Die neue Generation homosexueller Chinesen ist selbstbewusstSCHWULE IN CHINA

Die neue Generation homosexueller Chinesen ist selbstbewusst

Die neue Generation homosexueller Chinesen ist selbstbewusst

Sie suchen danach in Chaträumen und Online-Kontaktbörsen. In einem der speziellen Nachtclubs reicht manchmal schon ein Augenzwinkern oder ein Lächeln, dann verschwinden sie in die Nacht, in öffentliche Parks, Waschräume und Saunen. Sie wollen nur eins: schnellen Sex und Mama soll möglichst nichts davon erfahren.

Von Nadine Diehl

Franco Lai kämpft offen für ihre Rechte  
Franco Lai kämpft offen für ihre Rechte  

D ie neue Generation homosexueller Chinesen ist selbstbewusst. Kampfbereit, wie in westlichen Gayszenen ist sie deshalb noch lange nicht. „Wenn du in China schwul bist, läuft das Sexualleben meistens im Untergrund ab“, sagt Jacky Wang, 28-jähriger Uni-Absolvent aus Shenzhen im Südosten Chinas. „Es sei denn, du bist in einer festen Beziehung.“ Jacky Wang lebt in einer der Großstädte, die die Chinesen „Gay Capitals“ nennen. Sie seien offener gegenüber Homosexualität, haben Schwulenbars und viele Eltern akzeptierten hier die Sexualität ihrer Kinder. Bei Jacky ist das anders. Er traut sich nicht, seinen Eltern von seiner Neigung zu erzählen. Nur seine engsten Freunde wissen davon. So geht es den meisten jungen Homosexuellen in China. „Meine Eltern und Großeltern würden das nie verstehen. Sie würden mich fragen: ‚Warum kannst Du keine Mädchen lieben, warum nur Männer?’“, sagt er. „Für die ältere Generation ist Homosexualität eine Krankheit, einfach abnormal.“

Maimai Song hat den Schritt gewagt. Seine Eltern seien zwar nicht begeistert von seiner Vorliebe für Männer, aber sie akzeptierten es. „Ich meine, welche Wahl haben sie? Wenn sie dich lieben, können sie es nur akzeptieren“, sagt er. „Sie können dich ja nicht verstoßen.“ Maimai merkte mit 15, dass er schwul ist und hatte sein „Coming-Out“ mit 22. Doch nicht mit jedem lief es reibungslos ab. Als er einem alten Freund erzählte, dass er schwul sei, rastete dieser völlig aus. „Er wollte mich töten. Ich rief die Polizei, doch die sagte, sie könne nichts tun“, erzählt er aufgebracht. „Er müsse mich erst verletzen oder umbringen.“ Noch heute rede dieser Freund ihm ein, dass er an seiner Sexualität etwas ändern könne. Er sei einfach nur psychisch gestört.

Erst unter Mao wurde Homosexualität zur Krankheit

So lange ist das auch noch gar nicht her, dass die Chinese Psychiatric Association „Homosexualität“ von der Liste psychischer Krankheiten gestrichen hat. Das geschah erst vor sieben Jahren. Dabei war literarischen Überlieferungen zufolge im alten Kaiserreich gleichgeschlechtliche Liebe weit verbreitet. Erst unter Mao wurde Homosexualität zur Krankheit und sogar zum Verbrechen degradiert. Noch in den 90er Jahren, nach der Ära Mao, glaubten chinesische Ärzte, mit Hilfe von Elektro-Schocks und Brechmitteln Schwule von ihren erotischen Gelüsten befreien zu können. Aufzeichnungen über gezielte, staatliche Verfolgung auf Homosexuelle gibt es aus der Zeit Maos nicht, wahrscheinlich, weil Homosexualität zu dieser Zeit fast nicht existierte. Schwule Männer heirateten einfach trotzdem, lebten ihre Sexualität im Verborgenen aus oder unterdrückten sie.

Ein Phänomen, das noch heute in China vorherrscht. Dr. Jens Damm, Sinologe an der Freien Universität Berlin, sieht darin jedoch noch einen ganz anderen Grund, als nur den Eltern klein bei zu geben. „Wenn man erst mal aus dem elterlichen Rahmen geflohen ist, und sei es durch Heirat, dann stehen den Betroffenen ganz neue Wege offen, “ sagt er. „Es gibt schließlich immer noch die Möglichkeit einer Scheidung und gleichzeitig hat man es geschafft dem elterlichen Einfluss zu entkommen.“

Mit 15 Jahren wusste Franco dass sie auf Mädchen steht

Protest-Aktion in Hong Kong am 18. Mai 2008  
Protest-Aktion in Hong Kong am 18. Mai 2008  

Franco Lai von der Hong Konger Homosexuellen-Organisation „Rainbow“ will diesen Schritt auf keinen Fall tun. Sie ist seit vier Jahren in einer festen Beziehung und würde niemals einen Mann heiraten, nur um ihre Eltern zufrieden zu stellen. Franco war 15 als sie erkannte, dass sie sich mehr für Mädchen interessiert. „Ich wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht wie man das nennt, was da in mir vorgeht“, erinnert sich die heute 30-Jährige und fängt an zu kichern. „Aber ich wusste, dass ich auf Mädchen stehe und diese Leidenschaft war offensichtlich.“ Bevor sie zu studieren begann, stieß sie auf ein Buch mit dem Namen „Discourse of Tongzhi“. Tongzhi ist Chinesisch, bedeutet auf Deutsch Kamerad und wird in China als Bezeichnung für Schwule und Lesben benutzt. Das Buch wurde zu ihrer Bibel. Fortan akzeptierte sie ihre Sexualität.

Wie Franco Lai damals geht es heute vielen Jugendlichen, vor allem auf dem Land. Sie haben keinen Namen für dieses seltsame Gefühl. Wenn sie Glück haben finden sie im Internet zu ihrer Identität, zu dem auch die chinesischen Bauern heute Zugang haben. Doch auch danach wird die eigene Sexualität dort meist völlig verschwiegen.

Die Diskriminierung von Homosexuellen hält sich in den Großstädten in Grenzen. Wohl auch deshalb, weil meist nur die engsten Bekannten zum Kreis der auserwählten Mitwisser gehören. Im Gegensatz zu Hong Kong und Taiwan gibt es auf dem chinesischen Festland nicht einen homosexuellen Schauspieler. „Wer Karriere machen will, sollte seine Vorliebe besser geheim halten“, sagt Dr. Damm.

Die Anzahl der Chinesen, die sich aktiv für ihre Rechte einsetzen, ist gering

Franco Lai hat diese Erfahrungen auch in Hong Kong gemacht. Sie hatte damals an ihrer Uni eine Studentenorganisation für Homosexuelle gegründet, um auf das Thema aufmerksam zu machen. „Einmal verteilte ich vor der Turnhalle Flyer für eine Informationsrunde. Als ich danach in den Umkleideraum ging, starrten mich  die Mädchen alle total angewidert an und fingen an zu tuscheln, “ erzählt sie. „Ich fühlte mich so hilflos.“ Später widerfuhr ihr etwas Ähnliches während eines Vorstellungsgesprächs. „Die Chefin fragte mich, warum ich keine weiblichen Kleider trage. Ob ich ein feminines Image vielleicht als für die Karriere hinderlich erachte“, erinnert sich Franco. „Sie sprach nicht ungehobelt zu mir, aber ihre Fragen waren voller Ignoranz.“  Den Job bekam sie nicht. Von ihrem Kampf für mehr Akzeptanz ließ sie sich jedoch nicht abbringen.

Die Anzahl der Chinesen, die sich aktiv für ihre Rechte gleichgeschlechtlicher Beziehungen einsetzt, ist jedoch sehr gering. Auf dem chinesischen Festland gibt es keine offizielle Homosexuellen-Organisation. In China ist es generell schwierig, eine NGO (non-governmental organisation) zu gründen, da ein Ministerium die Gründung absegnen muss. Eine homosexuelle Vereinigung würde die Regierung nie zulassen, zumal einmalige Großveranstaltungen schon boykottiert werden. So verbat die Pekinger Universität vor drei Jahren einer Gruppe von Studenten ein „Gay Film Festival“ zu veranstalten.

Seminare an der Uni Schanghai über Homosexualität

Dennoch hat sich einiges getan: 2005 gab es in Schanghai zum ersten Mal das Angebot an einer chinesischen Universität, ein Seminar über Homosexualität  zu besuchen. Im vergangenen Jahr wurde die erste wöchentliche Live-Internetshow zu diesem Thema gestreamt und immer öfter taucht es in den Medien auf.

Für viele homosexuelle Chinesen sind Rechte wie Ehe und Adoption derzeit jedoch noch gar nicht von Belang. Für Jacky reicht es schon, sich nicht eingeschränkt fühlen zu müssen. „Ich brauche vor nichts Angst zu haben. Die Polizei lässt uns in Ruhe, “ sagt er. „Und ich muss es ja nicht jedem auf die Nase binden.“ Momentan begnügt er sich noch mit Gelegenheitsbeziehungen aus diversen Chatrooms, doch irgendwann möchte er eine Beziehung fürs Leben. „Falls ich mal wirklich heiraten will, haue ich einfach aus China ab“, sagt er schmunzelnd. „Das ist einfacher als die Meinung von 1,3 Milliarden Menschen ändern zu müssen.“

China Kultur

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