„Der rote Drache ist kein Schmusetier“ von Hanne Seelmann-HolzmannGELESEN

„Der rote Drache ist kein Schmusetier“ von Hanne Seelmann-Holzmann

Worauf es im Chinageschäft ankommt, warum die richtige Strategie entscheidend ist für den Erfolg, wie die Erfahrungen von deutschen Unternehmen im Reich der Mitte aussehen und was China-Neulinge davon lernen können – das ist umrissartig der Inhalt dieses Buches. Der Leser wird sehr lebensnah und teils recht humorvoll in asiatische Gepflogenheiten eingeführt. Und ganz nebenbei erfährt er in einem „Exkurs“ was z.B. die Begeisterung mancher deutscher Männer für chinesische Frauen an geschäftlichen Folgen nach sich ziehen kann.

Von Hans Wagner

„Der rote Drache ist kein Schmusetier – Strategien für langfristige Erfolge in China“ von Hanne Seelmann-Holzmann  
„Der rote Drache ist kein Schmusetier – Strategien für langfristige Erfolge in China“ von Hanne Seelmann-Holzmann  

M an merkt diesem Buch sehr schnell an, dass seine Autorin nicht irgendwann einmal für eine mehr oder weniger kurze Zeit mit China zu tun hatte und nun versucht, möglichst lange von ihren Erkenntnissen zu zehren. Es ist im Gegenteil der Bericht einer Expertin, die permanent im Asiengeschäft tätig ist. Neben ihren eigenen Erfahrungen sind viele Rückmeldungen in das Manuskript eingeflossen, die sie von ihren Geschäftspartnern erfahren hat.

Dazu gehören Praxisbeispiele von Unternehmen wie der Kaplan AG oder der MAN Roland Druckmaschinen. Hinzu kommen aufschlussreiche Interviews. Am meisten beeindruckt jenes, das Hanne Seelmann mit dem Chinaexperten der Deutschen Bank, Direktor Dieter Hierner aus München, geführt hat. Er gibt gut begründete Ratschläge, zum Beispiel welche Erwartungen der Chinesen an ein deutsches Markenprodukt zu erfüllen seien und wie man als Unternehmen seine Mitarbeiter auf die Gegebenheiten des Chinamarktes vorbereitet. Besonders interessant jedoch erscheint eine Idee, die Hierner aus China mitgebracht hat:

„Ich habe in China viel gelernt über das landestypische Geschäftsverständnis und –gebaren. Und ich habe eine zentrale Idee exportiert. Im Reich der Mitte ist das gesamte soziale und wirtschaftliche Leben über Guanxi, das heißt Netzwerke, organisiert. Selbstverständlich werden die auch genutzt, um die chinesischen Interessen gegenüber ausländischen Investoren oder Verkäufern durchzusetzen. Es ist üblich, dass sich die chinesischen Einkäufer vor einer Messe am Abend treffen, sich über die ausländischen Anbieter austauschen und eine gemeinsame Vorgehensweise entwickeln. […] Warum sollen wir das nicht auch tun? Warum nicht von den Chinesen lernen?“

Informationsbörsen einrichten – Netzwerke bilden

„Der rote Drache ist kein Schmusetier“, hat Hanne Seelmann ihr Buch betitelt. Hierner ergänzt aus seiner Erfahrung: „Der Ritt auf dem Drachen ist nichts für Einzelkämpfer!“ Seine Empfehlung lautet: „Bildet Netzwerke.“ Anfänge sind wohl schon gemacht. Hierner: „Nennen Sie es Stammtisch oder Jour fixe, es ist eine Unterstützung für diejenigen Firmenvertreter, die sich mit der Wirtschaftsmacht China optimal auseinander setzen wollen […] Wir veranstalten diese Treffen in den Regionen, sind also nahe an den Interessenten. Es ist keine Informationsveranstaltung der Deutschen Bank, sondern eine Informationsbörse, wo wir auch externe Experten einladen.“ – Die Autorin hat der Einfachheit halber ihren Lesern gleich ihr eigenes Institut als Ansprechpartner empfohlen: info@DialogAsia.de.

Hanne Seelmann nennt die Volksrepublik China „das Land der vielen Wirklichkeiten“. Das bedeutet: „Der rote Drache hat viele Gesichter. Einerseits gibt es die Boomregionen: schrill, westlich, modern, hungrig nach Erfolg, die unser Chinabild maßgeblich prägen. Andererseits existieren aber auch Planwirtschaft, einflussreiche Politkader, Korruption und die tiefe Kluft zwischen den Wirtschaftszentren und dem Rest des Landes. Mit welchem China müssen also deutsche Unternehmer rechnen?“

Mit dem der großen Städte Shanghai, Peking, Shezen, in denen Wolkenkratzer in den Himmel schießen, der Transrapid fahren darf, die Nobelmarken der Welt vertreten sind? Mit dem China, in dem es Schönheitswettbewerbe, Schönheitsoperationen, wilde Rockmusiker, avantgardistische Künstler und vor allem eine Menge junge Leute gibt, die entschlossen sind, die Chancen der wirtschaftlichen Ordnung zu nutzen?  

Das trifft, so schätzt die Autorin, für maximal zehn Prozent der Bevölkerung zu. „Aber diese zehn Prozent sind laut und medienpräsent. Es sind die Menschen, mit denen Westbesucher oder Investoren Kontakt haben. 90 Prozent der Bevölkerung und der Lebensumstände sind jedoch anders.“

Hanne Seelmann sagt auch wie: „Das Wirtschaftsleben Chinas – und damit die Rolle, die ausländische Unternehmen hier spielen dürfen – wird beherrscht und kontrolliert von den ‚roten Prinzen und Prinzessinnen’. Das sind Söhne und Töchter aus den einflussreichen Politikerfamilien, und sie regieren heute auch in der sozialistischen Marktwirtschaft. Pragmatisch formulierte diesen Anspruch bereits Deng Xiaoping, der Vater des Projektes: ‚Es ist egal, ob die Katze schwarz oder weiß ist – die Hauptsache sie fängt Mäuse.’“ – Anders ausgedrückt: wie das System heißt, unter dem es den China gut geht, seine Wirtschaft floriert, seine Menschen und der Staat Geld verdienen, ist den Chinesen reichlich einerlei.

Es gehört zu den vielen Wirklichkeiten Chinas die in diesem Buch zu tage treten, dass das Land zutiefst zerrissen ist. Das Einkommensgefälle zwischen den Regionen nimmt täglich zu. Einstmals war dies gewollt – die bewusst eingerichteten „Sonderwirtschaftszonen“ waren als Ansporn gedacht und als Wachstumsmotoren, die irgendwann das ganze Land anschieben sollten. Doch dies ist bislang ausgeblieben und wohl auch nie zu verwirklichen. Im Osten liegt die Goldküste – im Westen das Armenhaus. Es herrscht eine tiefe Kluft zwischen Regionen – und zwischen Generationen: 800 Millionen einkommensschwache Bauern, die von einem Euro am Tag leben – und daneben gut ausgebildete Stadtbewohner mit Gehältern von 2000.- Euro und mehr. Die Autorin fragt sich: „Ob wohl alle Chinesen das Gefühl haben, im gleichen Jahrhundert und im gleichen Land zu leben?“

Noch immer fehlt es vielen Unternehmen an einer Chinastrategie

Viele Unternehmer ziehen überstürzt und blauäugig gen China – bis zur Hälfte aller Umsatzrenditen sind negativ. Und das obwohl im Westen bereits seit einem Vierteljahrhundert Erfahrungen mit dem neuen China nach der Öffnung durch Deng gemacht werden konnten. Die ersten chinesischen Privatunternehmen waren bereits 1980 zugelassen worden.

Die erfahrene Unternehmensberaterin Hanne Seelmann rät: „Der erste Schritt im Chinageschäft heißt Entwicklung einer Chinastrategie.“ An sich eine Selbstverständlichkeit, aber sie werde noch immer sträflich vernachlässigt. Zu einer solchen Strategie zählt die Autorin Antworten auf Fragen wie diese: Welche infrastrukturellen Bedingungen finde ich vor? Wie sieht es mit der Qualifikation der chinesischen Arbeiter aus? Welchen Bildungshintergrund haben diese Menschen? Welche Lebensziele haben sie? Decken sich ihre Erwartungen mit meinen? In welchem Umfang muss ich erst einmal Vorinvestitionen tätigen – zum Beispiel Qualifizierungen durchführen? Wie finde ich die richtigen Mitarbeiter? Zu diesen Fragen wird das Expertenwissen der Autorin und das ihrer Interviewpartner und Praxisbeispiele ausgebreitet.

Ein kleines Kapitel ist auch der Rolle der chinesischen Frauen innerhalb des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufschwungs gewidmet: „Die gut ausgebildeten Frauen der chinesischen Großstädte gehören zu den Gewinnern des gegenwärtigen Booms.“ Hanne  Seelmann schildert ihre Karrierechancen und warnt gleichzeitig vor ihnen. Denn westliche Unternehmer gehen ihnen verhältnismäßig leicht auf den Leim. Junge und clevere Chinesinnen setzten alles ein, wenn sie eine Chance wittern, in einem westlichen Unternehmen das Sagen zu bekommen. Und manch eine hätte es auf dem Weg über die „Privatsekretärin“ auch schon geschafft, sich die komplette Firma unter ihre sorgsam manikürten Nägel zu reißen. Das ist ein hoch spannendes Thema, über das man in kaum einem anderen Buch etwas liest – und man würde sich wünschen, davon noch mehr zu erfahren.

Große geschäftliche Chancen sind, das zeigt die Erfahrung, auch immer mit großen Risiken verbunden. Das ist im China des 20. und 21. Jahrhunderts nicht anders als einst in Russland, Amerika oder Australien. Hanne Seelmann gelingt es teils recht humorvoll und lebensnah die kleinen und großen Fallen aufzuzeigen. Und sie bleibt dabei nicht stehen. Von bloßen Warnungen und einem erhobenen Zeigefinger könnte der Leser kaum wirklich profitieren. Die Autorin ist jedoch mit Rat und Tat zur Stelle.  Ob es um den Aufbau und die Sicherung einer Marktposition geht, um die richtige Chinastrategie, um eine optimale Personalpolitik im Chinageschäft oder um Chinesen als Investoren im Ausland – „nach der Warenschwemme nun die Unternehmensschwemme?“ Das Buch gibt außerdem einen spannenden und überaus faszinierenden Einblick in die zweite chinesische Kulturrevolution, die derzeit in vollem Gange ist. – Ein sehr leserfreundliches Sachregister steigert den Gebrauchswert des Buches und rundet den überaus positiven Gesamteindruck  ab.

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Rezension zu: „Der rote Drache ist kein Schmusetier – Strategien für langfristige Erfolge in China“ von Hanne Seelmann-Holzmann, Redline Wirtschaftsverlag, Heidelberg, 2006,  190  Seiten, 24,90  Euro, ISBN 3-636- 01343-2.

Lesen Sie auch das viel beachtete Interview mit Hanne Seelmann in EM 12-04: „Was unsere Unternehmer in China machen, ist Harakiri.“

China Rezension Wirtschaft

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