar sowie mittelfristig in Höhe von insgesamt 500 Milliarden Dollar zuzuteilen und dem IWF die direkte Kapitalaufnahme auf den internationalen Finanzmärkten zu gestatten. Bei der beschlossenen Neuemission von SZR handelt es sich um die erste seit 28 Jahren. Die Finanzierung durch die Emission eigener Anleihen ist in der Geschichte des IWF sogar ein absolutes Novum. Bereits im Juli erklärte sich China dazu bereit, dem IWF im Bedarfsfall auf Sonderziehungsrechte lautende Anleihen im Wert von 50 Milliarden Dollar abzunehmen. Wenig später boten sich Brasilien und Russland als Käufer von IWF-Anleihen im Wert von jeweils 10 Milliarden Dollar an.

Auf dem Weg zu einer neuen Weltwährungsordnung?

Trotz der von der G20 beschlossenen Maßnahmen erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass sich die Sonderziehungsrechte des IWF in absehbarer Zeit als internationale Reservewährung etablieren werden. Den dazu erforderlichen institutionellen Weichenstellungen dürften weder der IWF-Gouverneursrat noch die im IWF über eine Sperrminorität verfügenden USA zustimmen. Zu weit reichend wäre die erforderliche Übertragung von geld- und währungspolitischen Souveränitätsrechten auf den supranationalen IWF. Ein kritischer Punkt sind schon allein die drohenden Buchverluste: Ermöglichte etwa der IWF per Verwaltungsakt den Eintausch von Dollar gegen Sonderziehungsrechte durch die Einrichtung eines Verrechnungskontos, so hätte dies zur Folge, dass künftig der IWF oder die USA einen Teil des Risikos einer Dollarabwertung tragen müssten – wozu sie vermutlich nicht bereit wären. Selbst die Neuzuteilung von SZR dürfte über kurz oder lang an politischen Widerständen scheitern. In Zeiten eingefrorener Kreditmärkte und potentieller Deflationsgefahren ist die Zuteilung von Sonderziehungsrechten unproblematisch. Doch spätestens wenn die Inflationsraten weltweit ansteigen, werden die Hartwährungsländer innerhalb des IWF auf Wünsche nach einer weiteren SZR-Expansion sehr zurückhaltend reagieren.

Selbst wenn der politische Wille vorhanden wäre, Sonderziehungsrechte anstelle des Dollar zu etablieren, ließen sie sich nicht ohne weiteres als internationale Reserve- und Interventionswährung einführen. Denn die Zentralbanken werden bzw. können SZR nur dann einsetzen, wenn diese auch auf privatwirtschaftlichen Märkten als Anlagewährung, als Recheneinheit sowie als Tausch- und Zahlungsmittel in ausreichendem Maße verwendbar sind. Nur wenn hinreichend breite und tiefe Kapitalmärkte existieren, sind Sonderziehungsrechte für Zentralbanken als Reservewährung nutzbar. Dazu wäre es hilfreich, wenn auch nicht zwingend notwendig, dass SZR auch im internationalen Handels- und Investitionsverkehr umfangreich verwendet werden. Auf jeden Fall bedürfen Reservewährungen der Verknüpfung mit hoch entwickelten Finanzmärkten, auf denen private Vermögen und staatliche Währungsreserven kostengünstig, effizient und risikolos geparkt werden können.

Der ECU etwa erfüllte ebendiese Voraussetzung in den achtziger und neunziger Jahren nicht und konnte daher auch nicht zu der einst erhofften funktionsfähigen Reservewährung im Europäischen Währungssystem werden. Damit sich SZR künftig als internationale Reservewährung etablieren können, müssten Notenbanken sie also nicht nur im Rahmen des Kredit- und Zahlungsverkehrs mit anderen Notenbanken verwenden, sondern auch im Austausch mit privaten Akteuren, etwa bei Devisenmarkt-Interventionen oder für Käufe und Verkäufe am offenen Anleihenmarkt. Dies aber würde erhebliche Anstrengungen der Zentralbanken und entsprechende Weichenstellungen des IWF voraussetzen.

So müssten China und die anderen interessierten Länder Staatsanleihen statt in Dollar in Sonderziehungsrechten emittieren und dabei erhebliche Zinsaufschläge in Kauf nehmen. Denn bislang fehlen die Sekundärmärkte, die es gestatten würden, auf SZR lautende Schuldtitel aktiv zu handeln. Um Sonderziehungsrechte als Weltwährung zu etablieren, müsste aber vor allem der IWF ein weit reichendes Mandat erhalten. So hätte er auf den internationalen Devisenmärkten als aktiver Käufer und Verkäufer von Sonderziehungsrechten aufzutreten, damit Außenhändler weltweit bereit wären, Warenrechnungen in SZR auszustellen bzw. entsprechende Rechnungen zu akzeptieren.

In der Konsequenz müsste der IWF zur supranationalen Zentralbank werden, zum internationalen Kreditgeber der letzten Instanz (lender of last resort). Bei Finanzkrisen oder in Rezessionsperioden müsste er bereit und befähigt sein, kurzfristige Liquiditätsengpässe durch eine rasche, flexible und unabhängige Emission von Sonderziehungsrechten zu überbrücken. Erforderlich wäre also, dass die Mitgliedstaaten dem IWF ein stark erweitertes Mandat erteilen.

Kritik am Status quo

Dass eine solch grundlegende Neuausrichtung des IWF illusorisch ist, dürfte auch der chinesischen Regierung bewusst sein. Ihr Vorschlag zur Etablierung von SZR als internationaler Reservewährung ist daher nicht als konkrete Handlungsanweisung zu verstehen, sondern vielmehr als Ankündigung einer aktiveren Rolle Chinas bei der Reform des globalen Finanz- und Währungssystems. Aufgrund der Dollarabhängigkeit der internationalen Märkte ist Beijing mit dem Status quo nicht einverstanden, zumal Finanzkrisen, wie sie seit dem Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems 1973 immer häufiger auftreten, nicht zuletzt durch diese Abhängigkeit verursacht werden. Eine mögliche Neugestaltung der Finanz- und Währungsordnung möchte die Volksrepublik aber nicht den westlichen Industrienationen überlassen. Vielmehr fordert sie ein Mitspracherecht der Schwellen- und Entwicklungsländer und plädiert dabei auch für eine Erhöhung der IWF-Quoten dieser Staaten.

Vor allem aber ist der chinesische Vorschlag, den Sonderziehungsrechten des IWF zu einer prominenteren Rolle zu verhelfen, eine Warnung an die USA. Die Volksrepublik ist auf lange Sicht nicht bereit, die expansive Geld- und Fiskalpolitik der Vereinigten Staaten durch den Kauf amerikanischer Staatsanleihen zu unterstützen. China wirft den USA vor, sie würden die privilegierte Stellung des Dollar als globaler Reservewährung zu Lasten der Weltwirtschaft ausnutzen, indem sie von der Möglichkeit, sich auf den internationalen Finanzmärkten nahezu unbegrenzt Kapital zu beschaffen, hemmungslos Gebrauch machten. Der besonderen Verantwortung für Weltfinanzsystem und Weltwirtschaft aber, die sich aus der internationalen Rolle des Dollar ergebe, kämen die USA nicht nach. Vielmehr orientiere sich ihre Geld- und Fiskalpolitik ausschließlich an binnenwirtschaftlichen Erfordernissen, so die Kritik aus Beijing.

Weil Chinas Führung nicht gewillt ist, für diese Politik der USA durch Werteinbußen der eigenen Währungsreserven zu zahlen, fordert sie die Einrichtung eines Verrechnungskontos, welches die chinesische Abhängigkeit von der amerikanischen Währungspolitik auf einen Schlag drastisch reduzieren würde. Dass diese Forderung jedoch in eine grundsätzliche Kritik am internationalen Währungssystem eingebettet wird, lässt China als verantwortungsvollen Staat erscheinen, der nicht ausschließlich sein eigenes Wohlergehen im Auge hat, sondern sich um eine stabile Weltwirtschaftsordnung bemüht und aktiv die Interessen der Schwellenländer vertritt. Auf diese Weise lenkt die Volksrepublik geschickt davon ab, dass auch ihr exportorientiertes Wachstumsmodell zur Entstehung der Krise auf den Finanzmärkten beigetragen hat, indem es gewaltige Handels- und Liquiditätsüberschüsse erzeugte.

Internationalisierung des Renminbi

Die Krise auf den Finanzmärkten veranlasste die chinesische Regierung nicht nur dazu, sich aktiv in die Debatte um die Reform des internationalen Finanzsystems einzubringen. Vielmehr unternahm sie auch erste Schritte hin zu einer Internationalisierung des Renminbi, die auf lange Sicht Chinas Abhängigkeit vom Dollar reduzieren soll. So schloss die chinesische Zentralbank Swap-Abkommen im Gesamtwert von 650 Milliarden Renminbi mit den Zentralbanken Hongkongs, Malaysias, Indonesiens, Südkoreas, Argentiniens und Weißrusslands, die es diesen ermöglichen, im Falle einer Devisenknappheit Renminbi für die Zahlung chinesischer Importe zu erhalten.

Ferner beschloss die Regierung ein Pilotprojekt, das es ausgewählten Firmen im Jangtse- und im Perlflussdelta sowie in den Provinzen Yunnan und Guangxi gestattet, Geschäfte mit Unternehmen aus Hongkong und Macao bzw. den ASEAN-Staaten in Renminbi abzuschließen. Mit Brasilien und Russland führte China Gespräche über die Möglichkeit, den bilateralen Handel nicht länger in Dollar, sondern in Real bzw. Rubel und Renminbi abzuwickeln. Ohnehin hat sich der Renminbi in den letzten Jahren bereits zur Parallelwährung in den Sonderverwaltungszonen Hongkong und Macao sowie in einigen Nachbarländern Chinas (Thailand, Vietnam, Laos, Kambodscha, Myanmar, Nepal, Mongolei, Nordkorea) entwickelt.

Doch wird sich der Renminbi trotz solcher Maßnahmen nicht als internationale Handelswährung etablieren können, solange er nicht voll konvertierbar ist und kein Terminmarkt für die Absicherung gegen Wechselkursschwankungen des Renminbi existiert. Denn warum sollte ein Außenhändler akzeptieren, von seinem chinesischen Handelspartner Renminbi statt Dollar zu erhalten, wenn er nicht die Möglichkeit hat, seine Renminbi beliebig in andere Währungen umzutauschen? Wenn jedoch die volle Konvertibilität hergestellt wird und zugleich leistungsfähige Geld- und Terminmärkte für den Renminbi entstehen, so hat dieser angesichts Chinas wachsender Bedeutung im Welthandel durchaus das Potential, sich im Laufe der nächsten Jahre nicht nur zu einer wichtigen regionalen, sondern auch zu einer internationalen Handelswährung zu entwickeln.

Voraussetzungen für den Renminbi

China könnte daraus enorme Vorteile ziehen: Die Wechselkursrisiken chinesischer Exporteure und Importeure ließen sich nachhaltig mindern, Industrie und Finanzwirtschaft des Landes würden international gestärkt, und Chinas Notenbank könnte Seignorage-Gewinne durch die internationale Verbreitung des Renminbi realisieren.

Größere Hindernisse gilt es allerdings zu überwinden, wenn der Renminbi als internationale Reservewährung etabliert werden soll. China müsste seine Kapitalverkehrskontrollen aufheben, um es internationalen Investoren zu ermöglichen, auf den chinesischen Geld- und Anleihemärkten frei zu investieren und Kapital auch jederzeit wieder abzuziehen. Die Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen aber müsste mit einer Liberalisierung des Wechselkursregimes einhergehen, da eine unabhängige Geldpolitik, ein freier Kapitalverkehr und ein Regime fester Wechselkurse nicht miteinander vereinbar sind. Dass sich die chinesische Regierung in absehbarer Zeit zu diesen radikalen Schritten entschließen wird, erscheint jedoch nicht zuletzt vor dem Hintergrund der jüngsten Turbulenzen auf den internationalen Finanzmärkten als sehr unwahrscheinlich.

Doch wäre es mit der Aufhebung der Kapitalverkehrskontrollen und der Einführung eines flexiblen Wechselkursregimes noch lange nicht getan. Soll der Renminbi die Funktion einer internationalen Reservewährung erfüllen, muss China auch seine Finanzmärkte liberalisieren und entwickeln. Denn noch verfügen diese nicht über jenes Maß an Liquidität, das internationale Investoren davon überzeugen könnte, ihr Kapital in auf Renminbi lautenden Finanzprodukten anzulegen. Besonders problematisch ist die Tatsache, dass der chinesische Markt für festverzinsliche Wertpapiere noch in den Kinderschuhen steckt.

Auch existiert noch kein nennenswerter Offshore-Markt für Renminbi-Anleihen. Allerdings scheint Beijings Interesse an der Entwicklung eines solchen Offshore-Markts in Hongkong zuzunehmen. Dies zeigte sich nicht zuletzt daran, dass das chinesische Finanzministerium im September 2009 erstmals auf Renminbi lautende Staatsanleihen – im Wert von sechs Milliarden Renminbi – in Hongkong emittierte. Ferner erlaubte die Regierung zu Beginn dieses Jahres erstmals nicht-chinesischen Banken, Renminbi-Anleihen in Hongkong auszugeben.

Soll sich der Renminbi zu einer internationalen Reservewährung entwickeln, kann es die chinesische Regierung allerdings nicht bei solchen technischen Reformen bewenden lassen. Vielmehr müsste sie versuchen, das Vertrauen internationaler Investoren zu gewinnen, indem sie freie Märkte und unabhängige Institutionen an die Stelle der diskretionären staatlichen Steuerung treten lässt. So müsste China nicht nur die Zentralbank in die Unabhängigkeit entlassen, sondern auch dem System der staatlichen Kreditallokation ein Ende setzen. Dass die chinesische Führung dieses wirtschaftspolitische Steuerungsinstrument kurz- oder mittelfristig aus der Hand geben könnte, erscheint jedoch äußerst unwahrscheinlich.

Das Fazit

Chinas Kritik an der ambivalenten Rolle des Dollar im Weltwährungssystem ist im Kern berechtigt. Die USA nutzen ihr exorbitantes Privileg, dank der internationalen Rolle des Dollar in einheimischer Währung und zu einheimischen Zinssätzen auf internationalen Märkten nahezu unbegrenzt Kapital aufnehmen zu können, orientieren ihre Geldpolitik aber ausschließlich an binnenwirtschaftlichen Erfordernissen. Betroffen sind davon vor allem die Schwellenländer, die aufgrund ihrer unterentwickelten Finanzmärkte auf den Dollar als internationales Zahlungsmittel, als Anlagemedium und als Reservewährung angewiesen sind und durch plötzlich austrocknende Geld- und Kreditmärkte immer wieder in Krisen geraten.

Da einer Umsetzung des chinesischen Vorschlags zur Reform des internationalen Währungssystems jedoch zu viele Hürden entgegenstehen, bleibt der Volksrepublik als Ausweg aus der Dollarfalle vorerst nur die Internationalisierung der eigenen Währung.
Die Vision, den Renminbi als die nach dem Dollar und dem Euro dritte internationale Reservewährung zu etablieren, dürfte aber mit technischen Reformen allein kaum zu verwirklichen sein. Zum einen sind unter Investoren Zweifel an der Nachhaltigkeit von Chinas politischem System weit verbreit. Zum anderen besteht Skepsis mit Bezug auf die Nachhaltigkeit des chinesischen Wirtschaftswachstums, da dieses bislang hauptsächlich das Resultat eines vermehrten Einsatzes von Kapital und Arbeit ist, doch noch keine autonome Innovationsfähigkeit erkennen lässt.

Angesichts solcher Bedenken erscheint es wenig realistisch, dass der Renminbi in absehbarer Zeit zu einem währungspolitischen Anker für moderne Volkswirtschaften avancieren oder sich der chinesische Finanzmarkt als sicherer Hafen für global agierende Investoren etablieren wird.

*

Der vorstehende Beitrag ist zuerst erschienen als Veröffentlichung der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin, SWP-Aktuell 2009/A 65, Dezember 2009, http://www.swp-berlin.org/

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