Der Kreml wagt ein offenes Wort zur KriseRUSSISCHE WIRTSCHAFT

Der Kreml wagt ein offenes Wort zur Krise

Präsident Dmitri Medwedew entlässt vier Gouverneure und spricht jetzt offener über die wirtschaftlichen und finanziellen Probleme des Landes

Von Ulrich Heyden

A bwrackprämie auf Russisch: Das Staats-Fernsehen zeigte, wie in einer Stadt  im russischen Fernen Osten der gesamte Dienstwagen-Fuhrpark, bestehend aus modernen Lexus-Jeeps verscherbelt wird. Den Nutzen hat das Not leidende örtliche Budget und der neue Besitzer, der einen gepflegten Wagen bekommt. Die Komfort-verwöhnten Beamten in Russland müssen sich nun umstellen und auf „vaterländische“ Modelle umsteigen, wie den in Nischni Nowgorod produzierten Volga Siber, eine Chrysler-Lizenz-Produktion. Kreml-Chef Dmitri Medwedew forderte nachdrücklich Sparmaßnahmen auf allen Verwaltungs-Ebenen.

Die Krise zwingt den Präsidenten zum Handeln. Medwedew setzte handstreichartig vier Gouverneure ab. Der Kreml-Chef sprach in ungewohnter Härte von „mangelnder Begabung, Schlamperei und Faulheit“. Ihren Sessel räumen müssen: Jegor Stroew (Gebiet Orel), Wladimir Kulakow (Gebiet Woronesch), Waleri Potapenko (Autonomes Nenzen-Gebiet) und Michail Kusnezow (Gebiet Pskow). Zwei Minister aus Moskau sollen sich nun in der Provinz bewähren. Landwirtschaftsminister Aleksej Gordeew soll Gouverneur im Woronesch-Gebiet werden, der stellvertretende Landwirtschaftsminister Aleksandr Koslow, Gouverneur im Schwarz-Erde-Gebiet Orel.

Düstere Prognosen

Der Kreml-Chef erklärte, die „Rotation der Gouverneure“ werde weitergehen. In der Krise sei es nötig „unter neuen Bedingungen“ zu arbeiten. „Es wird prinzipiell andere Anforderungen geben, jetzt darf man nicht erschlaffen.“

„Die Krisen-Erscheinungen in der Wirtschaft lassen nicht nach, sondern wachsen“, erklärte der Präsident, der nun regelmäßig im Fernsehen über den Zustand der Wirtschaft sprechen will. Höchste Zeit meinen Experten, wie der Leiter des WZIOM-Meinungsforschungs-Instituts, Waleri Fedorow in einem Interview. „Die Menschen erwarten von den wichtigsten Persönlichkeiten des Staates direkte, offene Äußerungen ohne Beschönigungen, darüber was vor sich geht“, insbesondere darüber, „was der Staat unternimmt“.

Bisher machten Ministerpräsident Putin und Präsident Medwedew in der Öffentlichkeit den Eindruck, die Führung des Landes habe die Krise voll im Griff. Unablässig berichtete das Fernsehen über einen ominösen „Anti-Krisen-Plan“, den aber eigentlich Niemand genau kennt. Die Menschen im Land bekommen die Krise aber täglich mehr zu spüren und Medwedew, der sich schon häufiger zu demokratischen Prinzipien bekannt hat, hat offenbar erkannt, dass Offenheit das beste Mittel zur Vertrauensbildung ist, denn eine soziale Explosion möchte man natürlich tunlichst vermeiden.

Optimistische Schätzung: Zehn Millionen Russen werden arbeitslos

Es brennt an allen Ecken. Wie das russische Statistik-Amt bekannt gab, ist die Industrieproduktion im Januar 2009 im Vergleich zum Januar 2008 um 16 Prozent zurückgegangen. Einen derartigen Einbruch hat es zuletzt 1994 gegeben. Zur Zeit sind offiziell 1,7 Millionen Menschen arbeitslos gemeldet, was einer Arbeitslosenrate von 5,7 Prozent entspricht. Doch von 142 Millionen Russen werden nach einer „optimistischen Prognose“ bald zehn Millionen Menschen real arbeitslos sein – bei einer offiziellen Arbeitslosenzahl von drei Millionen - , meint Jewgeni Gontmacher, Leiter des Zentrums für Soziale Politik bei der Russischen Akademie der Wissenschaften. Schon jetzt haben 1.000 Unternehmen für ihre Mitarbeiter Kurzarbeit und unbezahlten Urlaub angemeldet, wie Vizepremier Aleksander Schukow erklärte.

Der neue, offene Stil von Präsident Medwedew kommt vielleicht gerade noch rechtzeitig. Denn wie das WZIOM-Meinungsforschungsinstitut ermittelte, geht die Zustimmung für die Arbeit von Präsident und Ministerpräsident deutlich zurück. Während mit der Arbeit von Präsident Medwedew und Premier Putin im September letzten Jahres noch 79 bzw. 81 Prozent zufrieden waren, befürworteten die Arbeit der beiden Politiker Anfang Februar nur noch 69 bzw. 74 Prozent. Höchste Zeit also zu Handeln.

Freiluftmärkte wieder im Kommen

Die Krise hat auch ihr Gutes. Wie das Massenblatt Moskowski Komsomolez schrieb, geht der Verkehr in der 14-Millionen-Stadt Moskau spürbar zurück. Die Zahl der Verkehrsstaus hat um 30 Prozent abgenommen. Die Moskauer Metro, die täglich bis zu 9,5 Millionen Menschen befördert, verzeichnete, befördert nun 200.000 Personen weniger.

Auf den Straßen von Moskau sieht man trotz des feucht-kalten Winterwetters wieder Frauen, die Haushaltsware, Kleidung oder Fleisch verkaufen – manchmal direkt aus dem Kofferraum eines Ladas. Ähnliche Bilder gab es in den 1990er Jahren, als die Menschen sich mit Handel und Eigenanbau von Gemüse über Wasser hielten. Jetzt zwingt die Finanzkrise die Menschen den Rubel zweimal umzudrehen. Nach einer Umfrage des Lewada-Meinungsforschungszentrums sparen bereits 70 Prozent der Russen bei der Ernährung und bei den Waren des unmittelbaren Bedarfs.

Der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow erteilte bereits die Anordnung, in allen Stadtteilen neue Frei-Luft-Märkte zu genehmigen. „Besser die Menschen handeln, als dass sie nach staatlichen Zuwendungen Schlange stehen“, so das Stadtoberhaupt.

Ob es wirklich große Käuferschlangen gibt, ist allerdings fraglich, denn die Arbeitslosenunterstützung liegt zwischen umgerechnet 19 und 111 Euro monatlich.

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