Die Wiege der Rumänischen RevolutionOSTEUROPA

Die Wiege der Rumänischen Revolution

Die Wiege der Rumänischen Revolution

Vor 15 Jahren läuteten Demonstranten in Temeswar das Ende der kommunistischen Diktatur von Nicolae Ceausescu ein.

Von Andreas Metz & Uta Westermann

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„In memoriam decembrie 1989“ – Das Revolutions-denkmal des ungarisch-stämmigen Künstlers Peter Jecza in Temeswar.
© Höfer
 
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er heute durch Temeswar (Timisoara) im Westen Rumäniens spaziert, vorbei an den renovierten Fassaden der Habsburger Zeit, der kann sich schwer vorstellen, was hier vor 15 Jahren geschah. Die Stadt im Banat, die man früher gerne als „Klein Wien“ bezeichnete, und die einen ähnlichen Caféhaus-Charme versprüht, wurde im Dezember 1989 Schauplatz der blutigsten Auseinandersetzung im ganzen Ostblock. Einheiten des staatlichen Geheimdienstes Securitate machten Jagd auf Demonstranten, beschossen sie aus Panzern und Hubschraubern heraus und richteten ein schreckliches Blutbad an. Bis heute ist die genaue Opferzahl nicht bekannt. Es könnten mehrere Hundert gewesen sein. In Temeswar wurde das wahr gemacht, was im Spätherbst 1989 drohend wie ein Damokles-Schwert über fast allen aufrührerischen osteuropäischen Städten hing, egal ob sie Ost-Berlin oder Leipzig, Sofia oder Prag hießen: die sogenannte Chinesische Lösung, die brutale Unterdrückung von Demonstrationen.

Anlaß für die Massenproteste im Reich des kommunistischen Diktators Nicolae Ceausescu, der Rumänien seit 1965 im Griff hielt, war die drohende Verbannung eines ungarischen Pfarrers. Der regimekritische Lazslo Tökes sollte aus der großen ungarischen Gemeinde in Temeswar entfernt und in ein Dorf in die Berge verbannt werden. Doch Gläubige kamen der Securitate zuvor, bildeten einen menschlichen Schutzwall um die Sakristei, in der sich Tökes versteckt hielt. Aus Wenigen, die den Anfang wagten, wurden Tausende. Szenen wie kürzlich in Kiew spielten sich ab. Die Temeswarer Bevölkerung besetzte rund um die Uhr den wichtigsten Platz der Stadt. Vom Balkon der Oper wurden Reden gehalten und erste Forderungen an die Adresse des Diktators in der Hauptstadt Bukarest gestellt. Das Regime reagierte mit der Isolierung und brutalen Zerschlagung der Protestbewegung. Die nahen Grenzen zu Ungarn und Jugoslawien wurden geschlossen, die Stadt mit Panzern abgeriegelt, Telefonleitungen gekappt. In einer Zeit, in der es noch kein Internet gab, waren es ein paar serbische, österreichische und ungarische Reisende, die die Welt zuerst auf das blutige Drama von Temeswar aufmerksam machten.

„Laßt uns nicht allein!“

Der Rumäniendeutsche Siegfried Thiel war damals 29 Jahre alt. Die Bilder der belagerten Stadt haben sich ihm eingebrannt: „Es hat wie nach einem großen Sturm ausgesehen. Überall lagen Scherben herum. Die Menschen um mich herum waren bedrückt.“ Doch der Ruf der Demonstranten „Laßt uns nicht allein“, erreichte auch den jungen Lehrer. Er ging zu ihnen auf die Straße, mußte erleben, wie 30 Meter von ihm entfernt ein Mann von einer Kugel getroffen wurde. Doch anstatt Angst zu haben, reagierte Thiel mit Trotz: „Mundtot kann man uns nicht machen.“

Die Toten von Temeswar starben nicht vergeblich. Nach ein paar Tagen wurde in den Großbetrieben der Umgebung zu Streiks aufgerufen, die Armee wechselte die Seite und die Bewegung sprang auf andere rumänische Städte über. Am Ende wurde Ceausescu mit seinen eigenen grausamen Mitteln geschlagen und am 25. Dezember, nur zehn Tage nach Beginn der Proteste, zusammen mit seiner Ehefrau vor laufenden Kameras hingerichtet – nach einem bis heute nicht aufgearbeiteten Prozeß vor einem Militärgericht und mit Zustimmung seiner innerparteilichen Gegner und ehemaligen Gefolgsleute.

An den barocken Fassaden der 320.000-Einwohnerstadt Temeswar scheint der Schrecken dieser Zeit heute abzuprallen. In 15 Jahren ist viel passiert. Früher gab es abends keinen Strom, man konnte kein vernünftiges Essen kaufen, mußte Stunden in der Schlange stehen und jederzeit mit der Willkür der Miliz rechnen, wie sich Siegfried Thiel erinnert. Heute profitiert die Stadt an der ungarischen Grenze von der Nähe zur EU. Nicht zuletzt deutsche Firmen wie Continental und Linde haben Produktionsstätten in Stadtnähe errichtet, angelockt von den niedrigen Löhnen und dem geplanten EU-Beitritt Rumäniens 2007. Die Arbeitslosigkeit in Temeswar wird offiziell mit 7,8 Prozent angegeben. Zum Wirtschaftsaufschwung trägt auch die deutsche Tradition in der Region bei, die ein für deutsche Firmen investitions­freundliches Umfeld schafft. Vereinzelt kommen auch ausgewanderte Rumäniendeutsche zurück, vornehmlich Banater Schwaben. Sie verließen in der Ceausescu-Zeit, vor allem unmittelbar nach der Wende, scharenweise das Land und entdecken nun wieder ihre Wurzeln.

Stolpersteine und Gedenkstätten

Die Tage des sowohl grauen als auch grauenvollen Ceausescu-Regimes scheinen Lichtjahre her, vorbei und vergessen. Doch wie die alten Strukturen immer noch die rumänische Gesellschaft bestimmen, konnte man bei der Ende November stattfindenden ersten Runde der Präsidentenwahlen sehen, als wieder einmal von Korruption und Wahlfälschungen die Rede war.

Um so wichtiger sind die kleinen Stolpersteine, die Gedächtnisstützen, die man im Zentrum von Temeswar findet, wenn man genau hinschaut. Zwölf Denkmäler internationaler Künstler wurden im ganzen Stadtgebiet aufgestellt. Sie markieren Plätze, an denen Menschen 1989 zu Tode kamen. Auf dem Heldenfriedhof nahe der Innenstadt wurden sie begraben, ihnen zu Ehren wurde eine große Gedenkstätte angelegt. Und in einem Haus in der Straße Emanuil Ungureanu 8 befindet sich das „Nationale Zentrum zur Erforschung der Revolution“. Hier lassen große Schwarz-Weiß-Fotos den so tragischen wie heldenhaften Dezember 1989 in Temeswar lebendig werden, und eine kleine Gruppe von Historikern bemüht sich zäh um die Erforschung der jüngeren rumänischen Vergangenheit.

In diesem Monat gedenkt Temeswar der rumänischen Revolution in mehreren Veranstaltungen, an denen auch hochrangige Gäste aus dem ganzen Land teilnehmen, unter ihnen der deutsche Botschafter Wilfried Gruber. Welch weiter Weg bei der Aufarbeitung der Geschehnisse vom Dezember 1989 noch zurückzulegen ist, zeigt das Beispiel einer Mitarbeiterin des Zentrums zur Erforschung der Revolution. Ihr eigener Vater, erzählt sie mit bitterem Blick, habe damals in Temeswar auf der anderen Seite gestanden – bei der Miliz. Bis heute sei es ihr nicht gelungen, mit ihm über diese Zeit zu reden.

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Die Autoren sind Korrespondenten von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Autoren in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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