Die jungtürkische Revolution von 1908 und die Rolle DeutschlandsGESCHICHTE DER TÜRKEI

Die jungtürkische Revolution von 1908 und die Rolle Deutschlands

Die deutsch-türkischen Beziehungen entwickelten sich in der Ära von Sultan Abdülhamid II. (1876-1909) im Allgemeinen sehr positiv. Nach der jungtürkischen Revolution von 1908 traten die Beziehungen zwischen beiden Ländern in eine neue Phase, in der Deutschland seine Machtposition in Istanbul dank der Tätigkeit seiner in den türkischen Diensten stehenden Offiziere ausbauen konnte. Der Staatsstreich vom 23. Januar 1913 brachte germanophile Offiziere wie Mahmut Sevket Pascha an die Macht, was den deutschen Einfluss in der türkischen Hauptstadt festigte.

Von Fahri Türk

D ie Botschafter der europäischen Großmächte waren in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Istanbul so einflussreich, dass die türkischen Staatsmänner auf die Hilfe der fremden Mächte angewiesen waren, um überhaupt an die Macht zu kommen. Die Paschas, die mit Unterstützung eines europäischen Landes an die Macht gekommen waren, bemühten sich natürlich darum, den Einfluss ihrer Unterstützer in Istanbul zur Geltung zu bringen. Während Reşit Pascha z. B. seine politische Karriere dem englischen Botschafter Canning zu verdanken hatte, war Ali Pascha für seine frankophilen Ansichten bekannt. Aufgrund seiner russlandnahen Politik wurde Mahmut Nedim Pascha ein Spielzeug in den Händen des russischen Botschafters Ignatiew in Istanbul. Der osmanische Generalstabschef Ahmet Izzet Pascha verweist in einer Schrift darauf, dass diese von den türkischen Paschas hingenommenen und den Nationalstolz verletzenden Umstände einer der wichtigsten Gründe für den Zerfall des Osmanischen Reiches gewesen seien.

Der Aufstieg Deutschlands zu Macht und Einfluss im Osmanischen Reich

Als Deutschland nach der Reichsgründung im Jahre 1871 sehr rasch zu einer Großmacht in Europa emporstieg, veränderte sich die Mächtekonstellation von Grund auf. Die Situation führte zu einer Annäherung zwischen England und Russland. Mit anderen Worten: Die beiden Staaten intensivierten ihre bilateralen Beziehungen gegenseitig. Wegen der tief greifenden  politischen, kulturellen, militärischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland setzte sich die deutsche Führung für die territoriale Integrität des Osmanischen Reiches gegenüber seinen Konkurrenten England, Frankreich und Russland ein. In der Zeit davor war dies von England praktiziert worden.

Ab diesem Zeitpunkt beeinflusste der deutsche Botschafter Baron Marschall von Bieberstein die politischen Geschehnisse in Istanbul in starkem Maße. Nachdem Marshall von Bieberstein Ferit Pascha als Stadtpräfekt in zentralanatolischen Konya kennen gelernt hatte, hatte er den Sultan Abdülhamit II. dahingehend beeinflusst, dass er Ferit Pascha zum Großwesir ernannte.

Kaiser Wilhelm II. unterstützt die panislamische Politik des türkischen Sultans

Während der zweiten Kaiserreise von Wilhelm II. im Jahre 1898 erreichte die politisch-diplomatische Unterstützung der Türkei durch Deutschland ihren Höhepunkt. Bei  dieser Reise tat der deutsche Kaiser kund, dass sein Land die panislamische Politik der Türkei voll unterstütze. Deutschland ging allerdings bezüglich dieser Frage noch weiter und appellierte  1908 im Nahmen der türkischen Regierung an die chinesische Regierung, auf die Rechte der Muslime in der autonomen Region Xinjiang-Uighur zu achten.

Die panislamische Politik war ein wichtiger Bestandteil der damaligen Türkeipolitik des Kaiserreichs gewesen. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, dass Deutschland während des Ersten Weltkrieges (1915) mit der Türkei gemeinsam eine Mission nach Afghanistan  schickte. Da die türkischen Delegierten nach einiger Zeit zurückberufen wurden, traten die Deutschen unter Führung von Oskar von Niedermayer im August 1915 allein in Kabul an. Deren Mission bewirkte, dass der afghanische König Habibullah versuchte, den Emir von Afghanistan, zu einem Krieg gegen Indien zu bewegen, um England in seinen Kolonien zu treffen. Habibullah sagte Niedermayer, dass er jedoch auf die Ankunft der versprochenen gemeinsamen deutsch-türkischen Armee warten werde.

Die Saloniki-Gruppe des Vereins für Einheit und Fortschritt

Dem von der nationalen türkischen Offizieren gegründeten „Verein für Einheit und Fortschritt“ und seinen führenden Gruppen war ebenfalls klar, dass man sich um die Unterstützung einer europäischen Großmacht bemühen sollte, um in Istanbul an die Macht zu kommen. Am Anfang sympathisierten die darin versammelten Jungtürken mit England und Frankreich. Diese betrachteten Deutschland als diejenige europäische Macht, die den despotischen Monarchen am Bosporus unterstützt. In der Monastir-Gruppe des Vereins war die Feindschaft Deutschland gegenüber so übertrieben, dass man sogar beim Eintritt in diese Geheimgesellschaft auf die Beendigung des deutschen Einflusses in Istanbul schwor.

Dagegen konnte man innerhalb der so genannten Saloniki-Gruppe des „Vereins für Einheit und Fortschritt“ weder von einem starken englischen Einfluss noch von einer Deutschlandfeindlichkeit sprechen. Die Entwicklung der Handelsbeziehungen zwischen Saloniki einerseits und Deutschland und Österreich andererseits führte zu einer Annäherung der Kaufleute aus Saloniki an Deutschland. Die Deutschen arbeiteten in dieser Epoche hauptsächlich mit den Juden und Muslimen zusammen, die bereit und willig waren.

Man betrachtete die jungtürkische Revolution auf den ersten Blick als Erfolg Englands und Misserfolg Deutschlands. Aber England konnte die national gesinnten Jungtürken bald darauf nicht länger dulden. So fingen die Briten an, gegen die Jungtürken zu arbeiten, indem sie nun die Partei für Freiheit und Einigung unterstützten anstelle der Partei für Einheit und Fortschritt.

Die deutschen Reformoffiziere bildeten türkische Offiziere aus

Deutschland legte Wert auf die Ausbildung der türkischen Offiziere in deutschen Kasernen, bzw. Militärschulen. Diese leistete auch einen großen Beitrag für die Entwicklung der Beziehungen zwischen beiden Ländern im Handel und in der Politik. Berlin verließ sich auf die jungen Offiziere, die eine deutsche Ausbildung entweder in der Türkei oder in Deutschland genossen.

Vor allem spielten die deutschen Militärmissionen in der Ära von Abdülhamid II. bei der Verstärkung des deutschen Einflusses in der Türkei eine entscheidende Rolle, was auch vom deutschen Kriegsministerium in einem Lagebericht bestätigt wurde. Diejenigen türkischen Offiziere, die ihre Ausbildung in Deutschland absolvierten, hatten nach ihrer Rückkehr wichtige Posten in Istanbul inne. Ali Riza Pascha zum Beispiel, der zwischen 1882 und 1886 beim Feldartillerieregiment in Oranien (Niederlande) gedient hatte, ernannte man nach seiner Rückkehr zum Chef der türkischen Artillerieabteilung im türkischen Kriegsministerium.
Aus den deutschen Konsularberichten geht hervor, dass der aufrichtige Deutschlandfreund Oberst Pertev Bey als türkischer Militärattaché nach Berlin geholt werden solle. Darüber hinaus organisierte der deutsche Militärattache Hauptmann von Morgen Bildungsreisen für die türkischen Offiziere nach Deutschland. So war der deutsche Einfluss bereits im Jahre 1913 sowohl im Komitee der Partei für Einheit und Fortschritt als auch in der türkischen Armee felsenfest gewesen.

Ein Ostpreuße in den türkischen Diensten - Freiherr Colmar von der Goltz

Freiherr Colmar von der Goltz, der zwischen 1883 und 1895 bei der Kriegsakademie in Istanbul als Lehrer tätig gewesen war, erzog seine Schüler mit eiserner preußischer Disziplin. Dies führte verständlicherweise zur Verstärkung des deutschen Einflusses nach der jungtürkischen Revolution in Istanbul. Colmar von der Goltz stellte seinen Assistenten Mahmut Şevket - später starker Mann unter den Jungtürken vor allem nach dem Staatsstreich im Januar 1913 - dem Sultan Abdülhamid II. vor. Infolgedessen wurde Mahmut Şevket im Jahre 1886 als Mitglied der Gewehrabnahmekommission nach Oberndorf am Neckar geschickt, wo sich die Mauser-Werke befanden.

Darüber hinaus spielten Mahmut Şevket und sein Lehrer eine entscheidende Rolle bei der Annahme des Mausergewehres als türkisches Infanteriegewehr. Nachdem Mahmut Şevket im Jahre 1895 nach Istanbul zurückgekehrt war, hatte er zunächst in den technischen Kommissionen des türkischen Waffenamtes gearbeitet. Als Mahmut Şevket  1913 an die Macht geputscht wurde, bevorzugte er verständlicherweise Deutschland vor den anderen europäischen Mächten wie England und Frankreich.

In seinen Erinnerungen gab Colmar von der Goltz zu, selbst bei der Annahme der deutschen Waffen in der türkischen Armee eine große Rolle gespielt zu haben. Tatsächlich überzeugte Colmar von der Goltz Abdülhamid II. 1885 davon, dass er 500 schwere Kanonen für die Verteidigung der Dardanellen bei der Firma Krupp bestellte. Kurzum: Die deutschen Waffenfabrikanten Mauser und Krupp erlangten gegenüber ihren Hauptkonkurrenten Vickers & Armstrong und Schneider-Cruzot eine Monopolstellung in der Ära Colmar von der Goltz (1883-1895).  Die Waffenbestellung, die in Deutschland in Auftrag gegeben wurde, belief sich auf 100.000.000 Franken. Die türkischen Offiziere, die nach Deutschland geschickt worden waren, waren überwiegend Artillerieoffiziere gewesen, was im Hinblick auf die Waffenkäufe aus Deutschland von enormer Bedeutung war.

Die Schüler des Colmar von der Goltz kommen an die Macht

Als Mahmut Şevket Pascha nach dem Staatsstreich vom 23. Januar 1913 an die Macht kam, drahtete er mit seinem Lehrer Colmar von der Goltz. Mahmut Şevket konsultierte zu den wichtigsten Fragen den deutschen Botschafter Wangenheim, bevor er seine Entscheidungen traf. Als  der russophile Mahmut Muhtar Pascha versuchte die jungen türkischen Offiziere zu beeinflussen, sagte Mahmut Şevket Wangenheim, er solle ihn als Botschafter lieber nach Berlin anstatt nach St.-Petersburg entsenden. Denn Mahmut Muhtar wollte selbst nach St.-Peterburg gehen.

Am Anfang der jungtürkischen Revolution gab es noch eine deutschlandfeindliche Atmosphäre im Komitee der jungtürkischen Partei, wovon auch die Firma Krupp im starken Maße betroffen war. Als die Staatsmacht aber in die Hände der Schüler des Colmar von der Goltz überging, bestellte man Waffen direkt bei den deutschen Firmen, ohne andere ausländischen Firmen in die Konkurrenz einzubeziehen.

Die deutsche Position stabilisiert sich in Istanbul

Deutschland bemühte sich nach der Revolution von 1908 weiterhin darum, die jungen und talentierten türkischen Offiziere zu beeinflussen. Wangenheim z. B. redete mit dem Kriegsminister Ahmet İzzet Pascha über die Entsendung Enver Beys – Generalissimus im Ersten Weltkrieg-  als Militärattaché nach Berlin. Als Enver Bey später überlegte, für eine Blinddarmoperation nach Deutschland zu gehen, teilte Wangenheim Berlin mit, dass man diese Gelegenheit dazu nutzen solle, Enver Bey zu beeinflussen. Damit wollte man die Voreingenommenheit der Jungtürken Deutschland gegenüber beseitigen.

Als Kamil Pascha versuchte, dem deutschen Einfluss in der türkischen Armee ein Ende zu setzen, verlangte das Komitee für Einheit und Fortschritt von der Regierung, dass Mahmut Şevket Pascha und Talat Pascha an einer umgebildeten Regierung teilnehmen sollten. Als es zur Gegenrevolution vom 31. März 1909 kam, hat sich die deutsche Machtposition in der türkischen Hauptstadt sogar noch verstärkt. Denn nach dieser Revolution rückten die germanophilen Personen wie Mahmut Şevket und Enver Bey in die Mitte der türkischen Politik vor. Das interpretierte man in der europäischen Öffentlichkeit als Erfolg Deutschlands. Dennoch konnte man aber in dieser Ära nicht von einer absoluten deutschen Einflussnahme in Istanbul sprechen.

Während die prominenten Mitglieder des Kommitees für Einheit und Fortschritt wie Cavit Bey und Hüseyin Cahit anglophile Ansichten vertraten, wurde Cemal Pascha als überzeugter Anhänger Frankreichs betrachtet. Nach dem Ersten Balkankrieg wollte die Regierung von Kamil Pascha die Jungtürken aus der Politik des Landes ausschalten. Außerdem nahm diese Regierung den Verlust von Edirne hin und akzeptierte die Demarkationslinie Midye-Enos als Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien. Unter diesen Umständen putschten sich die nationalistischen Kräfte unter Führung von Enver Bey und Talat Pascha an die Macht, wie bereits oben geschildert. Nachdem man Kamil Pascha zum Rücktritt zwang, eroberte man Edirne zurück. Nach der Ermordung von Mahmut Şevket Pascha intensivierten sich die Beziehungen zwischen Deutschland und den Jungtürken.

Am Vorabend des Ersten Weltkrieges

Als eine umfangreiche deutsche Militärmission unter Leitung von Liman von Sanders 1914 in Istanbul eintraf, protestierten die europäischen Mächte insbesondere Russland sehr heftig. Denn diese Staaten waren höchst beunruhigt über die Verstärkung der türkischen Armee durch die deutschen Offiziere. Die Idee, eine umfangreiche deutsche Mission in die Türkei kommen zu lassen, war an sich keine neue Idee. Man überlegte schon in der Amtszeit von Mahmut Şevket Pascha eine solche deutsche Mission in die Türkei kommen zu lassen. Denn für die Türkei war es unmöglich, die deutschen Methoden und Waffentechniken in ihrer Armee loszuwerden.

Als der Erste Weltkrieg ausbrach, war der Einfluss der deutschen Offiziere in der türkischen Armee sehr groß. Außerdem genoss die deutsche Rüstungsindustrie ein absolutes Liefermonopol in die Türkei. Sie profitierte vom deutschen System in der türkischen Armee. Die Einführung dieses Systems war den in den türkischen Diensten stehenden deutschen Offizieren in der Türkei zu verdanken. Auf der anderen Seite gewann die deutsche Regierung die türkische Armee als Partner, die von den deutschen Offizieren ausgebildet und mit deutschen Waffen ausgestattet war. – Am Ende waren jedoch beide die Verlierer.

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Der Autor Dr. rer. pol. Fahri Türk ist als Dozent im Fachbereich „Politikwissenschaften“ an der Universität Trakya in Edirne/Türkei tätig.

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