Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz?WLADIMIR PUTIN

Der richtige Mann zur richtigen Zeit am richtigen Platz?

Darf man so über Putin schreiben? Zugegeben, es gibt Gründe zu zögern, aber Tatsachen müssen Tatsachen bleiben, gerade dann, wenn versucht wird sie zu vernebeln und zu verdrehen wie beispielsweise kürzlich in „Spiegel online“. Das Medium berichtete unter der Schlagzeile: „Wie Putin, Chavez und die Scheichs den Ölpreis hochtreiben“, über die steigenden Öl-Preise und die vermeintlich Schuldigen.

Von Kai Ehlers

T atsache ist, dass Wladimir Putin bis heute über ein „Rating“ zwischen 60 und 70 Prozent in der Bevölkerung verfügt, dass die große Mehrheit der Russen durch alle Schichten hindurch lieber ihn als irgendjemand anderen als nächsten Präsidenten sehen würde.

Tatsache ist auch, dass selbst Putins lauteste Gegner Gary Kasparow und Michail Kassianow – inzwischen getrennt voneinander, aber unisono – ihre Aufrufe zum Wahlboykott damit begründen, dass „unter den derzeitigen Bedingungen keine echte Oppositionspartei die Sieben-Prozent-Hürde überspringen“ könne, ihre Stimme also dem Kremllager zugeschlagen werde, „selbst wenn es keine Wahlfälschung geben sollte“, so Kassianow (ebenfalls in „Spiegel-online“ vom 9.11.2007).

Die neue Linke: Putin erfolgreichster Herrscher Russlands

Vertreter der neuen Linken im Land, die sich um die Bewegung eines russischen Sozialforums sammelt, sind da wesentlich klarer, wenn sie wie der Globalisierungskritiker Boris Kagarlitzki z. B. konstatieren, dass Putin sich als erfolgreichster Herrscher Russlands betrachten könne, gegen den sich zur Zeit kein Protest der Bevölkerung entwickeln lasse, weil die Mehrheit ihre Interessen durch ihn vertreten sehe.

Tatsache ist überdies, dass Putins außenpolitische Auftritte für ein starkes Russland ziemlich überzeugend ausfallen: Gegen die Kriegstreiberei der USA in München, in der Frage des Raketenstreites, des Kosovos und neuerdings auch sehr deutlich zum Iran. Den Kommentatoren der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ entlockte dies das widerwillige Eingeständnis, dass westliche Politiker der von diesen „Machtdemonstrationen“ ausgehenden Stabilisierung der Weltlage letztlich vielleicht gar noch Lob zollen könnten.

Die Wirtschaft stieg aus dem Keller

Als Boris Jelzin abtrat, exportierten die Oligarchen und andere Privatisierungshaie ihre Gewinne ins Ausland. Steuern, Löhne, Pensionen wurden nicht oder mit jahrelangen Verzögerungen bezahlt. Die betrieblichen, kommunalen und staatlichen  Sozialversorgungssysteme wurden aufgelöst. Putin hat es geschafft den weiteren Zerfall zu stoppen, das Chaos ansatzweise zu ordnen, dem Ausverkauf der Ressourcen eine staatlich kontrollierte Energiepolitik abzuringen. Die Wirtschaft stieg aus dem Keller der 98er Krise zu einem inzwischen stabilen Wachstum von ca. 6,5 Prozent jährlich auf. Russland befreite sich aus hoffnungsloser äußerer und innerer Verschuldung und defizitärem Budget. Der aktuelle Haushalt hat sich gegenüber dem Jahr 2000 versechsfacht. Ein Stabilitätsfond für mögliche Krisenzeiten wurde eingerichtet, dessen Kapital von umgerechnet ca. 127 Milliarden Dollar heute nach weltweiten Anlagemöglichkeiten sucht. Die Währungsreserven der Zentralbank erreichten ein Volumen von 417 Milliarden Dollar. Die Arbeitslosigkeit sank; die Inflation konnte gestoppt werden und so fort.

Die „Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft“ zur Integration des postsowjetischen Raums

Auch das weitere Auseinanderdriften des nachsowjetischen Erbes wie auch der russischen Föderation selbst wurde gestoppt: Nach der brutalen Niederschlagung des tschetschenischen Separatismus herrscht in Tschetschenien heute weitgehende Waffenruhe. Präsident Kadyrow betreibt zwar eine aktive Ordnungspolitik, verbunden mit effektivem Wiederaufbau der zerstörten Städte im Sinne Moskaus, betreibt sie aber nicht mehr militärisch, sondern polizeilich. Die GUS ist soweit wieder an Russland herangerückt, dass vor wenigen Wochen ein Gipfeltreffen der GUS-Staaten, der „Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft“ und der „Organisation des Vertrages für kollektive Sicherheit“ in Duschanbé stattfinden konnte, die sich die weitere Integration des postsowjetischen Raumes zum Ziel nahm.

Parallel dazu setzte ein Treffen der Anrainer des Kaspischen Meeres, einschließlich des Irans, nicht nur ein deutliches Zeichen dafür, in Fragen der Öl-Förderung des Raumes zukünftig kooperieren zu wollen, sondern versicherte sich vertraglich gegenseitig keiner fremden Macht zu gestatten von einem ihrer Territorien aus die anderen anzugreifen. Ein eindeutiges Signal an die NATO!

Der Kriegstreiberei der USA schließlich setzt Russland in zunehmendem Maße die Alternative einer kooperativen, multipolaren Orientierung entgegen, so mit dem Ausbau des Shanghaier Bündnisses, mit der Einbeziehung des Irans in dieses Bündnis und kürzlich erst mit dem Besuch Putins in Teheran, durch den Russland seinen Willen zu einer friedlichen Lösung des Iran-Konfliktes unmissverständlich demonstrierte.

Ziel Putins: Russland zum „Integrationsknoten“ Eurasiens zu machen

All dies geschah unter einem äußerst schmucklosen, kaum als solches erkennbaren Programm, mit dem Wladimir Putin bei seinem Antritt im Jahr 2000 im Internet seine Ziele in drei Punkten erläuterte:

- Wiederherstellung eines starken Staates.
- Rückbesinnung auf die eigenen Fähigkeiten Russlands, statt den Westen zu kopieren.
- Russland wieder zum „Integrationsknoten“ Eurasiens zu machen.
 
Mehr war nicht nötig. Dieses karge Programm reichte dafür, dass Putin von der gebeutelten russischen Bevölkerung mit 70 Prozent zum Retter des Landes erhoben wurde. Die dafür notwendigen Kräfte wuchsen ihm, durch das Chaos der Jelzinschen Hinterlassenschaft bedingt, von allen Seiten aus blankem Überlebensdruck des Landes freiwillig zu. So unterstützt konnte der als Mr. Nobody herbeigerufene Putin, den die von der Macht scheidende „Familie“ Jelzins, insbesondere die hinter ihnen stehenden Oligarchen, glaubten lenken zu können, zum Vollstrecker der nachsowjetischen Transformation werden, die sich somit in einem Dreischritt vollzog, der für die Entwicklung der großen Krisen der russischen Geschichte typisch ist: Zerfall des im Moskauer Zentrum gebündelten Konsenses der eurasischen Eliten unter Gorbatschow bis zur vollständigen Desintegration des Staates, russisch SMUTA unter Jelzin, danach Wiederherstellung des Zentrums auf neuem technischen und organisatorischem Niveau. Putin, jung, keiner der zerstrittenen Eliten angehörig, ausgebildet durch den KGB, und zudem in Geist und Technik asiatischen Kampfsportes zu Hause, war der richtige Mann zu rechten Zeit den Platz des restaurativen Modernisierers einzunehmen.

Warum es nicht die Note „Sehr gut“ geben kann

Alles gut also? Was lässt zögern? Die Gründe seien in aller Kürze benannt: Da ist erstens die Tatsache, dass Putins Erfolge ökonomisch auf dem Anstieg der Weltmarktpreise für Öl- und Gas beruhen. Mit stabilen Öl- und Gas-Preisen stehen und fallen seine Möglichkeiten wirtschaftlicher Befriedung. Zweitens hat Putins Stabilität den Schönheitsfehler, den neuen Reichtum ungleich zu verteilen; ungeachtet der allgemeinen Steigerung des Lebensniveaus setzt sich die Differenzierung des Einkommens in der Bevölkerung fort. Drittens harren die bereits beschlossenen Pläne für die 2005 nach Protesten der Bevölkerung vorläufig gestoppte sogenannte Monetarisierung der Umsetzung durch die neue Regierungsmannschaft.

Monetarisierung heißt aber nicht nur einfach Verteuerung durch Angleichung an die durch die WTO vorgegebenen Preis-Standards, es bedeutet darüber hinaus gezielte Angriffe auf die traditionell gewachsenen Strukturen der Selbstversorgung und der in Russland sozial weit entwickelten Ebenen des Tausches, d.h., es geht um grundlegende Angriffe auf die Lebensweise und Lebenslage des Volkes.

Dies alles bedeutet: Es ist nicht klar, ob die Geister, die Putin zur Stabilisierung rief, auch in Zukunft so gebannt werden können, dass sie der Bevölkerung nützen. Wenn nicht, dann stehen Russland schwere Zeiten bevor.

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Mehr von Kai Ehlers: www.kai-ehlers.de

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