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GELESEN
Von Eberhart Wagenknecht
„Cro-Magnon: Das Ende der Eiszeit und die ersten Menschen“ von Brian Fagan |
n einer schwarzgrauen Eiszeitlandschaft bewegen sich vier Punkte an einem Flussufer entlang – die einzigen Zeichen von Leben an diesem Tag im Spätherbst vor 40.000 Jahren. Dichter Morgennebel zieht sanft über das träge fließende Wasser und regt sich von Zeit zu Zeit in einer eisigen Brise. Das Flussufer ist von dichtem Kiefernbewuchs gesäumt und in der Nähe befindet sich eine große Lichtung, auf der nach Nahrung suchende Auerochsen und Wisente im Schnee scharren.“
So beginnt Brian Fagan sein Buch über den modernen Menschen. Mit dieser lebendigen Art das Leben und Treiben zu schildern, zieht er den Leser sofort in seinen Bann. Die Gestalten, die wir da sehen, an diesem Spätherbsttag, das sind wir – wir sind Cro-Magnon. (Benannt nach einer Höhle im Vezère-Tal in Südfrankreich, wo man frühe Schädelreste gefunden hat).
So, wie Fagan sie schildert, sind unsere Vorfahren in etwa in Erscheinung getreten, damals, vor vierzig Jahrtausenden, als sie die Eiszeitlandschaften durchstreiften. Ausgeliefert einer lebensfeindlichen Wildnis, einen guten Kopf kleiner als heute und oft genug willkommene Beute von großen Raubkatzen. oder Adlervögeln
Cro-Magnon, der moderne Mensch, war in Felle gekleidet und zog als eiszeitlicher Jäger umher. Seine „Waffenschmiede“ hatte der Cro-Magnon-Mensch stets dabei: einen Vorrat an Flintsteinen, von denen sich leicht Splitter abspalten ließen die messerscharfe Klingen oder Pfeilspitzen lieferten. Mit „Birkenteer“ und Rindenbast wurden sie an geeigneten Pfeil- und Speerhölzern befestigt.
„Die Cro- Magnon-Menschen, die von ihrer Anatomie her die ersten modernen Europäer darstellen, mit großem Gehirnvolumen und den für Innovationen unerlässlichen sprachlichen und eindrucksvollen kognitiven Fähigkeiten des Homo sapiens“, so Fagan, trafen auf den stillen, nicht sehr redegewandten, alteingesessenen Neandertaler, dessen Sprache den Neuankömmlingen unverständlich war.
„Mühelos erlegten sie mit hocheffizienten Waffen große und kleine Beutetiere und pflegten eine komplexe Beziehung zu ihrem Lebensraum, ihrer Jagdbeute und den übernatürlichen Kräften ihrer Welt. Wir wissen, dass dieses Zusammentreffen mit der Auslöschung der Neandertaler endete, vielleicht vor etwa 30.000 Jahren. Aber wie es hierzu kam, bleibt eines der spannendsten und geheimnisvollsten Rätsel der gesamten Eiszeit.“
Fagan lässt uns teilhaben am neuesten Stand der Wissenschaft. Dieser liefert ein vollkommen anderes Bild der Neandertaler, als man bisher angenommen hatte: „Sie waren kräftige und agile Menschen, die sich in einem rauen, oft extrem kalten Europa von den Atlantikküsten bis in das Herz Eurasiens hinein behaupteten – von den Randzonen der Steppe bis in die wärmeren und trockeneren Gebiete im Nahen Osten“. Den Cro-Magnon- Menschen aber waren sie nicht gewachsen.
Und was geschah nun, als die Cro-Magnon-Menschen auf die Neandertaler trafen? Schlachteten die neuzeitlichen Menschen die urtümlichen ab, sobald sie sie erblickten, oder besetzten sie einfach deren Jagdreviere und drängten die ursprünglichen Bewohner in die Randgebiete ab, wo sie langsam zugrunde gingen? Oder waren es die überlegenen geistigen Fähigkeiten, die Jagdwaffen und anderen Gerätschaften der Cro-Magnon-Menschen, die ihnen den alles entscheidenden Vorteil in einer immer kälter werdenden Eiszeitwelt verschafften?
Wissen wir, wie Begegnungen zwischen Neandertalern und Neuankömmlingen verliefen? Kam es gelegentlich zu Vermählungen oder Handelskontakten zwischen beiden Gruppen oder tauschten sie Jagdmethoden, Technologien und Ideen aus? Wer waren die Cro-Magnon-Menschen? Woher kamen sie? Wie überlebten sie die dramatischen Klimaveränderungen der ausgehenden Eiszeit vor Zehntausenden von Jahren? Und wie verhielten sie sich gegenüber den Neandertalern? Genau das erzählt Fagan in packenden Kapiteln überzeugend.
„Die Geschichte der Cro-Magnon-Menschen“, schreibt der Autor, „ist die Geschichte einer langen Reise, die vor mehr als 50.000 Jahren im tropischen Afrika ihren Anfang nahm und über das Ende der Eiszeit vor 15.000 Jahren hinaus fortdauert (ich setze das Ende der Eiszeit zu diesem Zeitpunkt an, da sich die klimatischen Verhältnisse danach in unregelmäßigen Zyklen zunehmend verbesserten). Vor allem jedoch ist sie die Geschichte grenzenloser Erfindungsgabe und Anpassungsfähigkeit.“
Die Wissenschaft hat es fertiggebracht, die modernen Cro-Magnon-Menschen genetisch zurückzuverfolgen, bis hin zu „einer einzigen Frau“: Die „Afrikanische Eva“. Sie ist eine fiktive Person, ein Produkt der Molekularbiologie, die uns mithilfe der mitochondrialen DNS zeigt“, schreibt Fagan, dass wir alle bei ihr unseren Anfang nahmen.
Sie sei „dunkelhaarig und dunkelhäutig gewesen, Mitglied einer kleinen Gruppe von Jägern und stark genug, um Fleisch mit bloßen Händen zu zerreißen und schwere Lasten zu tragen. Sie war weder die einzige Frau auf der Erde noch war sie die attraktivste oder die mit den meisten Kindern. Aber sie war so fruchtbar, dass sie eine gewisse Menge ihrer Gene an jeden heute lebenden Menschen weitervererbte. Die Molekularbiologie hat den Ursprung der Cro-Magnon-Menschen bis weit ins tropische Afrika hinein aufgespürt, bis in den Lebensraum der hypothetischen Afrikanischen Eva. Das genetische Rahmenwerk ist plausibel, aber wie kann die Archäologie dazu beitragen, es zu untermauern?“
Mit dem Cro-Magnon-Menschen kamen unsere Vorfahren ins Land. Sie haben sich nicht nur durch ihre jägerischen Fähigkeiten ausgezeichnet, sondern auch dadurch, dass sie sich trotz aller Gefahren im mörderischen Überlebenskampf der Eiszeit, Kunstwerke schufen, die uns noch heute in Staunen versetzen. Man findet sie in den Höhlenzeichnungen von Lascaux und der Venus vom Hohle Fels (Eurasische Spiritualität: 15.000 Jahre alte Steinmalereien entdeckt in EM 11-2011), sie spielten Flöte (Eurasische Spiritualität: Geomantik-Art aus der Eiszeithöhle in EM 06-2009), liebten und hassten: Menschen wie wir und uns doch so fremd. In nur 5000 Jahren hatten die Cro-Magnon-Menschen sich in ganz Europa ausgebreitet. Seite an Seite lebten sie mit den kräftigen und robusten Neandertalern, die später spurlos verschwunden waren.
Brian Fagan war Professor für Anthropologie in Santa Barbara und veröffentliche zahlreiche Bücher über Klima- und Menschheitsgeschichte. Im vorliegenden Band entführt er uns in die neue Welt der Cro-Magnon-Ära, in das „Reich des Löwenmenschen“, er macht uns vertraut mit der „Magie der Jagd“ und nimmt uns mit in die eizeitlichen Höhlenbehausungen, wo getanzt, geliebt, musiziert und gesungen wurde. Hier entstand unsere Kultur. Wir können staunend dabei sein, wo und wie sie ihren Anfang nahm.
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Rezension zu: „Cro-Magnon: Das Ende der Eiszeit und die ersten Menschen“ von Brian Fagan, Theiss 2012, 288 Seiten, 29,95 Euro, ISBN-13: 978-3806225839.
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