„Die Beziehungen zwischen NATO und EU. Partnerschaft, Konkurrenz, Rivalität?“ von Johannes Varwick (Hrsg.)GELESEN

„Die Beziehungen zwischen NATO und EU. Partnerschaft, Konkurrenz, Rivalität?“ von Johannes Varwick (Hrsg.)

Seit Ende der neunziger Jahre treibt die Europäische Union entschlossen ihren Integrationsprozeß in der Sicherheitspolitik voran. Das von Johannes Varwick herausgegebene Buch zeichnet diese Entwicklung nach.

Von Friedrich Mannstein

„Die Beziehungen zwischen NATO und EU. Partnerschaft, Konkurrenz, Rivalität?“ von Johannes Varwick (Hrsg.)  
„Die Beziehungen zwischen NATO und EU. Partnerschaft, Konkurrenz, Rivalität?“ von Johannes Varwick (Hrsg.)  

S eit Ende der neunziger Jahre treibt die Europäische Union entschlossen ihren Integrationsprozeß in der Sicherheitspolitik voran. Das von Johannes Varwick herausgegebene Buch zeichnet diese Entwicklung nach.

Die Kriege im Kosovo (1999) und im Irak (2003) haben der Diskussion über eine eigenständige Sicherheitspolitik der Europäischen Union einen mächtigen Schub gegeben. Als Geburtsstunde der ESVP, der „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, gilt das EU-Gipfeltreffen am 3. und 4. Juni 1999 – noch während des Kosovo-Krieges. Damals beschloß der Europäische Rat, eigene militärische Fähigkeiten außerhalb der Organisation der NATO zu entwickeln. Seither machten sich die Europäer an den Aufbau der „Europäischen Schnellen Eingreiftruppe“ und der „Kampftruppen“. Das Einsatzgebiet dieser Kampftruppen ist noch größer als das der Eingreiftruppen, ihre Verbände sind noch schneller einsatzbereit. In spätestens zehn Tagen sollen sie militärische Missionen beginnen können, ihr Einsatzradius wird 6.000 Kilometer betragen, was der Distanz Brüssel – Islamabad entspricht.

Die Streitigkeiten in der EU über den richtigen Standpunkt zum Irak-Krieg fügten dem Versuch der Europäer auch in der Sicherheitspolitik stärker zu kooperieren erheblichen Schaden zu. Der Irak-Krieg war nicht nur ein Tiefpunkt in den transatlantischen Beziehungen, sondern auch in den Beziehungen zwischen den EU-Staaten. Dennoch war das Jahr 2003 aus zwei Gründen von großer Bedeutung für die Entwicklung der ESVP. Erstens einigten sich die Europäische Union und die NATO am 17. März auf die „Berlin-Plus-Vereinbarungen“, drei Tage bevor die US-Invasionstruppen die ersten Bomben auf Bagdad abfeuerten. Auf der Grundlage Berlin-Plus kann die EU bei militärischen Einsätzen auf die Fähigkeiten und Planungskapazitäten der NATO zurückgreifen, wobei grundsätzlich das Primat der Transatlantischen Allianz gilt: Die EU kann nur dann einen militärischen Einsatz durchführen, wenn die NATO nicht selbst als Ganzes, d.h. unter Einschluß der USA, aktiv wird. Die erste EU-Mission nach dem Muster von Berlin-Plus war die „Operation Concordia“ Ende März 2003.

Schlüsseljahr 2003: „Berlin-Plus“ und EU-Sicherheitsstrategie

Das Jahr 2003 war zweitens ein wichtiger Schritt in Richtung einer eigenständigen europäischen Sicherheitspolitik, weil der Europäische Rat im Dezember eine EU-Sicherheitsstrategie verabschiedete. Unter dem Titel „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ wird erstmals der Versuch unternommen gemeinsame Ziele und Interessen in der Sicherheitspolitik zu formulieren – ein Unikum in der Geschichte der europäischen Integration. Ganz anders in den USA, wo der Präsident gesetzlich verpflichtet ist zu Beginn seiner Amtszeit eine Nationale Sicherheitsstrategie vorzulegen.

Dies ist der politische Hintergrund, den das von Johannes Varwick (Universität Kiel) herausgegebene Buch analysiert. Der Politikwissenschaftler scharte 18 Autoren aus Wissenschaft und Praxis um sich, die sich mit dem Thema europäische Sicherheitspolitik in fundierten Beiträgen auseinandersetzen. Sven Gareis arbeitet die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Europäischen und der US-amerikanischen Sicherheitsstrategie heraus, Mathias Dembinski nimmt die Berlin-Plus-Vereinbarungen unter die Lupe. Hans-Georg Ehrhardt und Lutz Holländer widmen ihre Beiträge den ESVP-Missionen in Mazedonien und in Bosnien-Herzegowina. Eine gute Orientierungshilfe bietet der Anhang mit Daten zu allen NATO- und EU-Staaten, einem Zeitstrahl zu den Beziehungen zwischen beiden Organisationen und einer umfangreichen Bibliographie.

Eine gelungene Einführung

Ohne Zweifel kann das Buch zu einem Standardwerk seines Fachgebietes werden. Es zeichnet die Entwicklung der ESVP nach und bietet eine gelungene Einführung in die europäische Sicherheitspolitik. Die Autoren befassen sich mit den wichtigsten Konflikten und Streitfragen im Verhältnis zwischen NATO und EU – faktisch also zwischen den USA und der EU. Und doch bleibt ihre Analyse gerade an diesem Punkt merkwürdig unpräzise. Die alles entscheidende Frage, ob NATO und EU nun Partner oder Konkurrenten sind, findet keine befriedigende Antwort. Es ist diskussionswürdig, ob der Herausgeber gut beraten war mit Pol De Witte und Fritz Rademacher ausgerechnet zwei NATO-Mitarbeiter zu dieser Frage Stellung beziehen zu lassen. De Witte arbeitet in der „Abteilung für Politische Angelegenheiten“ der Brüsseler NATO-Zentrale. Erwartungsgemäß stellt er die Kooperationsmöglichkeiten von NATO und EU in den Vordergrund und ignoriert ganz im Stile eines Diplomaten konfliktträchtige Politikgrößen wie Macht und Einfluß.

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Rezension zu: „Die Beziehungen zwischen NATO und EU. Partnerschaft, Konkurrenz, Rivalität?“ von Johannes Varwick (Hrsg.), Opladen 2005, Verlag Barbara Budrich, 320 Seiten, ISBN 3-938094-10-9, 36,00 Euro.

EU Militär Rezension

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